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Anthropologie: Falsche Fährte

Auf 40 000 Jahre schätzten britische Forscher die von ihnen in Mexiko entdeckten Fußspuren - und warfen damit ganz nebenbei die bisher gültige Besiedlungsgeschichte Amerikas über den Haufen. Falsch, kontern jetzt amerikanische Kollegen.
Fußabdruck
Irgendwann vor 14 000, vielleicht auch erst vor 12 000 Jahren verirrten sich sibirische Großwildjäger in unbekanntem Terrain. Eine unberührte Landschaft offenbarte sich ihnen, die mit der begehrten Jagdbeute wie Mammuts und Bisons reichhaltig gesegnet war. Die Neue Welt stand den Pionieren offen.

So lautet das bisher gängige Modell der Besiedlung Amerikas. Denn im Gegensatz zum Rest der Welt betrat Homo sapiens wohl erst sehr spät amerikanischen Boden. Praktischerweise war zum Ende der Eiszeit die Beringstraße zwischen Sibirien und Alaska trockengefallen, sodass das gelobte Land den Eroberern zu Füßen lag. Und so entstand wohl die Clovis-Kultur in Nordamerika, deren zahlreiche Überreste Archäologen als wichtigsten Beleg für die sibirische Einwanderungshypothese heranziehen.

Mögliche Einwanderungswege nach Amerika | Der Weg nach Amerika: Die meisten Forscher gehen davon aus, dass der amerikanische Doppelkontinent von eiszeitlichen Jägern besiedelt worden ist, die vor 14 000 Jahren über die Beringlandbrücke einwanderten. Möglich wäre jedoch auch eine viel frühere Einwanderung per Schiff direkt über den Pazifik oder den Atlantik.
Dummerweise bietet jedoch auch die südliche Hälfte des Doppelkontinents archäologisches Potenzial. So tauchte beispielsweise in Chile eine Speerspitze auf, deren Datierung das stolze Alter von 14 700 Jahren ergab. Konnten die Mammutjäger tatsächlich so schnell von Nord nach Süd vordringen?

Genetische Vergleiche der indianischen Urbevölkerung haben ebenfalls Zweifel am sibirischen Alleinvertretungsanspruch auf die ersten Amerikaner geweckt. Eine viel frühere Besiedlung könnte demnach durchaus möglich gewesen sein, die auf verschiedenen Wegen – also auch per Schiff – erfolgt sein könnte.

Fußabdruck? | Auf 40 000 Jahre schätzten britische Forscher in Mexiko gefundene Abdrücke. Kollegen aus Amerika kommen allerdings auf ein weit höheres Alter – 1,3 Millionen Jahre – und zweifeln daher, ob überhaupt menschliche Wesen diese Spuren hinterließen.
Die Anthropologen streiten sich daher heftig um den Uramerikaner, und genau in diesen Streit schlug die Entdeckung britischer Archäologen wie eine Bombe ein: In einem aufgegebenen Steinbruch im Valsequillo-Becken nahe der mexikanischen Stadt Puebla – so verkündete im Juli 2005 Silvia Gonzalez von der Liverpooler John-Moores-Universität auf der Royal Society Summer Exhibition – lagen insgesamt 269 versteinerte Abdrücke verborgen. Einige stammten von Hunden, Katzen und Paarhufern, die meisten seien jedoch menschlich. Die Datierung ergab das erstaunliche Alter von 40 000 Jahren [1].

Muss die Geschichte Amerikas jetzt umgeschrieben werden? Keineswegs, meint Paul Renne. Oder wenn, dann komplett.

Denn der Leiter des Geochronologischen Zentrums Berkeley unterzog zusammen mit Kollegen aus den USA und aus Mexiko die suspekten Spuren einer neuen Datierung – und zwar gleich mit zwei unterschiedlichen Methoden: Einerseits verwendeten die Forscher die Argon-Argon-Datierung, bei der das Verhältnis der Isotope 40Ar zu 39Ar bestimmt wird und die – im Gegensatz zur nur etwa 50 000 Jahre zurückreichende 14C-Methode von Gonzalez und Co – bei Proben einer Altersspanne von 2000 bis zu vier Milliarden Jahren zuverlässige Daten liefert. Andererseits bestimmten die amerikanischen Forscher das Alter über die Magnetisierung des Gesteins. Da das Erdmagnetfeld immer wieder seine Polarisationsrichtung vertauscht hat, lässt sich hiermit ebenfalls das Alter einer Gesteinsprobe abschätzen.

Das Ergebnis der Datierung verblüfft. Die versteinerten Spuren sind nicht etwa, wie zunächst vermutet, jünger als 40 000 Jahre, sondern älter – und zwar viel älter: Die Argon-Argon-Methode ergab ein Alter von 1,3 Millionen Jahre; über die Erdmagnetfeldumkehr ermittelten die Forscher eine Spanne zwischen 1,07 und 1,77 Millionen Jahre.

"Entweder es waren wirklich alte – und zwar erschreckend alte – Hominiden, oder es sind keine Fußspuren"
(Paul Renne)
Menschliche Fußspuren in Amerika, die über eine Million Jahre alt sind? Das wäre in der Tat revolutionär. Überschreiten sie doch locker die bisherige Existenzdauer des anatomisch modernen Menschen, der erst vor schätzungsweise 100 000 Jahren seine afrikanische Heimat verließ. Die Spuren müssten dann von einem Hominiden aus einer Zeit stammen, lange bevor Homo sapiens das Licht der Welt erblickte – eine Möglichkeit, "die wir als äußerst abwegig betrachten", wie die Forscher so nett schreiben.

"Jetzt bleiben nur noch zwei Möglichkeiten", fasst Renne zusammen. "Entweder es waren wirklich alte – und zwar erschreckend alte – Hominiden, oder es sind keine Fußspuren."

Die Anthropologenzunft kann nun gespannt abwarten, wie die Briten ihre – bisher noch unveröffentlichten – Fußabdrücke gegen die heftige Attacke aus Übersee verteidigen.

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