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Ernährung: Fleisch - Kraftspender oder Krankmacher?

Eisenspender und Cholesterin - Fleisch scheint gute und schlechte Seiten zu haben. Langsam ergründen Mediziner, wie gesund oder ungesund sein Konsum tatsächlich ist.
Salami, Schinken, Wurst

Wann genau unsere Vorfahren anfingen, Fleisch zu essen, ist unter Anthropologen noch eine Streitfrage. Immerhin: Zwei Säugetierknochen, die eindeutige Schnitt- und Schlagspuren von Steinwerkzeugen aufweisen, wurden auf 3,4 Millionen Jahre datiert. Ungewiss ist auch, wie viel Fleisch diese Urahnen aßen und ob der Wechsel von einer rein pflanzlichen zu einer gemischten Kost mit dafür verantwortlich war, dass unser Gehirnvolumen so stark zunahm. Denn unser Gehirn verbraucht enorm viel, etwa 20 Prozent der mit der Nahrung aufgenommenen Energie, und Fleisch und Fett sind kalorienreicher als Wurzeln und Früchte. Anthropologen gehen dabei von einem Synergie-Effekt aus: Das wachsende Gehirn erlaubte eine bessere Kommunikation und damit eine bessere Absprache der Jagdtechniken, was wiederum zu einer besseren Nahrungsversorgung führte. Für die Menschwerdung könnte Fleisch somit ein Schlüsselfaktor gewesen sein. Doch müssen Menschen im 21. Jahrhundert immer noch Fleisch essen?

Kein anderes Nahrungsmittel ist wohl so umstritten wie Fleisch: Gemüse und Obst gelten eindeutig als gesund, Chips und Süßigkeiten dagegen nicht – bei Fleisch jedoch scheiden sich die Geister. Vegetarier verzichten oft aus moralischen, vielfach aber auch aus gesundheitlichen Gründen vollständig auf den Konsum von Fleisch, während Anhänger der so genannten Paläo-Diät dieses wegen Letzterem täglich auf ihren Speiseplan setzen. Und tatsächlich liefert Fleisch hochwertige, leicht bekömmliche Proteine sowie zahlreiche Vitamine und Spurenelemente wie Vitamin B12, Eisen und Zink. Andererseits zeigen zumindest zahlreiche epidemiologische Studien, dass Fleischesser ihr Risiko steigern, an Krebs, Diabetes oder einem Herzleiden zu erkranken. Sollte man der Gesundheit zuliebe also besser doch auf Fleisch verzichten?

Fleisch ist nicht gleich Fleisch

Zunächst einmal gilt es zwischen verarbeitetem Fleisch wie Salami und Grillwürsten und unverarbeitetem, reinem Muskelfleisch zu unterscheiden. Wer täglich mehr als 40 Gramm Wurstwaren isst, hat nach den Ergebnissen einer aktuellen Studie, ein erhöhtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKL) oder Krebs zu sterben [1]). Für unverarbeitetes, rotes Fleisch sowie für Hühnerfleisch fand Sabine Rohrmann, Leiterin der Abteilung Epidemiologie und Prävention von Krebs an der Universität Zürich, allerdings keinen solchen Zusammenhang. Rohrmann stützte sich für ihre Berechnungen auf die Daten der EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), die 448 568 Menschen aus zehn Ländern umfasst, die seit 1992 beobachtet werden. Auf das gleiche Ergebnis – Wurst schadet, Fleisch nicht – kam vor drei Jahren zudem eine Metastudie, in welche die Daten von mehr als einer Million Teilnehmern einflossen [2]. Andere amerikanische Studien attestierten hingegen auch Steak-Liebhabern ein erhöhtes Risiko für Krebs und HKL-Erkrankungen [3]. Das globale Forschungsnetzwerk World Cancer Research Fund warnt entsprechend vor einem hohen Fleischkonsum. "Es spricht viel dafür, dass der Zusammenhang auch für rotes Fleisch existiert, aber nicht alle Studien zeigen ein einheitliches Ergebnis", sagt Rohrmann.

Wurstwaren | Roher Schinken und Salami sind sehr fettreich – und damit potenziell gesundheitsschädlich, wenn sie in größeren Mengen gegessen werden. Oder doch nicht?

Das könnte jedoch auch an der Natur epidemiologischer Beobachtungsstudien liegen: Solche Studien beweisen nicht direkt, dass das Essen von Wurstwaren oder Fleisch Krebs oder Diabetes auslöst, sie zeigen lediglich eine Korrelation zwischen verschiedenen Faktoren und potenziellen Folgen auf. Allerdings ist es schwierig, den Fleischkonsum von anderen Ernährungs- und Lebensstilfaktoren zu unterscheiden. In der EPIC-Studie aßen die Teilnehmer, die viel Wurst und viel rotes Fleisch zu sich nahmen, wenig Obst, rauchten mehr, und viele Männer tranken zudem überdurchschnittlich große Mengen Alkohol. Um eine Verfälschung der Ergebnisse zu vermeiden, rechnen Forscher Faktoren wie Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel zwar heraus. Dennoch bleiben Unsicherheiten bestehen. Das zeigt auch das Ergebnis einer Vegetarierstudie, die sich ebenfalls auf die Daten der EPIC-Studie stützt: Vegetarier hätten demnach ein geringeres Risiko, an einer Gefäßerkrankung zu sterben [4]. "Wir wissen allerdings nicht, ob der letzte Schritt, der Verzicht auf das Fleisch, eine entscheidende Rolle spielt", sagt Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Denn Vegetarier essen nicht nur kein Fleisch, sie leben generell gesünder: Sie treiben häufiger Sport, sind schlanker und rauchen seltener.

Fettsäuren als potenzielle Übeltäter

Als potenzielle Übeltäter machen Mediziner die gesättigten Fettsäuren aus, die in Fleisch und vor allem in Wurst reichlich enthalten sind. Das Dogma lautet: Gesättigte Fettsäuren erhöhen die Menge des "bösen" LDL-Cholesterins (Low density Lipoprotein). Und ein hoher LDL-Cholesterin-Spiegel fördert die Arteriosklerose: Blutgefäße werden durch die Einlagerung von Cholesterin, Kalk und Bindegewebe enger und steifer, was wiederum das Risiko für eine HKL-Erkrankung erhöht. "Das ist in dieser Schlichtheit falsch", sagt Bernhard Watzl, Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max-Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. "Ein hoher Cholesterinspiegel allein sagt erst einmal wenig aus über das HKL-Erkrankungsrisiko einer Person. Es gibt Menschen, die genetisch bedingt einen erhöhten Cholesterinspiegel haben. Sind andere Risikofaktoren ausgeschlossen – das heißt, ist eine Person schlank, raucht nicht und treibt Sport –, hat sie kein nennenswert erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden."

Auch ist heute klar, dass sich der Cholesterinspiegel nicht in dem Ausmaß über die Ernährung, also den Verzicht auf Butter, Käse, Wurst und Fleisch, regulieren lässt, wie lange angenommen: "Es gibt verschiedene Typen. Bei den einen ist der Cholesterinspiegel über die Ernährung nicht zu steuern, bei den anderen nur bis zu einem gewissen Umfang", sagt Watzl. Mittlerweile ist selbst das Frühstücksei – jahrzehntelang als Cholesterinbombe verschrien – rehabilitiert und wird gar als Teil einer gesunden Ernährung empfohlen [5].

Das Fett-Cholesterin-Dogma bröckelt also. Denn mittlerweile ist klar, dass manche gesättigten Fettsäuren nicht nur das LDL-Cholesterin, sondern auch das "gute" HDL-Cholesterin (High density Lipoprotein) erhöhen und damit das Verhältnis des Gesamtcholesterins verbessern. Entsprechend viele Studien finden keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme gesättigter Fettsäuren und der Ausbildung von HKL-Erkrankungen [6]. Einige Wissenschaftler zweifeln daher die schädliche Wirkung gesättigter Fettsäuren mittlerweile an [7]. Glen Lawrence, Professor der Biochemie an der Long Island University, schreibt in einem aktuellen Artikel [8]: "Gesättigte Fettsäuren haben einen dürftigen Effekt auf das Serum-Cholesterin, und es fehlt an Beweisen, dass sie HKL-Erkrankungen hervorrufen. Da fragt man sich schon, wie diese Fette einen derartig schlechten Ruf erlangen konnten."

Was schadet?

Bleibt die Frage, welche Bestandteile im Fleisch dann gesundheitsschädlich sind. Im Gespräch sind die Zubereitung von Fleisch bei hohen Temperaturen und daraus resultierende schädliche chemische Verbindungen sowie der hohe Eisengehalt von Fleisch. Freie Eisenionen könnten die Bildung von Sauerstoffradikalen fördern, was womöglich die Oxidation von Fetten auslöst – ein Mechanismus, der bei der Entstehung von Arteriosklerose eine Rolle zu spielen scheint. Wurst enthält außerdem viel Salz (Kochsalz sowie Natrium- und Kaliumnitrit), um sie haltbar zu machen. Unter bestimmten Bedingungen können daraus Nitrosamine entstehen, chemische Verbindungen, die Krebs erregend wirken.

Einen völlig neuartigen Mechanismus, wie Fleisch die Blutgefäße schädigen könnte, schlagen zudem Forscher um Stanley Hazen von der Cleveland Clinic in Ohio vor [9]: Hazen und seine Kollegen hatten schon vor zwei Jahren gezeigt, dass Patienten mit HKL-Erkrankungen häufig erhöhte Konzentrationen von Trimethylamin-Oxid (TMAO) im Blut haben, ein Molekül, das ebenfalls in Verbindung mit Arteriosklerose gebracht wird. Hazen konnte nun erstmalig zeigen, dass TMAO aus Carnitin, einem Bestandteil in rotem Fleisch, gebildet wird.

Nach dem Verzehr von Fleisch stieg der TMAO-Spiegel bei Fleischessern an. Bei langjährigen Vegetariern, die teilweise zum Fleischessen überredet worden waren beziehungsweise Carnitin-Kapseln einnahmen, stieg er hingegen nicht an. Hazen und seine Kollegen konnten zeigen, dass sich ihre Ergebnisse mit der unterschiedlichen Darmflora von Fleischessern und Vegetariern erklären lassen. "Unsere Ernährungsweise beeinflusst unsere Darmflora. Essen wir regelmäßig rotes Fleisch, siedeln sich auch Bakterienarten an, die Carnitin mögen und abbauen können", sagt Hazen. Einige Wissenschaftler kritisieren an der Studie allerdings, dass auch andere Nahrungsmittel Carnitin enthalten und wahrscheinlich ebenfalls zum TMAO-Spiegel im Blut beitragen.

Der Gesundheit zuliebe muss also niemand Vegetarier werden. Und wer sich an die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche hält, etwa 30 Kilogramm pro Jahr, scheint auf der sicheren Seite. Denn moderate Fleischesser, die Sport treiben und nicht rauchen, haben eine ähnlich lange Lebenserwartung wie Vegetarier [10].

Allerdings essen Deutsche durchschnittlich 88 Kilogramm Fleisch pro Jahr, US-Amerikaner sogar 123 Kilogramm. Und während der Fleischkonsum in den Industrienationen auf hohem Niveau stagniert, steigt die Nachfrage in den Schwellenländern wie etwa China stark an. Laut einer Prognose der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO wird sich der Fleischkonsum bis zum Jahr 2050 auf jährlich 460 Millionen Tonnen verdoppeln, was die Versorgung ärmerer Bevölkerungsschichten in vielen Ländern des Südens erschwert und die Umwelt belastet – schließlich konkurriert das Vieh mit uns um Land und Futtermittel.

Doch auch das lässt sich vielleicht bald umgehen, denn Mark Post, Professor für Gefäßphysiologie an der Universität Maastricht, kennt vielleicht den Ausweg aus diesem Dilemma: Laborfleisch – tierisches Protein, das ohne Tiere, ohne Futter, ohne Schlachthäuser hergestellt wird. Mehrere Jahre bastelte der Physiologe am Laborburger aus Rindermuskelzellen, und noch dieses Jahr soll eine Frikadelle davon in London öffentlich verspeist werden. Laut Post schmeckt er "halbwegs gut".

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