Flexoelektrizität: Elektrischer Effekt in Eis beobachtet

Eis gilt als ein Material ohne elektrische Eigenschaften. Im Prinzip sind die Ladungen im einzelnen Wassermolekül zwar ausgerichtet – Sauerstoff ist eher negativ geladen und Wasserstoff eher positiv –, aber aufgrund der festen, symmetrischen Struktur im Eiskristall sind sie hier starr und gleichmäßig verteilt. Insgesamt zeigen sie hier in keine bestimmte Richtung. In einer im August 2025 publizierten Studie hat ein internationales Forschungsteam herausgefunden: Wenn man Eis biegt, ändert sich das. Dann richten sich die inneren Ladungen aus.
Dieser sogenannte flexoelektrische Effekt verleiht Eis eine Polarisation. Das liefert einen Erklärungsansatz für Beobachtungen in der Natur. Hier ist zwar bei manchen elektrischen Phänomenen Eis beteiligt, wenn zum Beispiel Gewitterwolken entstehen und dabei Kristalle kollidieren. Wie genau das Eis zur Elektrizität beiträgt, wusste man bisher jedoch nicht.
Für ihre Untersuchungen spannten die Wissenschaftler eine dünne Eisplatte zwischen zwei vergoldete Aluminiumelektroden. Mit periodischen Auf- und Abwärtsbewegungen verbogen sie das Eis an seinen äußeren Enden. Dabei maßen sie die Dehnung des Eises sowie über die angelegten Elektroden die erzeugte Polarisation in einem untersuchten Temperaturbereich zwischen –130 und 0 Grad Celsius. Aus dem Verhältnis beider Werte bestimmten sie einen Koeffizienten, mit dem sie die flexoelektrischen Eigenschaften von Eis vergleichen konnten. Dabei stellte sich heraus: Unterhalb von –70 Grad Celsius hat Eis ähnliche elektrische Eigenschaften wie einige Keramikmaterialen, die in elektronischen Bauteilen verwendet werden.
Die Fachleute verglichen ihre Ergebnisse mit den physikalischen Vorgängen, die zu Gewittern führen. Diese entstehen, wenn kleine, aufwirbelnde Eisteilchen mit größeren, fallenden Eisgraupeln zusammenstoßen. Beide laden sich dadurch entgegengesetzt auf. Die verschiedenen Wolkenregionen entladen sich dann wieder durch Blitze.
Mit einem einfachen Stoßmodell berechneten die Wissenschaftler, ob die beim Zusammenstoß auftretende Flexoelektrizität ausreicht, um sowohl Graupel als auch Teilchen elektrisch zu laden. Sie schätzten eine Obergrenze für die freiwerdende Ladung ab und verglichen diese mit experimentellen Befunden.
Sie kamen zu dem Schluss: Der theoretische Wert passt zu den real gemessenen Ladungen. Dabei betonten die Autoren aber, dass es sich um eine vereinfachte Abschätzung handelt. Denn sie berücksichtigten lediglich die Flexoelektrizität und nicht andere Faktoren, die bei dem komplexen Phänomen ebenfalls eine Rolle spielen. Für ein vollständigeres Bild seien weitere Untersuchungen nötig.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.