Festkörperphysik: Seltsamer Materialzustand verbindet Isolator und Metall

Üblicherweise sind Materialien entweder Metall oder Isolator, das heißt, die Ladungsträger können sich in ihnen frei bewegen oder nicht. Zwar scheinen sich die Elektronen manchmal in einem mysteriösen Zwischenbereich zu befinden, aber solche Beobachtungen galten als schwer erklärbare Anomalien. Wie die Festkörperphysiker Juraj Krsnik und Karsten Held von der TU Wien berichten, sind solche Übergangszustände keineswegs Außenseiter. Vielmehr treten sie regelmäßig auf. Laut den Forschern offenbart sich hier eine ganz neue Klasse von Materialien.
Es hängt von der Energie der Elektronen ab, ob sie zwischen den Atomen des Materials umherflitzen oder ob sie an einzelne Atome gebunden bleiben. Das passiert jeweils in Bereichen mit gewissen möglichen Energien, so genannten Energiebändern. Dort haben die Ladungsträger dann auch typische Geschwindigkeiten oder Impulse. Zustände dazwischen sind verboten – eigentlich.
Doch bei einigen Stoffen zeigte sich bereits vor rund 20 Jahren eine seltsame Verbindung: Bei bestimmten, eng begrenzten Werten für die Impulse steht den Elektronen plötzlich mehr als nur ein Energieniveau offen; dann können sie sowohl ins höher als auch ins tiefer gelegene Energieband gelangen. Ein schmaler »Wasserfall« scheint beide zu überbrücken. Der Vorgang tritt bei Oxiden so genannter Übergangsmetalle auf, etwa bei Cupraten und Nickelaten, die seit Jahren auch als Hochtemperatursupraleiter Aufmerksamkeit erregen. Fachleute entwickelten diverse komplizierte Erklärungen, etwa Kopplungen an verborgene Teilchen oder Quasiteilchen im Material.
Krsnik und Held untersuchten das Phänomen näher. Dafür modellierten sie die Wechselwirkungen zwischen den Elektronen und im Material im Detail und glichen ihre theoretischen Ergebnisse mit den Resultaten von vergangenen Experimenten ab. Ihre überraschende Erkenntnis: Der Vorgang ist nicht so außergewöhnlich wie gedacht. Im Gegenteil scheint er sogar regelmäßig aufzutreten – immer dann, wenn sich ein Energieband von einem zweiten abspaltet. Deswegen prägen die Physiker in ihrer Publikation statt des Wasserfalls die Metapher der Nabelschnur, die bei der Geburt eines Energiebands noch eine Zeit lang Mutter- und Tochterband verbindet.
Ihre Erklärung rückt das Phänomen jedenfalls nicht nur begrifflich, sondern auch physikalisch näher an den Alltag. Sie benötigt keine exotischen Effekte, sondern hängt lediglich von der Wechselwirkung der Elektronen untereinander ab. Das weist auf eine weitere Zustandsklasse bei den Festkörpern hin, wie Held in einer Mitteilung feststellt: »Zwischen elektrischen Leitern und Isolatoren gibt es doch noch mehr an Materialwissenschaft, als man bisher dachte.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.