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News: Ferne Verwandtschaft

Bakterien und Co sind klein und häufig genug, um ihre Gene fast überallhin zu transportieren - und somit die genetische Mischung der globalen Mikrobenvölker recht eintönig zu gestalten. Gibt es überhaupt noch regionale Besonderheiten in der Mikroorganismenwelt?
Die Krone der Schöpfung? Keine Frage für Mikrobiologen: Bakterien, natürlich. Schließlich erreichen die winzigen Einzeller mit Abstand die höchsten irdischen Bevölkerungszahlen, hatten seit Anbeginn allen Lebens kaum Anlass, ihre äußere Form grundlegend zu ändern, und besiedeln erfolgreich alle nur denkbaren Winkel unseres Planeten. Ob nahrhafter Ackerboden, weltraumnahe Atmosphärenschichten, tiefstes Erdgestein oder blubbernd kochende Schwefelquellen: Bakterien – und die ebenfalls zu den Prokaryoten zählenden Archaea – finden sich überall.

Besonders gemütlich machen es sich die verschiedenartigen Stämme jeweils in den ihnen genehmen Nischen. Gelegentlich aber stolpern Wissenschaftler auch über Ausreißer in Lebensräumen, in denen gerade diese Spezies eigentlich nichts zu suchen hätte – etwa über extrem hitzeliebende Einzeller im kalten Ozeanwasser des Polarmeers. Anders als für größere Organismen existieren für die Mikroorganismen offenbar keine unüberwindbaren geographischen Barrieren zwischen verschiedenen Lebensräumen – irgendeinen Weg zu Lande, zu Wasser oder in der Luft findet sich immer.

Demnach, so schloss schon 1934 der Populationsbiologe Baas-Becking in einer klassischen biogeographischen Arbeit, ist für Mikroben ein ehernes Gesetz der Artbildung völlig unbedeutend, nach dem sich zwei neue Spezies entwickeln, wenn zwei Subpopulationen einer Ursprungsart durch geographische Umstände voneinander isoliert werden – und somit kein genetischer Austausch zwischen ihnen mehr stattfindet. In der grenzenlosen Welt jener Mikroorganismen entstünden, so die verbreitet akzeptierte Überlegung Baas-Beckings, neue Spezies also allein aufgrund ihrer spezifischen Anpassung an zufällig vorgefundene Lebensräume. Einige wenige Ausreißer einer Spezies pendelten stets zwischen diesen nicht abgegrenzten Nischen hin und her und sorgten für genetischen Austausch. Der Verwandtschaftsgrad zwischen den in einzelnen Habitaten heimischen Arten von Bakterien und Archaea auf der ganzen Welt hinge demnach nur noch von den Umweltbedingungen ihrer Lebensräume ab.

Ob das wirklich so ist, fragten sich nun Rachel Whitaker von der University of California at Berkeley und ihre Kollegen. Sie isolierten für eine genetische Verwandtschaftsanalyse zu den Archaea gehörende Organismen von Sulfolobus solfataricus aus deren bevorzugtem Lebensraum – heißen, sauren Schwefelquellen – in neun unterschiedlichen Regionen von Island über Russland bis zum Norris Geyser Basin im amerikanischen Yellowstone National Park. In allen Regionen sammelten sie zudem Sulfolobus-Vertreter aus Quellen mit lokal abweichenden Umweltbedingungen wie unterschiedlichen Gesteinen, deren Geochemie sich auf die chemische Zusammensetzung des Wassers auswirkt.

Die Wissenschaftler verglichen dann alle Stämme anhand von neun verschiedenen Gensequenzen. Den Verwandtschaftsgrad zwischen den einzelnen Gruppen machten sie an der unterschiedlichen Zusammensetzung von neutralen Mutationen innerhalb dieser Sequenzbereiche fest.

Nach klassischer Lehre sollte die geographische Herkunft der Bakterien keinen Einfluss auf ihren Verwandtschaftsgrad haben und sich nur solche Stämme stärker ähneln, die auch aus geochemisch ähnlichen Quellen stammen – egal, ob diese russisch, amerikanisch oder isländisch waren. Genau das sei nicht der Fall, so Whitaker: Populationen benachbarter, dabei aber teilweise geochemisch unterschiedlicher Quellen einer Region waren genetisch relativ einheitlich – hier hatte ein genetischer Austausch stattgefunden. Überregional dagegen unterschieden sich die einzelnen Stämme: Amerikanische Sulfolobus waren näher verwandt mit ihresgleichen als mit Isländern, diese untereinander stärker als mit russischen Stämmen – unabhängig davon, wie ähnlich sich die geochemischen Bedingungen einzelner Quellen waren. Offenbar also existierten auch für die Prokaryoten durchaus geographische Barrieren – und somit seien die genetische Vielfalt und der Artenreichtum der Archaea vielleicht viel größer als bislang angenommen.

Das wäre nur eine Interpretationsmöglichkeit, meint dazu Tom Fenchel von der University of Copenhagen. Es könnte aber auch nur die Ausnahme sein, welche die Regel insgesamt bestätigt. Immerhin sei der hitze- und säureliebende Sulfolobus ein extremer Spezialist mit besonderen Ansprüchen an seine Umwelt. Jetzt gelte es zu überprüfen, ob auch andere Arten ähnliche geographische Eigenheiten zeigen. Die mikrobielle Entsprechung der australischen Beuteltiere oder Galapagos-Riesenschildkröten, die eine lange, einsame Evolution hinter sich haben, stehe jedenfalls noch aus.

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