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News: Fehl am Platz mit schlimmen Folgen

Jedes zu seiner Zeit und am rechten Platz - nach diesem Grundsatz regeln Zellen die Produktion ihrer vielen verschiedenen Proteine. Denn wenn mal ein Kaliumkanal nicht wie sonst üblich im Gehirn hergestellt wird, sondern in einem anderen Gewebe, kann das böse Folgen mit sich bringen. Mit Erstaunen haben Wissenschaftler festgestellt, daß dieses Protein plötzlich in die Regulation der Zellteilung eingreift und Krebs auslöst.
Die Teilung von Zellen unterliegt vielfachen und strengen Kontrollen. Versagt diese Überwachung, kann Krebs entstehen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen haben jetzt in Zusammenarbeit mit Onkologen des Göttinger Universitäts-Klinikums ein sogenanntes Kanal-Protein als Onkogen – als Krebs-Auslöser – entlarvt. Dieses Protein findet man normalerweise nur im Gehirn; es steuert als eine Art Schleuse den Fluß von Kalium-Ionen durch die Membran von Nervenzellen. Tritt das Protein jedoch an Geweben außerhalb des Gehirns auf, löst es die unkontrollierte Teilung und Vermehrung von Zellen aus: Der "deplatzierte" Kalium-Kanal wird zum Onkogen. p> Die Zellen eines Organismus nutzen sich mit der Zeit ab. In fast allen Geweben des Körpers – mit Ausnahme des Gehirns – läuft deshalb ein ständiger Erneuerungsprozeß, in dem gealterte Zellen durch neue ersetzt werden. Dabei muß zwischen Auf- und Abbau, also zwischen Zellteilung und Zelltod, ein fein abgestimmtes Gleichgewicht gehalten werden. Andernfalls, wenn diese Balance verlorengeht, droht Krebs.

Eine Zelle soll sich dann und nur dann teilen, wenn es die Umstände erfordern. Die Signale zur Teilung werden über ein Register von Botenstoffen – von sogenannten Wachstumsfaktoren – vermittelt. Neben diesen Signalstoffen wirken komplexe Kontrollmechanismen mit: Sie gewährleisten, daß sich eine Zelle zum richtigen Zeitpunkt teilt, und sie überwachen jeden Teilungsschritt bis zum erfolgreichen Abschluß. Wird an einem dieser Kontrollpunkte eine Abweichung von der Norm festgestellt, führt das zur sofortigen Zerstörung der Zelle.

Allerdings kann dieses komplizierte Sicherungssystem versagen, etwa, wenn sich eine Zelle ohne Signale von außen zu teilen beginnt, wenn eine der Kontrollen versagt, oder wenn eine abnorme Zelle nicht planmäßig zerstört wird. Insofern kann jedes der Proteine, die an der Zellteilung und deren Überwachung beteiligt sind, zum Auslöser von Krebs werden, falls es nicht ordnungsgemäß funktioniert: Man nennt diese Proteine deshalb Proto-Onkogene.

Ein solches Proto-Onkogen wird zum Onkogen, also tatsächlich zum Krebsauslöser, sobald es seine angestammte Funktion im Rahmen der Zellteilung nicht mehr erfüllt: entweder, weil es infolge einer Mutation eine veränderte Struktur aufweist, die es "arbeitsunfähig" macht, oder weil es zur falschen Zeit und/oder am falschen Ort bereitgestellt wird.

Das Onkogen, das Wissenschaftler an der von Walter Stühmer geleiteten Abteilung des Göttinger Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin jetzt aufgespürt haben, kennt man ursprünglich von bestimmten Mutanten der Taufliege Drosophila. Es handelt sich um ein Protein, das als Schleuse für Kalium-Ionen in der Membran von Nervenzellen fungiert. Sein Ausfall bei den Drosophila-Mutanten führt dazu, daß sich die Fliegen unter Ether rhythmisch bewegten. Es wurde deshalb "Ether-á-go-go" getauft, oder kurz EAG.

In der Folge wurden analoge Gene beziehungsweise Proteine auch bei Ratten und Menschen nachgewiesen. Bei diesen Säugern wird die genetische Information für EAG normalerweise nur in Nervenzellen des Gehirns exprimiert, das heißt, abgerufen und "verwirklicht". Das EAG-Protein, der Kalium-Kanal, spielt hier eine wichtige Rolle für die elektrische Erregbarkeit und Reizleitung der Nervenzellen.

Überraschend war nun die Entdeckung der Forscher des Göttinger Max-Planck-Instituts, daß das EAG-Protein in die Zellteilung eingreift, wenn es fälschlicherweise – durch fehlgesteuerte Expression – in Geweben außerhalb des Gehirns gebildet wird. Dabei, so ließ sich experimentell zeigen, wirkt EAG als potentielles Onkogen: Zellen, die man durch genetische Modifikation dazu gebracht hatte, das EAG-Protein zu bilden, teilten sich in der Folge auch unabhängig von Wachstumsfaktoren. Und bei Mäusen wucherten Tumore deutlich stärker, wenn die Tumorzellen auch das EAG-Protein erzeugten.

Außerdem ließ sich in verschiedenen Zell-Linien, die man aus Tumoren des Menschen abgeleitet hatte, das EAG-Protein nachweisen – im Unterschied zu "normalen" Zellen aus entsprechenden Geweben. Das bedeutet, daß der Nachweis von EAG in Geweben außerhalb des Gehirns als Hinweis auf eine maligne Entartung, auf das Vorliegen von Krebs, zu werten ist: Das macht EAG aus diagnostischer Sicht, als "Krebs-Marker", interessant.

Doch auch für die Therapie weckt EAG Hoffnungen. Denn durch gezielte Blockade der EAG-Expression ließ sich die Teilungsrate von Tumorzellen, die das EAG-Protein bildeten, deutlich reduzieren. Das heißt, daß EAG als mögliches Target, als "Zielscheibe", für eine medikamentöse Therapie zumindest solcher Tumoren in Frage kommt, die durch den "deplatzierten" Kalium-Kanal ausgelöst wurden oder durch sein Zutun wachsen. Und ein solches, auf EAG zielendes Medikament hätte den besonderen Vorzug, daß es kaum Nebenwirkungen hätte. Denn das zentrale Nervensystem ist durch die sogenannte Blut-Hirn-Schranke gegen den übrigen Organismus abgeschottet: An seinem angestammten Ort, im Gehirn, wäre das EAG-Protein vor dem Medikament geschützt; es würden also zielgenau nur die Tumorzellen getroffen.

Allerdings warnen die Wissenschaftler vor frühzeitigen Erwartungen: Erst eine umfangreiche klinische Erprobung wird zeigen, ob sich dieses Verfahren für die Therapie von Krebs eignet.

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