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Psychologie: Falsch verknüpft

Sie wird gerne mit dem Satz "schlimm, dass es so etwas gibt" abgetan, und auch die Forschung hat sie lange Zeit auf die Warteliste verbannt. Über die Ursachen von Pädophilie ist daher fast nichts bekannt. Sie scheint zwar mit bestimmten Merkmalen - wie IQ und Körperbau - zu korrelieren, doch von Auslösern mag hier keiner reden. Zunehmend versuchen sich nun Hirnforscher an dem Thema.
Psychopathia sexualis & Pädophilie-Hirn
Pädophilie gibt es bei Menschen seit jeher, die Bezeichnung für die krankhafte Neigung zu Kindern erst seit gut hundert Jahren. Damals beschrieb der Wiener Psychiater Richard von Krafft-Ebing in seinem Werk Psychopathia sexualis einen Betroffenen: Es handelte sich "um einen hereditär belasteten [...] Mann, von abnormem Schädel, der keine rechte Neigung zum erwachsenen Weibe hatte, aber, wenn coitirend, brunstartig sich benahm. Dem erst mit 25 pädophil Gewordenen bereitete unzüchtiges Betasten kleiner Mädchen den höchsten Genuss!"

Den Begriff Pädophilie leitete von Krafft-Ebing aus dem griechischen pais für Kind und philia für Freundschaft ab und versah ihn mit dem Beiwort erotica, vermutlich um diese sexuelle Neigung von natürlicher Kinderliebe abzugrenzen.

"Sie finden für Pädophile kein klassisches Sozialisationsmuster"
(Hartmut Bosinski)
Menschen werden als pädophil bezeichnet, wenn sie sich von Kindern sexuell angezogen fühlen und zwar von Kindern, die noch keinerlei Reifezeichen zeigen. Sobald das begehrte Kind in die Pubertät komme, werde es für den Pädophilen meist uninteressant, erklärt Hartmut Bosinski von der Universität Kiel. "Wenn Kinder sexuelles Interesse an Gleichaltrigen zeigen, ist das vollkommen normal," betont der Mediziner. "Doch irgendwann kommen sie in das Alter, in dem plötzlich die Lehrerin, die sie vielleicht sonst gar nicht mögen, sexuell interessant wird. Bei Pädophilen passiert das nicht: sie schalten nicht auf Erwachsene um, die sexuelle Vorliebe für Kinder bleibt."

Seit von Krafft-Ebing mit seiner Schrift den Grundstein für die Pädophilieforschung gelegt hat, wird gemutmaßt, wie solch eine Neigung wohl entstehen mag. Liegen die Ursachen in der Erziehung? Oder ist sie genetisch bedingt? "Eine Uebersicht über die psycho-pathologischen Fälle von Unzucht mit Kindern lehrt, dass wohl die größte Quote derselben auf Zustände von erworbener Geistesschwäche kommt", schrieb schon damals der Wiener Psychiater.

"Erworbene Geistesschwäche" als Ursache für Pädophilie? Bei dieser doch eher allgemeinen Vorstellung sollte es nicht bleiben. Forscher begannen daher ihre Suche im sozialen Umfeld der Pädophilen. Was haben sie für Familien? Sind sie früher womöglich selbst einmal Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden? Einige schon, doch "Sie finden für Pädophile kein klassisches Sozialisationsmuster", betont Bosinski. Es gebe keine Biografie, die Pädophilie begünstige.

Weil sie keine klaren sozialen Ursachen fanden, lenkten Mediziner und Psychologen ihr Augenmerk auf mögliche "biologische" Auslöser. Was ist an den Körpern Pädophiler anders? Rein rechnerisch lässt sich beweisen, dass Pädophile in ihrer Kindheit häufiger auf Grund einer Kopfverletzung bewusstlos waren, einen niedrigeren Intelligenzquotienten haben, dass weniger Rechtshänder unter ihnen sind und sie kleiner gewachsen sind. Doch handelt es sich "ausschließlich um Befunde, aus denen wir nur vage Schlüsse ziehen können", warnt der Sexualmediziner.

Hirnregionen mit reduzierter weißer Substanz | Die farbig markierten Regionen zeigen diejenigen Gebiete, in denen das Volumen der weißen Substanz bei Pädophilen reduziert ist.
Dass das Gehirn einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung von Pädophilie leistet, ist zweifellos. Einen eindrucksvollen Beweis lieferte vor einigen Jahren eine Gruppe von Wissenschaftlern um Jeffrey Burns von der Universität Virginia. Die Mediziner berichteten über einen vierzigjährigen Mann, der innerhalb kurzer Zeit eine pädophile Neigung entwickelte [1]. Als der Patient über starke Kopfschmerzen klagte, bemerkten Ärzte, dass er einen Hirntumor hatte. Nachdem sie den Tumor entfernt hatten, verschwand zusammen mit den Kopfschmerzen auch das sexuelle Interesse an Kindern.

Obwohl die rasante Entwicklung bildgebender Verfahren die Hirnforschung bereits weit vorangetrieben hat, stehen die Wissenschaftler mit ihrer Suche nach neuronalen Korrelaten für Pädophilie noch ganz am Anfang. Nicht zuletzt liege das daran, dass es äußerst schwierig sei, eine saubere Stichprobe von Pädophilen zusammenzustellen, erklärt Hartmut Bosinski. Die Probanden dürften beispielsweise nicht durch Alkohol vorbelastet sein und müssten entweder ausschließlich auf Jungen oder auf Mädchen fixiert sein.

"Wir sind noch völlig am Anfang"
(Hartmut Bosinski)
James Cantor und sein Team vom Centre for Addiction and Mental Health in Toronto haben nun festgestellt, dass Pädophilie mit einem geringeren Volumen an weißer Substanz im Temporal- und Parietallappen einhergeht [2]. Die Forscher hatten mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie die Gehirne von 65 Pädophilen mit denen von 62 nicht pädophilen Männern verglichen.

Die weiße Substanz besteht im Gegensatz zur grauen Hirnsubstanz nicht aus Zellkörpern, sondern aus Nervenfasern, die die Neurone und damit auch verschiedene Hirnzentren miteinander verbinden. Da Pädophile offensichtlich weniger von dieser Verbindungssubstanz im Gehirn haben, könnte es sein, dass diese Neigung gar nicht in bestimmten Hirnzentren entsteht, sondern vielmehr durch eine fehlerhafte Verknüpfung verschiedener Areale, spekulieren Cantor und Kollegen.

"Wir sind jedoch noch völlig am Anfang," warnt Hartmut Bosinski vor voreiligen Deutungen. "Wir haben null Sicherheit." Die Cantor-Studie sei aber die erste Untersuchung zu dem Thema mit einer wirklich guten Stichprobe.

"Seine sexuelle Vorliebe nicht wählen zu können heißt nicht, nicht wählen zu können, was man tut"
(James Cantor)
Sollte Pädophilie tatsächlich auf einer veränderten Hirnstruktur beruhen, drängt sich unweigerlich die Frage nach der Verantwortung auf. Können Pädophile etwas für ihre Neigung und ihr Handeln? Für ihre Neigung nicht, für ihr Handeln, sofern sie sich an Kindern vergreifen, schon, meint James Cantor. "Seine sexuelle Vorliebe nicht wählen zu können heißt nicht, nicht wählen zu können, was man tut."

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