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News: Faltkunst-Fehler

Prionen umranken, im Vergleich zu Viren und Bakterien, noch viele ungelöste Rätsel. Was sie infektiös werden lässt, scheint nun immerhin Konturen zu bekommen. Zellen können sich dagegen offenbar schützen - durch Selbstmord.
Spätestens seitdem immer wahrscheinlicher wurde, dass eine Übertragung der Rinderkrankheit BSE auf den Menschen die Ursache der tödlichen neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) sein könnte – an der mittlerweile mehr als 100 Patienten starben –, zählten die Auslöser der "übertragbaren spongioformen Enzephalopathien"(TSE) von Mensch und Tier zu den meistgesuchten Krankheits-Erregern überhaupt.

Auslöser der TSE-Erkrankungen, so steht mittlerweile fest, sind Prionen: körpereigene, verbreitete Eiweiße, die von ihrer normalen (PrP)-Form krankhaft in eine bestimmte, strukturell fehlerhafte Form (PrPSc) umgefaltet wurden – mit fatalen Folgen, denn die PrPSc-Prionen klumpen sich in den Nervenzellen des Gehirns zu unlöslichen Aggregaten zusammen. Gleichzeitig katalysieren PrPSc-Prionen die Umfaltung weiterer PrP-Proteine und beschleunigen so unumkehrbar den Prozess.

Ein rundes Gesamtbild ergibt sich aus diesen Wissens-Puzzleteilen allerdings noch nicht. Wodurch wird beispielsweise die Umfaltung der normalen PrP-Formen in PrPSc überhaupt ausgelöst? Ungeklärt ist auch, ob tatsächlich PrPSc-Aggregate die Ursache für das beobachtete Neuronensterben im Gehirn von Erkrankten sind, denn in einigen absterbenden Gehirnnerven wurden tatsächlich überhaupt keine PrPSc-Aggregate gefunden.

Auf beide Fragen haben Jiyan Ma von der Ohio State University und Susan Lindquist vom Whitehead Institute nun Antworten gefunden – und bringen damit einiges Licht ins Dunkel.

Auf der Suche nach dem Ursprung des infektiösen PrPSc-Prions untersuchten die Forscher das zelluläre Schicksal des normalen, körpereigenen PrP. Es entsteht ursprünglich, wie alle Proteine, deren eigentlicher Einsatzort die äußere Zellmembran ist, im Inneren des Endoplasmatischen Retikulums (ER), dem Versand- und Speditionszentrums einer jeden Zelle. Hier ist ein "Quality-Management"-Mechanismus installiert, der aus den vielen funktionsfähigen Eiweißen die wenigen fehlerhaft gebauten aussortiert und zum Abbau in das Cytosol, den Zellinnenraum, transportiert – natürlich auch jedwede Form mangelhaft gebildeter PrP-Eiweiße.

Um die unbrauchbaren Proteine aus dem ER zu transportieren, müssen sie kurzzeitig wieder entfaltet werden. Offenbar ist nun der Augenblick, an dem die ungefaltete Transportform der PrP-Prionen im Cytosol ankommt, äußerst kritisch. Gelegentlich faltet sich, wie die Wissenschaftler entdeckten, das PrP nicht in die unbrauchbare aber harmlose, ursprüngliche PrP-Form um – sondern spontan in das gefährliche PrPSc-Prion.

Je langsamer aber der Abbau der PrP-Prionen-Abfälle und je höher deren Konzentration im Cytosol, desto wahrscheinlicher sollte, einer weiteren Theorie zufolge, auch die Entstehung des PrPSc werden. Die Wissenschaftler machten die Probe aufs Exempel: Sie sorgten dafür, das überhaupt kein PrP mehr im Cytosol von Nervenzellen abgebaut wurde, sodass die Konzentration stetig anstieg. Dazu setzten sie die zellulären Müllverbrennungs-Organellen, die Proteasomen, mit einem Hemmstoff außer Betrieb. Üblicherweise werden in den Proteasomen innerhalb kürzester Zeit alle Abfall-Proteine aus dem Cytosol abgebaut – in funktionsfähigen Zellen sind daher etwa PrP-Prione meist nur in Konzentrationen unterhalb der Nachweisgrenze enthalten.

Statt wachsenden PrP-Abfallbergen beobachteten die Forscher allerdings Überraschendes an ihren Proteasom-defekten Nervenzellen: Sie starben sehr schnell ab. Verantwortlich dafür war offensichtlich die erhöhte PrP-Konzentration im Cytoplasma selbst. Dies erklärt nun auch, warum einige Nervenzellen von TSE-Patienten absterben, obwohl in ihnen keine PrPSc-Prionen nachgewiesen wurden.

Die zuvor nie beobachtete Toxizität des Cytosol-PrP deuten die Wissenschaftler als Mechanismus, der sich im Laufe der Evolution als für den Gesamtorganismus vorteilhaft herausgestellt haben könnte. Schließlich stellt eine Nervenzelle mit erhöhten PrP-Konzentrationen im Cytosol eine tickende Zeitbombe dar: Hier könnte sich, wenn etwa die zelleigenen Abfallbeseitiger den PrP-Müllhalden nicht schnell genug Herr werden können, eine kritische Menge von PrP lokal ansammeln, sich in die krankhafte, autokatalytische PrPSc-Form umfalten – und eine Infektions-Lawine auslösen, die nicht nur die betroffene Zelle, sondern den Gesamtorganismus in den Abgrund reißen kann. Stirbt die Nervenzelle aber schon bei sehr niedrigen Konzentrationen von PrP im Cytosol ab, so ist dieses Szenario ausgeschlossen.

Der neuentdeckte Neuronen-Notfallplan sollte, warnen Ma und Linquist, weiterreichende Überlegungen auch über das Feld der TSE-Erkrankungen hinaus anstoßen. Nervenzellen werden durch den Mechanismus abgetötet, wenn man, wie die Forscher, durch Proteasomen-Hemmer in das Abfallbeseitigungsprogramm der Zellen eingreift. Genau diese Hemmstoffe sind aber in einigen neuen Krebsmedikamenten enthalten, die derzeit klinische Testphasen durchlaufen. Hirnschäden seien durch sie zwar auszuschließen, weil die Medikamente die dichte Barriere zwischen Hirn und Blutkreislauf nicht durchdringen können. Dennoch ist Vorsicht geboten, um nicht Krebs zu heilen und gleichzeitig Nervensterben auszulösen – und den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

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