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Kontaktverfolgung: Fachleute loben Corona-App

Viele anfängliche Datenschutzbedenken gelten als weitgehend ausgeräumt. Allerdings bleiben einige offene Fragen. Nicht zuletzt, ob genug Menschen mitmachen.
Eine Frau sitzt mit ihrem Laptop an einem Tisch in einer Art Cafeteria und guckt auf ihr Handy.

Vermutlich muss man einfach akzeptieren, dass die heute nun vorgestellte Corona-Warn-App des Bundesregierung keine Wunderwaffe zur Bekämpfung der Pandemie sein wird. Das zu betonen gab sich auch Gesundheitsminister Spahn zuletzt alle Mühe: »Diese App ist kein Allheilmittel und auch kein Freifahrtschein«, sagte er auf der Pressekonferenz am Dienstagvormittag. »Sie ersetzt vernünftiges Verhalten nicht.«

Experten geben Spahn bei dieser Einschätzung Recht: »Natürlich ist eine solche Warn-App sinnvoll«, sagt etwa Marcel Salathé, Professor für digitale Epidemiologie an der ETH Lausanne. »Aber sie kann in jedem Fall nur ein ergänzender Faktor sein.«

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Was soll die App aber nun genau leisten? Die Bundesregierung will mit der Technologie mögliche Infektionsketten früher erkennen und unterbrechen. Dazu nutzt die App Entfernungsmessung mit Hilfe von Bluetooth. So wird erkannt, ob sich zwei Nutzer über einen Zeitraum von 15 Minuten näher als zwei Meter gekommen sind. Wird einer davon im Lauf der nächsten 14 Tage positiv auf Covid-19 getestet und vermerkt dies dann auch in der App, sendet das Programm eine Warnung an die entsprechende Kontaktperson. Im Idealfall begibt diese sich dann in Quarantäne und meldet sich beim Gesundheitsamt.

Alle 15 Minuten eine neue Identifikationsnummer

Dieses Verfahren nennt sich Tracing. Anders als beim beispielsweise in Israel verwendeten Tracking werden dabei keine Bewegungsprofile oder andere persönliche Daten gespeichert. Die Erkennung basiert auf anonymen Identifikationsnummern, die alle 15 Minuten neu erzeugt werden. Bedenken, dass die permanent angeschaltete Bluetooth-Funktion den Smartphone-Akku in Rekordzeit leer saugen könnte, müssen Nutzer laut Experten zudem nicht haben: Die verwendete Low-Energy-Bluetooth-Technologie sei beim Energieverbrauch nicht mit derjenigen zu vergleichen, die etwa bei tragbaren Kopfhörern zum Einsatz kommt.

Allerdings: »Bluetooth wurde nie zur Entfernungsmessung entwickelt«, sagt Salathé, der maßgeblich an der Schweizer Tracing-App beteiligt war. Es gibt deshalb Unschärfen bei der Abstandsmessung – Wände, Scheiben oder menschliche Körper nehmen beispielsweise Einfluss auf das Resultat. Laut SAP-Vorstandsmitglied Jürgen Müller wurden bei den letzten Testreihen etwa 80 Prozent der Begegnungen korrekt eingeschätzt.

»Die Menschen wollen im Fall einer Warnung ganz klare Handlungsanweisungen«Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt

Die anfangs noch ziemlich großen Datenschutzbedenken sind mittlerweile weitgehend ausgeräumt. Viele IT-Experten und zuletzt auch der TÜV bescheinigten den Entwicklern von SAP und Telekom, gute Arbeit geleistet und auf Kritik umgehend reagiert zu haben. Vereinzelt geäußerte Sorgen wegen der Abhängigkeit von den Technologie-Riesen Google und Apple, die das neue Protokoll zur Ermittlung von Kontaktpersonen künftig in ihre Betriebssysteme implementieren wollen, sieht Salathé nicht als spezifisches Problem der App: »Wir müssen diesen Konzernen doch jetzt schon täglich vertrauen. Da ändert sich durch die App nichts.«

Für viele Beobachter scheint ohnehin die wichtigste Frage zu sein, ob die App im Kampf gegen das Coronavirus wirklich helfen kann. Klar ist: Für den Nutzen wird entscheidend sein, wie viele Bürgerinnen und Bürger die App letztlich installieren. Eine britische Studie spricht von rund 60 Prozent der Bevölkerung, die nötig seien, um die Pandemie zu stoppen. Allerdings heißt es dort auch: »Selbst bei einem geringeren Anteil gehen wir davon aus, dass die Zahl der Infektionen und Todesfälle sinkt.«

Das Wichtigste: Die Beteiligung

Der Blick in andere Länder zeigt, dass hier eine große Herausforderung liegt. Die weltweit meistgenutzte App findet man derzeit in Island – aber auch hier sind es nur 40 Prozent der Bevölkerung. In Singapur sind es zurzeit 25 Prozent, viele andere Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Österreich verzeichnen weit geringere Nutzungszahlen.

Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, hat in den vergangenen Monaten untersucht, wie die Menschen in Deutschland zur App-Nutzung stehen. Sie spricht von einer gewissen Skepsis: »Am Anfang wollten rund 60 Prozent mitmachen, aktuell sind es etwa 53 Prozent.« Der Wechsel vom zentralen zum dezentralen Ansatz der Datenspeicherung habe allerdings keinen Einfluss gezeigt – offenbar ist Datenschutz den Bürgerinnen und Bürgern dann doch nicht so wichtig wie oft angenommen.

Laut Betsch sind für die Akzeptanz der Befragten dagegen folgende Punkte wichtig: das individuelle Vertrauen in die Behörden, die generelle Bereitschaft, die eigenen Daten zu teilen, sowie Freiwilligkeit. Dass Bürger zur Nutzung der App gezwungen werden könnten, war von der Bundesregierung immer wieder dementiert worden. Nachdem aber zuletzt mehrere Unionspolitiker zumindest Anreize zum Download ins Spiel gebracht hatten, forderten die vier Justizminister und -senatoren der Grünen eine entsprechende gesetzliche Regelung. Justizministerin Christine Lambrecht sieht dafür aber weiter keine Notwendigkeit.

Was die Erfurter Psychologin Betsch jedoch ebenfalls herausgefunden hat: »Die Menschen wollen im Fall einer Warnung ganz klare Handlungsanweisungen. Der Hinweis, man solle mal den Arzt anrufen, reicht nicht.« Umso konkreter der Schutz von sich selbst und anderen angeleitet werde, umso besser bewerteten die Studienteilnehmer die Nutzung der App. Wie genau die Meldungen formuliert werden sollen, war im Vorfeld aber nicht zu erfahren. Eine Anfrage an das Gesundheitsministerium blieb unbeantwortet.

Die Gesundheitsämter sind unterbesetzt

Bedenken kommen auch von anderer Stelle. »Die steigende Zahl von Verdachtsfällen wird zu mehr Arbeit in den Gesundheitsämtern führen. Denn wir werden die Kontaktqualität wahrscheinlich erst einmal prüfen müssen, so wie bisher auch«, sagt Ute Teichert, Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen. »Und das in Zeiten, in denen die Ämter bereits massiv unterbesetzt sind.«

Allerdings liefert die App nach einer Warnung bereits einen Risikowert, der sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammensetzt. Unter anderem fließen Dauer, Nähe und Zeitpunkt des Kontakts darin. So sollen die Gesundheitsämter bereits ohne weitere Prüfung besser abschätzen können, wie wahrscheinlich eine Infektion ist.

»Die App ist sicher, freiwillig und einfach zu nutzen«, sagt Gesundheitsminister Spahn bei der Vorstellung am Dienstag. »Mehr geht nicht.« Tatsächlich bleibt aber noch einige zu tun: Bisher sind erst 20 Prozent der bundesweiten Testkapazitäten mit der nötigen digitalen Infrastruktur ausgestattet. Innerhalb der nächsten vier Wochen soll das bei allen Laboren und Gesundheitsämtern der Fall sein. Zudem bleibt die Herausforderung, die App auch über europäische Landesgrenzen nutzbar und mit den Programmen der Nachbarländer kompatibel zu machen.

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