Ernährung: Wie gesund sind Fleischalternativen?

Geht es um vegane und vegetarische Lebensmittel, kommt es schnell zu Streit: Die einen preisen Fleischersatzprodukte als supergesund und dazu noch gut für die Umwelt. Die anderen fragen sich: Sind das nicht alles hochverarbeitete Industrieprodukte voller Zusatz- und Geschmacksstoffe?
Befeuert werden die kritischen Stimmen auch durch eine Untersuchung der Organisation Foodwatch aus dem vergangenen Jahr. Sie prüfte die Inhaltsstoffe und Nährwerte von 15 beliebten veganen Produkten. »Häufig unausgewogen« und »Vegan heißt nicht unbedingt gesund« lautete ihr Fazit. Mehr als die Hälfte der Ersatzprodukte schnitt schlecht ab, erhielt ein orangefarbenes D oder gar ein rotes E im Nutri-Score.
Vegane und vegetarische Lebensmittel erleben seit Jahren einen Boom: 2020 griffen täglich fünf Prozent der Verbraucher in Deutschland zu Fleischalternativen, 2023 waren es bereits zehn. Doch schaden die Konsumenten womöglich ihrer Gesundheit, wenn sie auf solche Produkte setzen? Ein nüchterner Blick auf die Datenlage ergibt ein uneinheitliches und durchaus überraschendes Bild.
Im Zentrum der Diskussion steht eine oft kritisierte Kategorie von Speisen – so genannte hochverarbeitete Lebensmittel, englisch ultraprocessed foods (UPF) genannt. Laut einer Auswertung von 23 Studien haben Menschen, die häufig zu hochverarbeiteten Lebensmitteln greifen, unter anderem ein 39 Prozent höheres Risiko für Übergewicht und einen überdurchschnittlichen Taillenumfang, also viel gesundheitsschädliches Bauchfett. Langzeitdaten aus 13 Kohortenstudien mit mehr als 180 000 Teilnehmenden ergaben zudem, dass ein hoher Konsum solcher Nahrungsmittel die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 29 Prozent, für Schlaganfälle um 34 Prozent und für Depressionen um 20 Prozent steigert. Aber was heißt das eigentlich: hochverarbeitet?
»Bei der Herstellung von Fleischalternativen kommen leicht 10 bis 15 Verarbeitungsschritte zusammen«Sascha Rohn, Lebensmittelchemiker
Wie Fleischersatz entsteht und was dabei verloren geht
Bei den meisten pflanzlichen Fleischersatzprodukten sind viele Verarbeitungsschritte notwendig, damit das Ergebnis in Geschmack und womöglich auch Form und Textur an ein Fleischprodukt erinnert. »Wenn wir zum Beispiel von Getreide ausgehen, dann muss dieses geerntet, geschält und gemahlen werden«, sagt Sascha Rohn, Leiter des Instituts für Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie an der Technischen Universität Berlin. »Dann muss man die Proteine extrahieren, um sie schließlich wieder mit Wasser zu versetzen, damit sie eine gelartige Struktur bekommen.« Dafür wird oft das Verfahren der Extrusion angewendet, bei dem unter hohem Druck und teils hoher Temperatur Zutaten gemischt und mit Düsen in Form gebracht werden. Zudem garen die Hersteller die Fleischersatzprodukte oft vor, damit der Verbraucher es bei der Zubereitung leichter hat.
»Bei der Herstellung von Fleischalternativen kommen leicht 10 bis 15 Verarbeitungsschritte zusammen«, erklärt Rohn. Dass dabei schädliche Substanzen entstünden, sei weniger das Problem. »Aber es können durchaus empfindliche Moleküle wie lebensnotwendige Aminosäuren verändert werden«, sagt Rohn. Dies sei vor allem bei Lysin und Tryptophan kritisch. Hersteller fügen fehlende Aminosäuren allerdings meist nachträglich wieder hinzu.
»Ein Steak steht bezüglich des Verarbeitungsgrads und der Proteinqualität erstmal besser da als das vegane Alternativprodukt«, sagt Rohn. Doch bedeutet das, dass das Steak gesünder ist? Nicht unbedingt, denn größere Beobachtungsstudien zeigen, dass der Konsum von viel rotem Fleisch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ II und Darmkrebs erhöht. Eine weitere große Übersichtsarbeit kommt zu dem Schluss, dass 100 Gramm rotes Fleisch pro Tag das Risiko für verschiedene Krebsarten signifikant steigern kann.
»Der Vorwurf, pflanzliche Fleischalternativen seien allein deshalb ungesund, weil sie hochverarbeitet sind, ist jedenfalls falsch«Martin Smollich, Ernährungswissenschaftler
Wie ungesund sind hochverarbeitete Lebensmittel?
Die Frage, welches Lebensmittel gesünder ist, lässt sich also nicht pauschal mit einem Blick auf den Verarbeitungsgrad beantworten. Die Definition von hochverarbeiteten Lebensmitteln ist ohnehin so unscharf, dass sie kaum taugt, um pauschale Aussagen darüber zu machen, wie ungesund derartige Produkte sind. Nach der gängigen NOVA-Klassifikation gilt etwa Vollkornbrot als hochverarbeitet, reiner Zucker hingegen nicht.
»Hochverarbeitete Lebensmittel haben einen schlechten Ruf«, sagt Martin Smollich, Professor am Institut für Ernährungsmedizin der Universität zu Lübeck. »Angeblich sollen sie allein deshalb ungesund sein, weil sie hochverarbeitet sind, unabhängig vom Nährstoff- oder Kaloriengehalt. Ernährungswissenschaftlich ist das ziemlich absurd.« Als Verbraucher solle man sich deshalb weniger mit dieser Kategorisierung beschäftigen, insbesondere bei den Fleischanaloga. »Der Vorwurf, pflanzliche Fleischalternativen seien allein deshalb ungesund, weil sie hochverarbeitet sind, ist jedenfalls falsch«, sagt Smollich. »Es gibt Produkte mit sehr gutem und mit sehr schlechtem Nährwertprofil – genauso, wie es auch bei wenig verarbeiteten Lebensmitteln der Fall ist.«
Bisher fehlen schlicht längerfristig angelegte Untersuchungen zu pflanzenbasiertem Fleischersatz. Große Beobachtungsstudien schließen Daten von Jahrzehnten ein. Die heutigen Fleischersatzprodukte sind aber erst seit wenigen Jahren auf dem Markt. Bis sich bei ihnen langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit zeigen könnten, muss noch viel Zeit vergehen.
Untersuchungen zu hochverarbeiteten Lebensmitteln zeigen: Menschen, die viel verarbeitetes Fleisch wie etwa Wurstwaren essen, hatten im Beobachtungszeitraum ein 15 Prozent höheres Sterberisiko als jene mit dem niedrigsten Konsum. Selbst geringe Mengen waren mit einem 5 Prozent höherem Sterberisiko verbunden. Für Frühstückcerealien – ebenfalls ein hochverarbeitetes Produkt – zeigte sich in Langzeitstudien ein gemischtes Bild: Cerealien mit Vollkorn, also ganze Haferflocken oder Vollkornflakes, standen mit einem um 23 Prozent verringerten Sterberisiko in Zusammenhang. Für Menschen, die raffinierte Cerealien wie etwa gezuckerte Cornflakes oder Puffweizenprodukte aßen, ließ sich keine veränderte Sterblichkeit feststellen.
Solche Studien zur Ernährung und ihrer gesundheitlichen Auswirkung zeigen jedoch nur eine Korrelation an, keinen ursächlichen Zusammenhang. So leben Menschen, die beispielsweise Vollkornprodukte bevorzugen, womöglich generell gesünder. Lebensstilfaktoren wie tägliche Bewegung, Verzicht auf Alkohol und Zigaretten sowie Stress, genetische Veranlagung oder ein größeres Gesundheitsbewusstsein lassen sich in Untersuchungen meist nur unzureichend berücksichtigen.
Kritiker der NOVA-Klassifikation fordern, Lebensmittel nach Inhaltsstoffen und Nährwerten zu unterscheiden, nicht nach dem Grad der Verarbeitung. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) schreibt in ihrem Ernährungsbericht 2024: »Letztlich müssen die Verarbeitungsschritte und die Rezepturen der Lebensmittel mit ihrer exakten Inhaltsstoffzusammensetzung bekannt sein, um eine möglichst präzise Einteilung zu erlauben.«
Welche Zusatzstoffe sind bedenklich?
Generell lohnt sich ein kritischer Blick auf die Zutaten – auch bei Fleischersatzprodukten. Ein paar Faustregeln helfen, um im Supermarkt gesunde Lebensmittel zu erkennen. »Soll auf vegetarischer Basis ein Ersatzprodukt hergestellt werden, dass wie ein Stück Fleisch aussieht, bedarf das einer starken Verarbeitung und Zusatzstoffen«, sagt Sabine Rohrmann, Ernährungswissenschaftlerin und Professorin am Universitätsspital Zürich. Greife man dagegen zu Sojaschnetzel, etwa für eine vegetarische Bolognese, sei das weniger problematisch.
»Grundsätzlich sollte man immer möglichst wenig Zusatzstoffe als Verbraucher zu sich nehmen«, sagt Sascha Rohn. »Aber sie sind nicht per se schädlich.« Ohne Zusatzstoffe müssten Verbraucher Abstriche bei Geschmack, Optik oder Konsistenz in Kauf nehmen.
»Manche Zusatzstoffe wie Ascorbinsäure sind sicher unproblematisch«, erklärt Rohrmann. Das ist schlicht Vitamin C. Für andere, etwa Emulgatoren, gebe es jedoch Hinweise auf negative gesundheitliche Auswirkungen. Emulgatoren sind in fast allen Fleischersatzprodukten enthalten und besitzen einen wasserlöslichen und einen fettlöslichen Teil. So können sie winzige Fetttröpfchen ummanteln und dadurch in Wasser lösen. Sie stabilisieren etwa die Emulsion in fertigen Salatdressings, damit das Fett nicht obenauf schwimmt.
Eine Studie mit Mäusen legt nahe, dass Emulgatoren das Darmmikrobiom verändern und die Darmschleimhaut schädigen, so dass diese durchlässiger für krankmachende Mikroben wird. Speziell die Substanzen Carboxymethylcellulose und Polysorbat-80 brachten bei den Versuchstieren das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht. Die Mäuse entwickelten in der Folge Übergewicht und Diabetes.
In der französischen NutriNet-Santé-Studie mit mehr als 100 000 Teilnehmern erkrankten Menschen, die regelmäßig Emulgatoren zu sich nahmen, eher an Diabetes Typ II – allerdings in einem geringen Prozentbereich. Zudem beruhte die Analyse darauf, dass die Probanden Fragebögen zu ihrer Ernährung selbst ausfüllten. Daher dürften die Angaben nicht immer akkurat sein. Und auch hier lassen sich keine direkten ursächlichen Zusammenhänge ableiten.
»Man sollte keinesfalls Panik vor Emulgatoren haben«, sagt Rohn. »Synthetische werden in Lebensmitteln quasi nicht verwendet. Die meisten sind natürliche Stoffe.« So etwa Lecithin, das Fett in Form von Tröpfchen in Milch emulgiert. Es ist auch ein natürlicher Baustein in allen Zellmembranen. Allerdings unterscheiden sich Lecithine aus pflanzlichen und tierischen Quellen. »Pflanzliches Lecithin hat in der Regel mehr ungesättigte, tierisches Lecithin mehr gesättigte Fettsäuren«, erklärt Rohn. Manche nähmen so weniger wertige Fettsäuren auf. Das sei in der Regel aber nicht der Fall. »Üblicherweise wird Lecithin aus Soja gewonnen, einer Pflanze mit vielen ungesättigten, also höherwertigen Fettsäuren.«
Die meisten Fleischersatzprodukte schneiden in diesem Punkt ernährungsphysiologisch besser ab als Fleischerzeugnisse, die fast nur gesättigte Fettsäuren enthalten. Die Alternativen können hingegen mit ungesättigten hergestellt werden. »Allerdings werden auch für sie teils gesättigte Fettsäuren verwendet, um etwa eine festere Konsistenz zu erreichen«, sagt Sabine Rohrmann. Dafür kommt oft Kokosfett zum Einsatz, ein Pflanzenfett mit hohem Anteil gesättigter Fettsäuren. Wer genauer hinsieht, erkennt an der Zutatenliste, ob ein Lebensmittel hochwertige Fette aufweist. »In Rapsöl sind besonders Omega-3-Fettsäuren enthalten«, so Rohrmann. »Dagegen finden sich etwa in Sonnenblumenöl vor allem Omega-6-Fettsäuren, die als entzündungsfördernd gelten.«
Das muss man allerdings wissen. Auf dem Etikett gibt es nur die Unterteilung zwischen gesättigt und ungesättigt, auch bei vegetarischen Produkten. »Das macht es sehr schwierig, Produkte ernährungsphysiologisch zu vergleichen«, sagt Rohrmann. Sascha Rohn spricht sich für eine höhere Transparenz aus. »Man sollte zusätzlich zwischen den ungesättigten Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren unterscheiden können«, erklärt er. »Es wäre wirklich wichtig, das Wissen des Verbrauchers über die Kennzeichnung der Lebensmittel zu verbessern.« So könnten Menschen durch Aufklärung statt Bevormundung schrittweise zu einer besseren Ernährung bewegt werden.
Defizite bei wichtigen Nährstoffen
Im direkten Vergleich erscheinen viele pflanzliche Alternativen gesünder als verarbeitetes Fleisch. Das liegt zum einen an den Zusatzstoffen, die etwa in Wurst stecken: Konservierungsmittel wie Nitrit und Nitrat machen klassische Wurstwaren haltbar, stehen aber im Verdacht, das Risiko für Krebs und Diabetes Typ II zu erhöhen. In Versuchen mit menschlichen Zellkulturen zeigten Nitrit und Nitrat toxische Effekte und verringerten die Überlebensrate der Zellen. Zellstudien geben jedoch nur erste Anhaltspunkte, da in ihnen nicht die komplexen Stoffwechselvorgänge eines lebenden Organismus nachgebildet werden. »Diese Ergebnisse stammen bislang nur aus einer Studie«, sagt Sabine Rohrmann. »Hier braucht es mehr Evidenz.« In Fleischersatzprodukten werden Nitrit und Nitrat nicht zugesetzt.
Auch beim Fett schneiden die pflanzenbasierten Lebensmittel besser ab als etwa traditionelle Wurst: »Da kommt als Fett vor allem Schweinespeck rein«, sagt Rohn. »Mit der Fleischalternative ist man viel besser dran, weil dort pflanzliche Fette benutzt werden.«
Anders sieht es dagegen bei vegetarischen Alternativen zu unverarbeitetem Fisch oder Hähnchen aus. Hier sind meist die tierischen Varianten überlegen, da ihr Fleisch fettarm ist. »Bei Fisch- und Hühnchenalternativen ist hingegen oft noch eine Fettkomponente zusätzlich enthalten, damit die Textur dem Original ähnlich wird und beim Garen stabil bleibt«, sagt Rohn.
»Nutzt man sie als Grundnahrungsmittel, überschreitet man schnell die Empfehlungen für Salz«Sabine Rohrmann, Ernährungswissenschaftlerin
Einen Mangel weisen Fleischersatzprodukte teilweise bei Vitaminen und Spurenelementen auf. Ein Forschungsteam der Universität Kiel untersuchte die Ernährung von 142 Erstsemesterstudenten in Deutschland. 49 Prozent deckten ihren Energiebedarf überwiegend mit hochverarbeiteten Lebensmitteln. 22,5 Prozent ernährten sich vegan, 46,5 Prozent vegetarisch. Die Blutwerte der Probanden ergab, dass viele von ihnen weniger Vitamin B12, Folsäure, Eisen, Zink und Calcium aufnahmen, als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Erstaunlicherweise nahmen Veganer und Veganerinnen am meisten Eisen auf, Fleischesser am wenigsten. Ein Grund dafür könnte sein, dass Veganer wissen, dass ihnen Eisenmangel droht, und entsprechend ihre Ernährung anpassen. Die Schlussfolgerung der Studienautoren: »Der Verzehr von ultra-processed food trägt zur unzureichenden Aufnahme von Spurenelementen bei jungen Erwachsenen bei. Dies wird verstärkt durch eine eher pflanzenbetonte Ernährung, die Fleischalternativen beinhaltet.«
Ein weiteres Problem: Fleischersatzprodukte enthalten oft viel Kochsalz. »Nutzt man sie als Grundnahrungsmittel, überschreitet man schnell die Empfehlungen für Salz«, sagt Sabine Rohrmann. »Fleischalternativen sind also eher etwas für eine Grillfeier und sollten nicht in großen Mengen verzehrt werden.«
Letztlich kommt es nicht allein auf die Frage an, ob man Fleisch ist oder nicht. Entscheidend ist die Qualität der gesamten Ernährung. Je vielfältiger und ausgewogener der Speiseplan, desto besser. Wer beim Einkauf auf die Nährwerte und die Zutatenliste achtet, kann auch mit Fleischalternativen eine bewusste und gesunde Wahl treffen.
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