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News: Feuchter Kühler

Eisdämme versperrten vor 90 000 Jahren nordrussischen Flüssen den Zugang zum Nordmeer und stauten dadurch riesige Seen an ihren südlichen Rändern auf. Das Klima reagierte kühl.
Vor 90 000 Jahren hatte sich in Nordrussland eine gigantische, allerdings frostige Badelandschaft gebildet: Riesige Seen, die zusammengenommen die doppelte Fläche des Kaspischen Meeres einnahmen, schwappten gegen die Südränder der Eisflächen, die sich damals über der Barents- und Karasee ausdehnten. Wie ein Damm versperrten die Eismassen den nordwärts entwässernden Flüssen der Region den Weg und stauten die strömenden Wassermassen auf.

Ein solcher Stau, der die Seespiegel immerhin um einen Meter pro Jahr ansteigen ließ, hat Folgen – nicht nur für die karge Lebewelt, sondern auch ganz erheblich für das Klima. Gerhard Krinner vom Laboratoire de Glaciologie et Geophysique de l'Environnement und seine Kollegen versuchten daher, anhand von Simulationen den Einfluss der riesigen Wasserflächen auf die lokalen Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse und das Wachstum der Eisströme zu bestimmen. Dazu rekonstruierten sie im Computer die damaligen Verhältnisse – und zwar einmal mit und einmal ohne Seen.

Die Ergebnisse zeigen: Obwohl die Temperaturen damals schon frisch waren, mit der Entstehung der Seen wurden sie noch ein bisschen kühler. Denn die großen Wasserkörper wirkten als effektive Wärmespeicher – obwohl sie selbst nur um die vier Grad Celsius das ganze Jahr über aufwiesen und trotz ständigen Zuflusses auch aus dem nördlich gelegenen Eiskörper monatelang eisbedeckt blieben. Um bis zu zehn Grad Celsius, so zeigen die Berechnungen, senkten die Gewässer die Sommertemperaturen im Vergleich zur selben Landschaft ohne Seen. Und dieser Abkühlungseffekt müsste noch bis in 1000 Kilometer Entfernung spürbar gewesen sein. Mit der Temperatursenkung ging zudem eine Veränderung der Windverhältnisse über den eisigen Flächen einher: Die Luftströmungen strichen langsamer darüber und transportierten dadurch weniger Wärme nach unten.

Aus Sicht der Eisdecken alles positive Effekte: Weniger Wärme bedeutet weniger Schrumpfen. Offenbar hatte sich der Abfluss von Schmelzwasser auf Seeseite dadurch um 500 Millimeter pro Jahr oder etwa die Hälfte des jährlichen Mittels reduziert – und sicherte so die eisige Zukunft des nördlichen Spenders.

Lange allerdings half den Eisströmen dieser Rückkopplungsmechanismus nicht. Als sie gerade in jenem Zeitraum wohl ihre größte Ausdehnung erreicht hatten, machte ihnen die Sonne einen Strich durch die Rechnung: Aufgrund einer damals einsetzenden, um zwölf Prozent steigenden Einstrahlung und damit verknüpften wärmenden oder wärmefördernden Veränderungen in der Schnee-Albedo, den Meeresströmungen, der Vegetation und den Treibhausgaskonzentrationen begann nun doch das große Tropfen. Und sobald sich die Eismassen weit genug zurückgezogen hatten und der Abfluss Richtung Norden wieder freilag, war auch das Schicksal der Seen besiegelt, die nun ihre Wassermassen in die Barents- und Karasee entließen. Schon stiegen auch die Sommertemperaturen wieder an und beschleunigten weiter den Rückzug der Eisdecken.

Ähnliche Prozesse dürften mehrmals während der Eiszeiten und auch in Nordamerika südlich des Laurentischen Eisschildes abgelaufen sein. Es wird sogar vermutet, dass die Seen dort, als sie gegen Ende der letzten eisigen Periode ihre Wassermassen plötzlich ins Meer ergießen konnten, durch ihr süßes Wasser die warme Strömung des Golfstroms ablenkten und so noch einmal eine Abkühlung auslösten. Ob der Durchbruch zur Barentssee einige zehntausend Jahre früher ähnliche Folgen hatte, darüber können die Wissenschaftler nur spekulieren. Zum Ende der Eiszeit aber war das ganz bestimmt nicht der Fall: Selbst zum Höhepunkt der letzten Eiszeit, also vor etwa 18 000 Jahren, war das Barentssee-Eisschild nicht mehr ausreichend herangewachsen, um eine südliche Seenplatte auszulösen. Die Zeiten des See-bedingten sommerlichen Frierens waren dort endgültig vorbei.

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