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Atmosphärenchemie: Flüchtige Warnung

Obwohl Aerosole noch immer zu den unberechenbarsten Komponenten der Atmosphäre zählen, mündeten die bisherigen Erkenntnisse zu ihrer Gefährlichkeit für Lebewelt und Klima doch immerhin in einigen Beschränkungsvorschriften. Sollten sich neue Ergebnisse aus den USA bestätigen, müsste der Gesetzgeber aber wohl noch härter durchgreifen.
Auspuff
Rot, gelb oder grün – welche Feinstaubplakette dürfen Sie zukünftig auf Ihr Auto kleben? Oder heißt es für Ihren alten Diesel demnächst mancherorts "Sie müssen leider draußen bleiben"? So frisch die Feinstaubverordnung in Kraft ist, so unüberschaubar sind derzeit noch die Folgen – zwar haben schon einige Städte entsprechende Maßnahmen angekündigt, und tatsächlich sind Millionen Fahrzeuge betroffen. Ob das nun allerdings in Massenverkäufen Ruß spuckender Altkarossen mündet oder eher in steuerbegünstigenden Nachrüstaktionen, wird sich zeigen.

Gefährlich für Umwelt und Gesundheit

Weit weniger Unsicherheit herrscht hingegen bezüglich der Gefahren von Feinstaub: Die winzigen Partikel von weniger als zehn Mikrometern Größe können beim Einatmen bis in die feinsten Verästelungen der Lunge vordringen, Teilchen von weniger als einem Mikrometer werden sogar in die Lungenbläschen aufgenommen und gelangen so ins Blut. Die Konsequenz: Bronchitis, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Allergien, wobei ältere Menschen und Kinder besonders betroffen sind. Außerdem spielen Aerosole eine schwer zu kalkulierende Rolle im Klimageschehen – zum einen wirken sie als Kondensationskeime in der Wolkenbildung, zum anderen absorbieren manche das Sonnenlicht und erwärmen ihre Umgebung, während andere die Strahlung reflektieren und so eher kühlen. Hinweise genug jedenfalls, um ihren Ausstoß in die Umwelt möglichst zu begrenzen.

Allen Robinson und Neil Donahue von der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh warnen nun allerdings, dass die bisherigen Grenzwerte für den Ausstoß von Feinstaub womöglich zu hoch liegen. Zusammen mit ihren Kollegen haben sie in einer Klimakammer das Schicksal organischer Partikel aus Dieselabgasen unter UV-Einstrahlung genauer verfolgt. Dabei stellten sie verblüfft fest, dass die primären organischen Aerosole (POA) – jene, die direkt mit den Abgasen in die Luft geblasen werden – eine unerwartet ergiebige Quelle für die Bildung von sekundären, also erst in der Atmosphäre entstehenden, organischen Aerosolen (SOA) darstellten.

Neue Quelle für sekundäre Aerosole

In vielen Modellen, so die Forscher, wurden die POA bislang als nicht flüchtig angesehen. Doch diese Ansicht sei falsch: Etliche Bestandteile der emittierten Partikel verdunsten nach der Freisetzung. Auf diese Weise sinken die POA-Konzentrationen stärker, als Diffusion in der Atmosphäre allein bewirken könnte. Angetrieben durch das UV-Licht wurden diese Moleküle im Experiment der Wissenschaftler über mehrere Stufen zu SOA oxidiert. Ihr Anteil überstieg schon nach wenigen Stunden bei weitem die Ausbeute an SOA aus sonst üblichen Quellen wie Terpenen und anderen aromatischen Stoffen.

Dies könnte ein Missverhältnis klären, das derzeit noch zwischen Theorie und Praxis rund um organische Aerosole herrscht: Simulationen zufolge sollte in städtischen Gebieten die Hauptbelastung durch primäre Partikel bestehen, Messungen erfassen jedoch höhere Konzentrationen von sekundär entstandenen Teilchen – deren Quelle bislang im Dunkeln lag.

Doch die Ergebnisse wirken weit über den urbanen Bereich hinaus. Bisherige Simulationen ließen vermuten, dass organischer Feinstaub primär ein Problem dieser dicht besiedelten Regionen darstellt, während der ländliche Raum davon verschont bleibt. Pustekuchen, wie sich nun zeigt: Als die Wissenschaftler ein dreidimensionales chemisches Transportmodell mit den neuen SOV-Entstehungsmechanismen fütterten, verringerte sich das ausgeprägte Stadt-Land-Gefälle. Zwar gingen die POA-Werte insgesamt zurück, doch sorgte die fotochemische Oxidation der mittelflüchtigen Bestandteile nun auch in abgelegeneren Gebieten für eine deutliche Feinstaubbelastung.

"Wir konnten sehen, dass die urbane Luftverschmutzung nicht auf die Städte beschränkt bleibt, sondern auch ländliche und andere in Windrichtung liegende Gebiete belastet", sagt Robinson. "Eine zweite wichtige Erkenntnis ist, dass die Eigenschaften dieser neuen Partikel anders sind als bisher gedacht und womöglich schädlicher."

Umdenken beim Gesetzgeber nötig?

Für die Richtliniengeber bedeutet dies, dass nicht der Ausstoß der primären organischen Partikel relevant ist – an denen sie sich derzeit orientieren –, sondern der Anteil flüchtiger Substanzen in den Abgasen gemessen werden müsste: Sie entscheiden, wie hoch die Aerosolkonzentrationen letztendlich ausfallen. Bis sich da allerdings etwas ändert, werden die Feinstaubplaketten zumindest hierzulande das Mittel sein, in kritischen Phasen die Luftverschmutzung zu senken.

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