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Botanische Sensoren: Fleisch fressende Pflanze arbeitet mit Gasradikalen

Insekten fangen mit Ozon? Wenn es blitzschnell gehen soll, nutzen Fleisch fressende Pflanzen reaktive Gasatome als Signalgeber. Nicht ganz auszuschließen, dass dies die Gewächse einmal zu beliebten Versuchskaninchen von Zellphysiologen werden lässt.
Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula)

Die Insekten fressende Venusfliegenfalle schnappt sich unvorsichtige Tierchen mit spezialisierten Fangblättern: Sobald ein Opfer eine oder mehrere der sechs Fangborsten auf den Blattseiten touchiert, greifen diese ineinander, schließen sich blitzschnell und verhindern eine Flucht. Als Alarmreiz, so dachten Generationen von Botanikern, sollte dabei eine leichte Berührung der Borstensensoren ausreichend sein. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, wie ein Team von Forschern um Vladimir Kolobov von der University of Alabama auf der »Gaseous Electronics Conference« Experten und den Wissenschaftsreportern von »Science« berichtet hat: Ganz offenbar spielen blitzartig freigesetztes Ozon oder reaktive Sauerstoff- oder Stickstoffradikale eine wichtige Rolle dabei, die grüne Sensorik beim Zuschnappen rasch systemweit zu aktivieren.

Aufmerksam wurden die Forscher bei einem zunächst einigermaßen bizarr anmutenden Vorexperiment: Sie hatten im Labor mit einem elektrischen Generator bei Raumtemperatur Jets aus ionisierter Luft, also kaltes Plasma erzeugt und über Blattoberflächen sowie die Zilien geleitet, die den Venusfliegenfallen als Sensoren dienten. Dies sorgte stets für ein sofortiges Zuschnappen des Fallenmechanismus – und zwar auch dann, wenn das Gas so sanft über die Sensoren strich, dass sie im Normalfall nicht auslösen würden. Ganz offenbar spielen demnach die Ionen des Plasmas eine Rolle, so die Forscher. In Frage kommen dabei reaktive Varianten der Gasatome – etwa Ozon, das im Labor wie in der Natur nach einem Blitz in der Luft gebildet wird –, aber auch reaktive Stickstoffspezies.

Solche im Plasma häufigeren Gasatomvarianten – reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies oder RONS – kennt man generell in der Biologie von Zellen nicht nur als Radikalschädlinge im Gewebe, sondern auch als nützliche physiologische Signalgeber, etwa in Muskeln. Bei den Venusfliegenfallen scheinen sie ebenfalls eine wichtige Sensorsignalfunktion zu übernehmen, so die Forscher um Kolobov: Der Schnappmechanismus löst immer aus, wenn versuchsweise Lösungen mit reaktiven Molekülen wie H2O2 auf die Blätter appliziert wurden, nicht aber bei Wasser. Insgesamt könnte die Beobachtung mehr als ein Kuriosum sein, hoffen die beteiligten Wissenschaftler. Immerhin sei es möglich, direkt an der Pflanze die Wirkung von RONS nachzuvollziehen, während ihre Wirkung in physiologischen Prozessen sonst jeweils aufwändige Studien an Zellkulturen notwendig macht.

Die neurosensorische Verschaltung ist bei Venusfliegenfallen allerdings komplexer, als es zunächst den Anschein hat: Die Pflanze muss zwar blitzschnell auf Signale reagieren, um tatsächlich Insekten fangen zu können; zudem muss sie ihre Reaktionen aber austarieren, um nicht etwa auf jeden Regentropfen oder ein vom Wind herangetragenes Blättchen loszugehen. Verschiedene Sicherheitsvorkehrungen sorgen daher dafür, dass der Alarm sinnvoll gesteuert wird und alle nachfolgenden Prozesse – etwa die Produktion von Verdauungsenzymen in Drüsenzellen – nicht ständig unnötig hochgefahren werden.

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