Frühchen: Erschwerter Start ins Leben

Zehn Tage lang lag Lisa* mit einem vorzeitigen Blasensprung im Krankenhaus, als sie eine Infektion mit Fieber bekam. Die Wehen ließen sich nicht mehr hemmen und ihre Zwillinge mussten per Kaiserschnitt geholt werden – in der 27. Woche. Gewöhnlich dauert eine Schwangerschaft 40 Wochen. Jakob* wog 990 Gramm und Ben* 850. Noch in den 1960er Jahren galt ein Geburtsgewicht von unter 1000 Gramm als Todesurteil. Diese Grenzen verschieben sich dank der modernen Medizin immer mehr: Mittlerweile können sogar Babys gerettet werden, die nicht einmal 500 Gramm wiegen.
Laut Weltgesundheitsorganisation werden weltweit jährlich 15 Millionen Kinder zu früh geboren und damit mehr als jedes zehnte Baby. Zu früh bedeutet: vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche. In Deutschland lag diese Zahl 2023 bei ungefähr 53 000, informiert der Bundesverband »Das frühgeborene Kind e. V.«. Das entspricht zirka acht Prozent aller Geburten. Dank des medizinischen Fortschritts haben sich die Überlebenschancen von Frühchen fortlaufend verbessert. In wohlhabenden Ländern überleben 95 Prozent derjenigen, die zwischen der 28. und der 32. Woche zur Welt kommen.
Von Extremfrühchen spricht man bei Kindern wie Jakob und Ben, die vor Vollendung der 27. Schwangerschaftswoche geboren werden. Sie wiegen in der Regel weniger als 1000 Gramm. Die untere Grenze der Überlebensfähigkeit liegt aktuell in der 22. Schwangerschaftswoche – die Winzlinge bringen dann nur ungefähr 450 Gramm auf die Waage. Laut einer Auswertung von in den Jahren 2000 bis 2017 publizierten Kohortenstudien aus OECD-Ländern betrug die Überlebensrate von Neugeborenen mit einem Alter von 22 Wochen auf der Intensivstation damals durchschnittlich 24 Prozent.
Allerdings schwankt der Wert zwischen den einzelnen Untersuchungen stark; er hängt unter anderem davon ab, ob die Kinder in spezialisierten Perinatalzentren behandelt werden. In Schweden etwa lag diese Rate laut einer Studie, bei der ein ähnlicher Zeitraum betrachtet wurde, bei 50 Prozent. Bei den überlebenden Extremfrühchen kann es jedoch zu schweren Komplikationen kommen, da zu dem Zeitpunkt noch kein Organ fertig entwickelt ist. Die Wahrscheinlichkeit einer bleibenden Beeinträchtigung oder einer Behinderung ist sehr hoch.
Häufig müssen extreme Frühchen beatmet werden, nicht selten wird dadurch ihre Lunge chronisch geschädigt und das Gewebe anfällig für Entzündungen. Die bronchopulmonale Dysplasie ist die häufigste solche Lungenerkrankung, die bei einigen Kindern bis ins Erwachsenenalter zu Schwierigkeiten führt. Auch kann es zu nekrotisierenden Darmentzündungen kommen, zu Schäden an der Netzhaut und zu epileptischen Anfällen. Mitunter reißen die noch hauchdünnen Wände der Blutgefäße und verursachen Hirnblutungen. Eine Zerebralparese kann die Folge sein, was sich in Bewegungsstörungen bis hin zu Lähmungen und geistiger Behinderung äußert. Je eher ein Baby auf die Welt kommt, umso höher ist das Risiko für solche Schäden. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Stress, den die Behandlung auf der Intensivstation verursacht – mit negativen Folgen für die Entwicklung der noch unreifen Hirnstrukturen. Bei vielen der extremen Leichtgewichte beobachtet man später Entwicklungsverzögerungen sowie Schul- und Verhaltensprobleme.
Höheres Risiko für ADHS und Autismus
Laut Regina Trollmann, Leiterin der Neuropädiatrie und des Sozialpädiatrischen Zentrums am Universitätsklinikum Erlangen, zeigt sich das mitunter in Lernstörungen sowie in Einschränkungen der räumlichen Wahrnehmung, des Arbeitstempos, der Aufmerksamkeit und der exekutiven Funktionen. Bei letzteren können die Kinder weniger gut Handlungen planen, Störreize ausblenden, Impulsen widerstehen oder sich auf neue Anforderungen einstellen. Des Weiteren treten zum Teil Sprach-, Seh- und Hörstörungen auf. Es besteht ein höheres Risiko für ADHS, Autismus und psychiatrische Erkrankungen im Vergleich zu ihren termingeborenen Altersgenossen.
Solche Probleme betreffen aber nur einen kleinen Teil, betont Regina Trollmann: »Wenn der neonatale Verlauf der Babys unter 1500 Gramm stabil ist und keine genetische Erkrankung vorliegt, dann ist die Prognose günstig. Die Kinder können sich auch kognitiv gut entwickeln.« Um etwa 15 Prozent von ihnen müsse man sich jedoch besonders kümmern.
Und wie ergeht es ehemaligen Frühchen als Erwachsenen? 2019 untersuchten Fachleute der Universität Lund das spätere Schicksal einer Kohorte von 2,5 Millionen schwedischer Neugeborener. Sie waren zwischen 1973 und 1997 auf die Welt gekommen. Von jenen Babys, die nur 22 bis 27 Wochen im Mutterleib verbracht hatten, litt lediglich jedes fünfte später nicht an einer ernsthaften Erkrankung (siehe »Die möglichen Folgen einer Frühgeburt«).
Im Jahr 2023 führte ein australisches Team eine zusammenfassende Bewertung von mehreren bildgebenden Studien durch. Die untersuchten Erwachsenen waren alle zwischen 1966 und 1992 vor der 33. Woche oder mit einem Gewicht von weniger als 1500 Gramm zur Welt gekommen. Im Durchschnitt hatten sie ein kleineres Gehirn als Termingeborene, insbesondere wiesen der mittlere Schläfenlappen und Kernregionen wie Thalamus, Amygdala und Hippocampus ein verringertes Volumen auf. Außerdem waren Dicke und Faltung der Hirnrinde sowie die Struktur der weißen Substanz im mikroskopischen Maßstab verändert. Offenbar können die Rückstände in der Hirnentwicklung nicht aufgeholt werden, so das Fazit der Autoren.
Das hat auch Auswirkungen auf die Kognition. Linda Breeman, heute an der Universität Leiden, und ihre Kollegen untersuchten 2015 die geistigen Fähigkeiten von Kindern, die 1985 und 1986 vor Vollendung der 32. Schwangerschaftswoche in Bayern geboren worden waren. Ein gutes Viertel von ihnen zeigte im Alter von 26 Jahren kognitive Einschränkungen. In der Gruppe der termingerecht Geborenen waren es nur rund vier Prozent.
Weniger Leid dank medizinischem Fortschritt
Doch all diese Ergebnisse sind nicht uneingeschränkt auf heute übertragbar. »Die hier Untersuchten wurden zu einer Zeit geboren, in der man völlig andere Behandlungskonzepte hatte, die in fast allen Punkten von den heutigen abweichen«, so Heiko Reutter, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Uniklinikum Erlangen. Der medizinische Fortschritt spiegelt sich in der schwedischen Längsschnittstudie von 2019 wider. 1997 Geborene hatten im späteren Leben weniger Beschwerden als die Frühchen aus den 1970er Jahren.
Auf Grund der häufigen Komplikationen und potenziellen Langzeitschäden steht die Behandlung von extremen Frühchen im Fokus intensiver Diskussionen in Deutschland. Bei Babys, die nach Vollendung der 24. Woche geboren werden, stellt sich die Frage nicht, ob alles getan wird, um sie zu retten – denn sie haben ein Recht auf Maximalversorgung. Zwischen dem ersten Tag der 23. Schwangerschaftswoche und dem siebten Tag von Woche 24 ist es möglich, aber nicht vorgeschrieben, die Kinder zu behandeln. Diese Grauzone ist nicht in allen Ländern gleich definiert, trotz ähnlicher medizinischer Standards. In Schweden etwa werden Frühchen bereits ab der 23. Woche routinemäßig behandelt, in Frankreich, den Niederlanden oder der Schweiz erhalten sie erst ab der 24. Woche eine obligatorische intensivmedizinische Versorgung.
»Die Prognose ist davon abhängig, wie intensiv und gut die Erstversorgung der Kinder ist«Regina Trollmann, Neuropädiaterin
In den USA ist der Anteil der in der 23. Woche geborenen Kinder, die eine solche Unterstützung erhielten, von 61,6 Prozent im Jahr 2020 auf 73,7 Prozent im Jahr 2022 gestiegen. Von ihnen überlebte rund jedes dritte Baby, wie eine Studie der University of Vermont ergab. Die Fachleute um die Epidemiologin Erika Edwards analysierten die Daten von fast 23 000 Extremfrühchen, die zwischen 2020 und 2022 in US-amerikanischen Kliniken mit umfassender intensivmedizinischer Versorgung zur Welt gekommen waren. Die Kinder wurden mechanisch beatmet, ihr Kreislauf wurde durch Infusionen stabilisiert. Nur ein sehr kleiner Teil (6,3 Prozent) blieb allerdings von schweren Komplikationen wie Blutungen, Lungenerkrankungen oder Infektionen verschont.
»Ein sehr großer Anteil der überlebenden Kinder hatte Anzeichen einer schweren Lungenerkrankung und deutliche Ernährungsprobleme. Beide Faktoren sind bekannte Risiken für eine schlechte neurologische Langzeitentwicklung«, so Mario Rüdiger, Leiter des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin des Universitätsklinikum Dresden gegenüber dem Science Media Center. »Je mehr und schwerwiegender die Komplikationen während der stationären Behandlung sind, desto höher ist die Rate an Zerebralparesen, kognitiven Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten im späteren Leben«, erklärte Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, ebenfalls gegenüber dem Science Media Center.
Entscheiden zum Wohl des Kindes
Wie also umgehen mit Frühchen an der Grenze zur Lebensfähigkeit? In der entsprechenden deutschen Leitlinie, erstellt von der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, heißt es auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention zur oben definierten Grauzone: »Bei ungünstiger oder zweifelhafter Prognose lassen sich Aussagen zur Aussichtslosigkeit medizinischer Maßnahmen, zu ihrem Nutzen und Schaden nur unter Einbezug des elterlichen Wertehorizonts treffen, auf dessen Grundlage die Eltern das Wohl des Kindes definieren.«
»Es gibt Paare, die jahrelang versuchen ein Kind zu bekommen. Dann gelingt es, und für sie bedeutet Leben, auch wenn es eventuell mit Beeinträchtigungen einhergeht, so viel mehr, als es sich die meisten vorstellen können«, sagt Heiko Reutter. Die Entscheidung müsse deshalb immer individuell getroffen werden. Und nicht immer sind Eltern und Behandelnde der gleichen Ansicht.
So gebe es Menschen, die aus religiösen oder anderen Gründen an einer Behandlung festhalten, während die Ärzte die Therapie begrenzen möchten. Oder umgekehrt, dass Mütter und Väter sehr früh Behandlungen stoppen wollen, weil sie mögliche Behinderungen des Kindes fürchten. »Es erfordert gemeinsames Gespür, eine Entscheidung zu treffen, mit der die Eltern später gut leben können. Das ist aber nicht immer einfach«, so der Experte.
»Es erfordert gemeinsames Gespür, eine Entscheidung zu treffen, mit der die Eltern später gut leben können. Das ist nicht immer einfach«Heiko Reutter, Neonatologe
Lisa und ihr Mann mussten ebenfalls eine schwierige Entscheidung treffen, allerdings schon vor der Geburt. Ihre Föten litten an dem seltenen fetofetalen Transfusionssyndrom. Das kann nur bei eineiigen Zwillingen auftreten, die sich eine Plazenta teilen. Es bilden sich dann Verbindungen zwischen den Blutgefäßen der Ungeborenen. Eines wird mit zu wenig, das andere mit zu viel Blut versorgt. Mit Hilfe einer Operation im Mutterleib können die Blutkreisläufe getrennt werden. Unbehandelt ist die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt sehr hoch.
Bei Lisa fand der Eingriff in der 18. Schwangerschaftswoche statt. Im Anschluss stellte sich im Ultraschall heraus: Ben hatte eine Hirnblutung erlitten. Die Ärzte klärten das Paar darüber auf, dass ihr Sohn unter Umständen schwere Behinderungen davontragen könnte. Es bestehe die Möglichkeit, ihn von der Nabelschnur zu trennen und sterben zu lassen. Für Lisa und ihren Mann war sofort klar: Sie wollen beide Kinder behalten, egal, wie sie sich entwickeln. Der Arzt sagte damals, dass die möglichen Folgen nicht genau vorhergesagt werden können. Und diese Unsicherheit erschwert in vielen Fällen die Entscheidung, auch in Bezug auf Frühgeborene.
Das Risiko für Beeinträchtigungen steigt zwar mit abnehmender Schwangerschaftsdauer und sinkendem Geburtsgewicht. Dennoch gibt es laut Heiko Reutter Kinder, die zwischen der 22. und 24. Woche geboren werden und sich besser entwickeln als beispielsweise Babys, die in der 27. Woche mit einer schweren Infektion zur Welt kommen. In den meisten Fällen treffe der Körper der Kleinen eine Entscheidung, nicht die Eltern. »Die Prognose ist davon abhängig, wie intensiv und gut die Erstversorgung ist«, erklärt Regina Trollmann.
Bereits vor der Entbindung gibt es medizinische Möglichkeiten, um eine vorzeitige Geburt zu verhindern oder hinauszuzögern: Die Mutter wird überwacht, der Blutdruck gegebenenfalls gesenkt, Infektionen werden behandelt, die Wehen mit Medikamenten gehemmt oder der Gebärmutterhals wird mit einem Band verschlossen. »Wenn man das gut und verantwortungsvoll macht, lassen sich bei Frauen, die in der 22. Woche zu entbinden drohen, ohne Probleme zehn oder zwölf Wochen rausschlagen«, sagt Heiko Reutter.
Manchmal werden der Schwangeren Glukokortikoide injiziert, die die Lunge des Babys vorzeitig reifen lassen. Damit sinkt das Risiko für langfristige Schäden des Atemorgans, aber auch des Darms und des Gehirns. Lisa erhielt ebenfalls zwei solcher Spritzen. Nach der Geburt werden die Frühchen dann überwacht, um auf mögliche Komplikationen schnell und angemessen reagieren zu können. Ein Ultraschall des Gehirns gibt Auskunft über vorliegende Schädigungen. So lassen sich mögliche Entwicklungsstörungen besser vorhersagen, und die Beratung der Eltern kann entsprechend angepasst werden.
Experimentelle und einige wenige klinische Studien untersuchten die Wirkung von Erythropoetin (EPO) bei Hirnschäden von Frühchen. Der Wachstumsfaktor fördert die Bildung und Reifung der roten Blutkörperchen. Laut Tierexperimenten von Regina Trollmann schützt er Nervenzellen, Gefäße und die Blut-Hirn-Schranke. In einer Studie von 2020 konnte hingegen kein positiver Effekt gefunden werden. Es bedarf weiterer Ergebnisse, um ein abschließendes Urteil zu fällen. Mehr Forschung wird auch zur Wirkung von Stammzellen benötigt. Tierversuche legen hier ebenfalls einen positiven Effekt auf geschädigte Hirnstrukturen Frühgeborener nahe.
Fürsorge, Muttermilch und Förderung
Neben solchen medizinischen Maßnahmen sind eine gute Pflege und eine schützende Umgebung der Kinder wichtig, damit sie sich gut entwickeln. »Da gehört das Vermeiden von Lärm dazu, das richtige Betten, der Schutz vor Auskühlung, Baden mit Handtüchern, Dunkelheit, die Gabe von Melatonin«, berichtet Heiko Reutter. Durch gezielte Anregung werden Atmung, Motorik, Körperwahrnehmung, Saug- und Trinkverhalten sowie die Sinne des Babys gefördert. Bei der Känguru-Methode legt man das Frühgeborene, nur mit Windel bekleidet, auf die nackte Brust der Mutter oder des Vaters. Der Hautkontakt stärkt die emotionale Bindung und führt zu einer ruhigeren Herzfrequenz, zu besseren Sauerstoffwerten und tieferem Schlaf des Säuglings.
Eine große Rolle spielt auch die Ernährung mit Muttermilch. Denn sie enthält Nährstoffe, die für die Hirnentwicklung essenziell sind. Viele Frühgeborene erhalten sie zunächst über eine Magensonde. Das spätere Stillen stärkt die Mutter-Kind-Bindung, und die fördert die kognitive und sprachliche Entwicklung. Hilfreich dafür sind des Weiteren bestimmte Hörerlebnisse, die auf der Intensivstation weniger vorhanden sind. Eine Studie einer Arbeitsgruppe um Petra Hüppi von der Universität Genf zeigte 2019 etwa, dass Musik auf der Neugeborenen-Intensivstation die Hirnaktivität von Frühchen positiv beeinflusst: Sie stärkte die Kommunikation zwischen Regionen, die an sensorischen und kognitiven Funktionen höherer Ordnung beteiligt sind.
Drei Monate nach der Geburt durften Jakob und Ben endlich nach Hause. Aber auch nach der Entlassung erhielten sie, wie es bei Frühchen üblich ist, weitere Diagnostik und Förderung. Hierfür gibt es Ambulanzen für Entwicklungsneurologie und sozialpädiatrische Zentren, wie sie Regina Trollmann führt. »Die Nachsorge ist altersabhängig gestaltet«, so die Professorin für Neuropädiatrie. Alle Babys, die bei Geburt weniger als 1500 Gramm wiegen, werden regelmäßig nachuntersucht. »Wir sehen die Kinder im ersten Lebensjahr alle drei Monate und veranlassen individuelle Förderungen. Im Alter von zwei Jahren bieten wir einen Entwicklungstest an. Dieser überprüft wichtige Parameter bezüglich Kognition, Sprache, Wahrnehmung und Verhalten.« Je nach Ergebnis kann das Kind dann beispielsweise Physio-, Ergo- oder Sprachtherapie erhalten.
Wenn das Kind vier Jahre alt ist, führt man in der Regel ausführliche Intelligenztests durch, um vor der Einschulung eventuell nötige Förderungen einzuleiten. Meist beenden die Familien die Nachsorge nach der Einschulung, wenn sich ein Kind gut entwickelt oder nur minimale Einschränkungen hat, erklärt Trollmann. Aus ihrer langjährigen Erfahrung heraus betont sie allerdings, dass es durchaus sinnvoll ist, ehemalige Frühgeborene auch noch während der Schulzeit zu begleiten, da Wahrnehmungsstörungen oder Aufmerksamkeitsprobleme auch den Alltag und den Schulerfolg beeinträchtigen können.
Was man ebenfalls im Blick haben muss, so Trollmann, ist der sozioökonomische Status der betroffenen Familie. Ist dieser gering, kann sich das ungünstig auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Hier ist die Unterstützung der Familien durch Psychologen und Sozialarbeiter hilfreich.
Jakob und Ben sind mittlerweile sieben Jahre alt und besuchen die 1. Klasse einer Regelschule. Vor Kurzem hatten sie wieder eine Entwicklungsuntersuchung. Bei Ben ist die Motorik in einigen Bereichen nicht altersgerecht; etwa beim Halten des Gleichgewichts, beim Hüpfen sowie Werfen. Beide haben Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit; sie sind verträumt und lassen sich leicht ablenken. Ben betrifft das noch mehr als Jakob, vielleicht auf Grund der Hirnblutung im Mutterleib sowie einer inzwischen aufgetretenen Epilepsie und der benötigten Medikamente. Der behandelnde Neurologe empfiehlt Neurofeedback. Hierbei werden die Frequenzen der elektrischen Hirnwellen visuell oder akustisch zurückgemeldet, und die Betroffenen lernen diese bewusst zu beeinflussen und so ihre Aufmerksamkeit zu steigern.
Lisa glaubt, dass die frühe Förderung die Entwicklung ihrer Kinder positiv beeinflusst hat. Deshalb möchte sie ihnen auch die Neurofeedback-Therapie ermöglichen. Zum Glück wird diese in der Kleinstadt, in der sie leben, angeboten. Das ist nicht selbstverständlich, denn die Versorgung für unreif Geborene ist nicht überall gut. Für die Zukunft ihrer Kinder wünscht sich Lisa, »dass sie irgendwann annehmen können, wie sie sind, und Freude haben an dem, was sie machen«. Die Chancen dafür stehen gut. So berichten einige Studien, dass ehemalige Frühchen als Erwachsene ihre Gesundheit, ihre Lebensqualität und ihr Wohlbefinden im Schnitt ähnlich einschätzen wie Termingeborene.
* Namen von der Redaktion geändert
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