Farbfund in Deutschland: Das früheste Blau in Europas Geschichte

Wildpferde, Wisente und Hirsche preschen in roten, schwarzen und braunen Tönen über die Wände europäischer Steinzeithöhlen. In Grün oder Blau ist kein einziges dieser Tiere gezeichnet, als ob die Jäger und Sammler vor bis zu 40 000 Jahren keine anderen Farben gekannt hätten. Möglicherweise war das aber nicht der Fall, wie ein Steinartefakt aus dem hessischen Mühlheim am Main nahelegt. Archäologen um Izzy Wisher von der Universität Aarhus haben auf dem handtellergroßen Stein mutmaßlich Spuren des blauen Minerals Azurit entdeckt. Mit einem Alter von ungefähr 13 000 bis 14 000 Jahren liefere das gewölbte Artefakt den bislang frühesten Nachweis für die Verwendung blauer Pigmente in Europa, schreiben die Forschenden in »Antiquity«.
Archäologen fanden den Stein bereits in den 1970er Jahren bei Grabungen an einem Lagerplatz steinzeitlicher Jäger und Sammler im Stadtteil Mühlheim-Dietesheim. Doch erst jetzt entdeckten Wisher und ihre Kollegen darauf blaue Farbspuren. Ob die Pigmente tatsächlich aus der Altsteinzeit stammen und kein Schmutz jüngeren Datums sind, prüften sie mithilfe der Röntgenfluoreszenz und diverser Spektrometriemethoden. Außerdem analysierten sie den Fund im Elektronenmikroskop. Wie sich dabei herausstellte, basieren die blau gefärbten Stellen auf Kupfer und stammen nach Ansicht der Forscher nicht von moderner Farbe. Vielmehr würden die Pigmente, die ausschließlich an der Innenseite des gewölbten Steins haften, vom Mineral Azurit herrühren, einem Kupferkarbonat. Azurit mit derselben Isotopensignatur wie in den Resten auf dem Steinartefakt gebe es auch in der Umgebung von Mühlheim-Dietesheim. Die Menschen der Altsteinzeit hätten ihn also in der Nähe ihres Lagerplatzes aufsammeln können.
Wofür sie das blaue Pigment nutzten, ist noch unklar. Der Stein selbst diente vielleicht als Farbpalette, auf der der Azurit zu Pulver zerrieben wurde. Generell scheinen die Europäer der späten Altsteinzeit den blauen Stoff selten verwendet zu haben, obwohl das Mineral leicht zu beschaffen war – jedenfalls gibt es kaum entsprechende Funde. Oder, so vermuten die Archäologen um Wisher, die einstige Nutzung ist nicht überliefert. Das Pigment könnte zur Bemalung von Körper oder Kleidung gedient haben.
Ältere Hinweise auf blaue Farbstoffe als in Mühlheim-Dietesheim haben sich am Rand von Europa und außerhalb davon erhalten. An Figurinen aus Sibirien, die ungefähr 19 000 bis 23 000 Jahre vor heute gefertigt wurden, fanden sich blaue Pigmentspuren. Zudem verarbeiteten Menschen schon vor rund 34 000 Jahren so genannten Färberwaid, wie das Fachjournal »Science« berichtet. Fachleute fanden Fasern der Pflanze an Reibesteinen aus Georgien. Ob diese als Farbpigmente oder zu medizinischen Zwecken verwendet wurden, ist unklar. Zum Verzehr taugte der bittere Färberwaid aber wohl nicht.
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