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Ernährungsgeschichte: Flaschenfütterung schon vor Jahrtausenden

Bereits in der Vorgeschichte bekamen Kleinkinder Milch aus »Fläschchen«. Das belegen chemische Analysen an bronze- und eisenzeitlichen Tongefäßen. Doch als diese Ernährungsweise vor mehr als 7000 Jahren entstand, hatte das Folgen für die Bevölkerungsentwicklung.
Vorgeschichtliches Babyfläschchen im Test

Im Detail sehen die Gefäße unterschiedlich aus – manche stellen Tiere dar, andere ähneln mehr einer Suppenkelle. Doch allen ist gemeinsam, dass sie nicht mehr als zehn Zentimeter hoch sind und sich an der Wandung eine Tülle, eine Art Röhrchen, befindet. Forscher interpretieren solche Behälter meist als »Babyfläschchen«, von denen die ältesten bekannten Exemplare aus dem europäischen Neolithikum, aus der Zeit zwischen 5500 bis 4800 v. Chr., stammen. Für diese Deutung spricht auch, dass viele dieser Gefäße in Kindergräbern entdeckt wurden. Doch fütterte man damit tatsächlich einst kleine Kinder? Sehr wahrscheinlich ja, wie nun Forscher um die Chemikerin Julie Dunne von der University of Bristol in einer »Nature«-Studie beschreiben.

Die Forscher untersuchten drei Tongefäße, die in vorgeschichtlichen Kindergräbern ans Licht kamen. Zwei Tüllentöpfchen fanden sich in einem eisenzeitlichen Gräberfeld beim bayerischen Dietfurt, das zwischen 800 und 450 v. Chr. in Nutzung war. Das dritte Gefäß ist älter, es entstand in der Spätbronzezeit zwischen 1200 und 800 v. Chr. und stammt aus einem Gräberfeld in Augsburg-Haunstetten. Dunne und ihre Kollegen spürten an den Gefäßen die Reste von tierischen Fettsäuren auf. Dazu führten sie eine Isotopenanalyse durch und nahmen zudem einen »molekularen Fingerabdruck« der Fettsäuren. Das Fazit: Alle drei Gefäße enthielten einst tierische Milch. Spezifische Tierarten ließen sich zwar nicht bestimmen, dafür aber, dass es sich bei den Tieren um Wiederkäuer gehandelt haben muss, also die Milch von Kühen, Schafen oder Ziegen stammte.

Bronzezeitliche Gefäße zum Füttern | Diese »Babyfläschchen« werden zwischen 1200 und 800 v. Chr. datiert. Sie kamen an Fundorten in Österreich ans Licht. Typisch für diese Gefäßform sind die Tüllen, die röhrenförmigen Fortsätze an der Wandung.

Das Ergebnis der Studie liefert auch Hinweise darauf, wie Babys und Kleinkinder in der Vorgeschichte ernährt wurden, vor allem, wenn ihre Mütter begannen, sie abzustillen. So haben schon frühere Stickstoff-Isotopenanalysen an Knochen und Zähnen gezeigt, dass Kleinkinder zu unterschiedlichen Zeiten abgestillt wurden – je nachdem, ob der Nachwuchs zu einer Jäger-und-Sammler- oder einer Bauernkultur gehörte. Wildbeuter-Mütter haben ihre Säuglinge offenbar deutlich länger gestillt – zum Teil mehrere Jahre lang – als die Frauen sesshafter Bauernkulturen. Sie fütterten ungefähr im Alter von sechs Monaten mit Tiermilch und Getreide zu und stellten die Ernährung dann im Alter von zwei oder drei Jahren ganz um.

Wie Dunne und ihre Kollegen erklären, garantierte die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht eine stabilere Nahrungsversorgung. Erst so war es möglich, Babys mit Milch von domestizierten Nutztieren zu füttern und früher abzustillen. Das hatte dauerhafte Folgen für die Bevölkerungsentwicklung der Jungsteinzeit: Während Mütter die Brust geben, können sie im Normalfall nicht schwanger werden. Durch das zeitigere Abstillen konnten die Frauen der Bauernkulturen also schneller wieder Kinder bekommen als die Wildbeuter-Frauen. Das würde neben anderen Aspekten die so genannte Neolithic Demographic Tansition erklären, den neolithischen Bevölkerungswandel. Denn mit Beginn der Jungsteinzeit vor rund 9000 Jahren stieg die Geburtenrate, und in der Folge wuchs die Bevölkerung der Bauerngesellschaften stark an.

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