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News: Flinke Flieger

Lange bevor Geier, Tauben und Kolibris durch die Lüfte schwirrten, beherrschten riesige Echsen das Firmament. Dabei brauchte das Gehirn eines Flugsauriers die Konkurrenz mit einem Vogelkopf nicht zu scheuen.
Rhamphorhynchus muensteri
Vermutlich stieße die kleine bayerische Gemeinde im Altmühltal mit knapp 2000 Seelen auf ein nur spärliches allgemeines Interesse, könnte sie nicht auf eine so lange Vergangenheit zurückblicken. Denn vor 150 Millionen Jahre entstand hier ein Friedhof, der in die Geschichte eingehen sollte: Die Solnhofener Plattenkalke gelten zu Recht als Eldorado für Fossilien aus dem Jura, bargen sie doch auch den Urvogel Archaeopteryx – jenes fehlende Bindeglied zwischen Reptilien und Vögeln, dessen erstes Exemplar 1861 ans Tageslicht geriet.

Archaeopteryx war jedoch – wenn überhaupt – nur ein mäßiger Flieger. Die Lufthoheit übten damals die Pterosauria oder Flugsaurier aus, die sich mit ihren Vettern, den Dinosauriern, die Herrschaft des Jura teilten. Rhamphorhynchus muensteri hieß einer von ihnen, dessen sterbliche Überreste ebenfalls bei Solnhofen zur Freude heutiger Paläontologen gefunden wurde. Mit einer Flügelspannweite von 90 Zentimetern und einer Körperlänge von 40 Zentimetern war er sicherlich ein beachtliches Kerlchen.

Doch Rhamphorhynchus gilt im Vergleich zu anderen Pterosauriern eher als Zwerg. So lag die Spannweite von Anhanguera santanae, der wenige Millionen Jahre später im heutigen Brasilien seine Runden drehte, bei über vier Metern. Die Echsen waren vermutlich hervorragend an ihren Lebensraum Luft angepasst gewesen.

Paläontologen möchten natürlich gerne wissen, wie diese Anpassung genau aussah. Um die Flugkunst sicher beherrschen zu können, muss beispielsweise das Nervensystem und vor allem das Gehirn entsprechend leistungsfähig ausgestattet sein. Doch leider überstehen in der Regel nur Knochen den Zahn der Zeit, von Weichteilen sind allerhöchstens Abdrücke zu finden.

Lawrence Witmer von der Ohio University versuchte dennoch, den ausgestorbenen Tieren in den Kopf zu schauen – und zwar mit Methoden, die eher aus der Medizin bekannt sind. Mit Hilfe von Computertomographie analysierten er und seine Kollegen die Schädel von Rhamphorhynchus muensteri und Anhanguera santanae. Damit war den Forschern möglich, die längst vergangenen grauen Zellen der Flugsaurier virtuell am Rechner wiederherzustellen.

Und die Computersimulation offenbarte, die Giganten der Lüfte waren durchaus helle Köpfchen. Ihre Gesamthirnmasse war zwar im Verhältnis zur Körpermasse eher klein – zumindest kleiner als bei heutigen Vögeln. Hier spiegelt sich nach Ansicht der Forscher jedoch nur ein Erbe der Vorfahren wider: Während die Vögel als die letzten Nachfahren der Dinosaurier verhältnismäßig viel graue Substanz in ihrem Hirn aufweisen, stammen die Flugsaurier von Archosauriern ab, bei denen die graue Substanz eher unterrepräsentiert war.

Die fliegenden Echsen kompensierten dieses Manko jedoch mit einem besonders stark ausgeprägten Teil des Kleinhirns: Der so genannte Flocculus, ein evolutiv sehr alter Bereich des Kleinhirns, verarbeitet Reize aus dem Gleichgewichtssinn und sammelt Informationen über die Stellung von Körper, Nacken und Kopf sowie der Augen. Daher ist er auch bei Vögeln, die sich ja im dreidimensionalen Raum sicher bewegen müssen, sehr gut ausgebildet – erreicht jedoch nur zwei Prozent der gesamten Hirnmasse. Der Flocculus der Flugsaurier nahm dagegen 7,5 Prozent der Hirnmasse ein.

Auch der Gleichgewichtssinn der Pterosaurier muss hervorragend entwickelt gewesen sein. Die Wissenschaftler fanden Hinweise, dass der Vestibularapparat, jener Teil des Innenohrs, der für die Wahrnehmung der Lage des Körpers im Raum zuständig ist, etwa doppelt so groß war wie das Gleichgewichtsorgan der Vögel – von der eher kümmerlichen Ausstattung bei Säugetieren ganz zu schweigen.

Die beiden untersuchten Arten zeigten jedoch auch Unterschiede: Die Lage des Vestibularapparates deutet darauf hin, dass Rhamphorhynchus seinen Kopf gerade gestreckt gehalten haben muss, während er bei Anhanguera in einem Winkel von 30 Grad nach unten geneigt war. Dies könnte mit der Position des Körpers zusammenhängen, wenn die Tiere die Lüfte verließen und zur Landung ansetzten. Während der kleinere Rhamphorhynchus mehr auf allen vieren kroch und seinen Kopf entsprechend nach vorne streckte, saß Anhanguera eher aufrecht. Außerdem, so vermuten die Forscher, erlaubte der gesenkte Schnabel ein dichteres Zusammenstehen der Augen und verbesserte so das räumliche Sehen des Tieres.

Damit zeigen sich die Pterosaurier, lange vor den Vögeln, als ausgesprochen gute Flieger, die schnell und sicher durch die Lüfte navigierten und entsprechend erfolgreich bei der Jagd gewesen sein mussten. Vermutlich konnten sie ihre Beute, meistens Fisch, während des Flugs fixieren, drehten dann noch ein, zwei Runden – um schließlich im richtigen Moment zuzustoßen.

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