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Glaziologie: Firn bremst Meeresspiegelanstieg

Grönlands Eis wird dunkler

Seit etwas mehr als 30 Jahren – dem Beginn moderner Satellitenüberwachung – weitet sich das Volumen und die Flächenausdehnung der grönländischen Gletscherschmelze nahezu kontinuierlich aus: In immer kürzeren Abständen werden alte Rekordwerte gebrochen, zuletzt im Lauf der letzten Monate. Und das Tauwetter beeinflusst mittlerweile fast das gesamte Eisschild der größten Insel der Erde. Doch nur ein Teil des Schmelzwassers fließt ins Meer und sorgt für einen Anstieg der Pegelstände. Größere Mengen verschwinden hingegen auch in einem bislang kaum beachteten Speicher, den Forscher um Joel Harper von der University of Montana in Missoula nun erstmals quantifiziert haben: im Firn, der auf dem eigentlich Eis der Gletscher liegt.

Die Schmelze weitet sich aus | Im letzten Juli erlebte Grönland eine außergewöhnliche Wärmeperiode, in deren Folge sich die Gletscherschmelze zeitweilig auf die gesamte Insel ausweitete. Waren am Anfang nur 40 Prozent des Eisschilds betroffen (links), galt dies vier Tage später praktisch für 100 Prozent der Gletscher (rechts) – ein Extremereignis, das selbst gestandene Klimaforscher überraschte.

Der Firn besteht aus vorjährigem Schnee, der durch mehrmaliges Tauen und erneutes Gefrieren nicht mehr die feine Kristallstruktur von Schnee aufweist, aber noch nicht so stark kompaktiert ist wie Eis. Stattdessen setzt sich der Firn aus größeren, graupelartigen Körnern zusammen und bildet Schichten, die mehrere Dutzend Meter mächtig sein können und noch ein entsprechend großes Porenvolumen besitzen. Während der sommerlichen Tauperiode versickert darin Schmelzwasser: Manches davon fließt anschließend durch Spalten und Risse im Gletscher bis zum Grund und wirkt dort als Gleitmittel, das die Bewegung des Eiskörpers beschleunigt, ein anderer Teil strömt direkt durch Schmelzwasserröhren an die Küste. Beträchtliche Mengen werden aber nach den Erkenntnissen von Harper und Co auch im Firn gespeichert, wo es im nächsten Winter zu neuem Eis gefriert.

Grönlands Eis wird dunkler |

Ungestört brennt die Sonne auf Grönlands Eisschild. Aber das Weiß schützt sich selbst: Die Eiskristalle reflektieren über die Hälfte der einfallenden Strahlung. So bleibt nur noch ein Rest, der absorbiert wird und das Eis schmelzen lässt.

Doch seit einigen Jahren zeigen Satellitenbilder, dass der Anteil des zurückgeworfenen Lichtes – die Albedo – abgenommen hat. Eine dunklere Oberfläche bedeutet aber auch mehr Absorption und damit mehr Wärme im Eis.

Die obere Grafik zeigt die Differenz zwischen den Reflexionswerten des Sommers 2011 und dem Durchschnitt aus den Jahren 2000 bis 2006. Nahezu überall hat sich die Albedo verringert, in manchen Regionen sogar um bis zu 20 Prozent. Ursachen dafür sind, dass durch die Eisschmelze an manchen Stellen die dunkle Bodenoberfläche ans Tageslicht kommt, aber auch Schmelzwassertümpel oder Staubdecken auf den Eisfeldern.

Doch im Inneren des Landes greift ein anderer Mechanismus, erklärt Jason Box von der Ohio State University: Mit steigenden Temperaturen verändern sich die Eiskristalle nahe der Oberfläche. Sie klumpen stärker zusammen und verlieren die filigrane Struktur, die weit mehr Reflexionsflächen bietet (siehe unteres Bild).

Ausgehend von den Daten eines 85 Kilometer langen Transekts, das die Forscher in Westgrönland in einer Höhe von 1180 bis 2000 Metern über dem Meer bearbeiteten und mit Satellitenaufzeichnungen kombinierten, kann der Firn der Insel zwischen 320 und 1290 Gigatonnen Wasser aufnehmen; erst dann erreicht das Porenvolumen seine Sättigungsgrenze. Zum Vergleich: Grönland verliert momentan durchschnittlich etwa 290 Gigatonnen Eis pro Jahr (bei einer Gesamtmenge, die bei rund 2,9 Millionen Gigatonnen liegt). Wegen der unterschiedlichen Dichte von Wasser und Eis reiche die Speicherkapazität des Firns daher selbst unter den extremsten Aufheizungsszenarien der Klimaforscher mit bis zu sechs Grad Celsius Temperaturanstieg noch für 15 bis 20 Jahre, so die Glaziologen – bei gemäßigteren Modellen drei Jahrzehnte und länger. Dadurch werde der Meeresspiegelanstieg gebremst, sobald die Porenkapazität jedoch erschöpft sei, regeneriere sich der Speicher nur sehr langsam wieder, schreiben die Forscher. Der Firn verschafft den Deichbauern rund um die Erde also nur eine zeitweilige Atempause.

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