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News: Flüssigkeit aus dem Erdmantel als Schmiermittel

An der San-Andreas-Störung in Kalifornien gleiten die Pazifische und die Nordamerikanische Platte aneinander entlang und erzeugen so Krustenverformungen in weiten Teilen des nordamerikanischen Westens. Neueste Untersuchungen lassen vermuten, daß Flüssigkeiten unter hohem Druck an der Plattengrenze als Schmiermittel dienen. Die chemische Zusammensetzung der Flüssigkeiten deutet auf eine Herkunft aus dem Erdmantel hin.
Die San-Andreas-Störung ist die wahrscheinlich am besten untersuchte Hauptstörungszone der Erde. Trotz der Vielzahl vorhandener geologischer und geophysikalischer Daten sind einige wesentliche Fragen – wie Auslöser und Zeitablauf der großen Erdbeben in dieser Region – noch weitgehend ungeklärt. In einer Arbeit, die vom U.S. Department of Energy's Office of Energy Research gefördert wurde, haben die Geochemiker Mack Kennedy, Yousif Kharaka und ihre Kollegen neue Erkenntnisse über die überraschend komplizierten Verbindungen mit dem Erdmantel tief unter der Erdoberfläche gewinnen können.

Die San-Andreas-Störung, eine klassische Horizontalverschiebung, markiert die Plattengrenze zwischen Pazifischer und Nordamerikanischer Platte. Die Nordamerikanische Platte bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr einem Zentimeter pro Jahr nach Süden, während die Pazifische Platte nach Norden driftet. Beide Platten werden zudem aneinandergepreßt, so daß für die Plattenbewegung der Reibungswiderstand überwunden werden muß.

Interessanterweise ergaben Reibungsmessungen, die im Labor an Material aus der Störungszone durchgeführt wurden, daß erheblich mehr Scherspannung als tatsächlich beobachtet erforderlich wäre, damit die Reibungsblockade überwunden wird und die Erde sich bewegt.

„Die Kräfte und Bewegungen sollten Reibungswärme erzeugen“, sagt Kennedy, Mitglied der Abteilung für Erdwissenschaften am Ernest Orlando Lawrence Berkeley National Laboratory , „aber paradoxerweise hat niemand die erwartete Wärmeentwicklung in der Umgebung der Störung feststellen können. Eine Möglichkeit ist, daß Flüssigkeiten unter hohem Druck als eine Art Schmiermittel dienen. Ungewöhnlich hohe Drücke wurden in Felsporen in mäßigen Tiefen gemessen“, sagt Kennedy, „aber um vollständig zu verstehen, was an der Störung vor sich geht, ist es äußerst wichtig herauszufinden, was in größeren Tiefen passiert.“

Geologen wie Mark Zoback von der Stanford University haben vorgeschlagen, ein Bohrloch direkt an der Plattengrenze zu bohren: drei Kilometer tief oder mehr. „Uns kam der Gedanke, daß, wenn in einem Bohrloch Flüssigkeiten auftreten, wir wissen sollten, woher sie kommen. Wir nahmen chemische Untersuchungen der Flüssigkeiten im Grabensystem vor, um die Verhältnisse der Heliumisotope zu messen“, sagt Kennedy. „Wir machten so viele Quellen, Sickerwässer und Brunnen ausfindig, wie wir konnten, um Anhaltspunkte über die Zusammensetzung der Flüssigkeiten zu erhalten. Wir entnahmen Proben und prüften auf Kohlenstoff, Wasserstoff und Edelgase. Der Flüssigkeitschemismus war im Gleichgewicht mit der Geologie vor Ort, wie wir es erwartet hatten. Aber im Verlaufe dieser Arbeit fanden wir Helium-3 in allen Proben; das hatten wir nicht erwartet.“

Kennedy bestimmte Helium-Verhältnisse mit Hilfe eines ausgeklügelten Gastrennungssystems und eines Massenspektrometers, die auf einem Lkw-Anhänger aufgebaut waren, der erforderlichenfalls vor Ort eingesetzt werden kann. Er fand unterschiedliche aber vergleichsweise hohe Anteile des seltenen Helium-3 (Helium mit nur einem Neutron in seinem Atomkern) im Vergleich zu dem häufiger vorkommenden Helium-4 (dessen Kern aus zwei Neutronen und zwei Protonen besteht) in den San-Andreas-Flüssigkeiten. Daraus ergaben sich aufschlußreiche Anhaltspunkte über ihren Ursprung.

Zwei konkurrierende Modelle haben versucht das Entstehen von Hochdruckflüssigkeiten in Störungszonen zu erklären.

Das erste ist das sogenannte Byerlee-Sleep- und Blanpied-Modell („closed box“ Modell); man geht davon aus, daß lokale Krustenflüssigkeiten, einschließlich Grundwässer, als Reaktion auf Risse im Graben in die Störungszone gelangen und dort durch mineralische Reaktionen eingeschlossen werden.

Das Rice-Modell erklärt hohen Flüssigkeitsdruck in einer Störungszone durch die Spitze einer vertikalen „Zunge“ von Flüssigkeiten unter hohem Druck, die ihren Ursprung im Mantel in einer Tiefe von 30 km und noch tiefer haben.

Die Erdatmosphäre enthält weniger als eineinhalb Helium-3-Atome auf eine Million Atome Helium-4. In Krustenflüssigkeiten ist dieses Verhältnis sogar noch geringer – nur zwei Hundertstel des Verhältnisses in der Luft. In Mantelflüssigkeiten ist das Verhältnis von Helium-3 zu Helium-4 jedoch ungefähr achtmal höher als in der Luft. In Flüssigkeiten aus der Region der San-Andreas-Störung fanden Kennedy und seine Kollegen Helium-3-Verhältnisse, die von über einem Zehntel bis zum Vierfachen des Verhältnisses in Luft schwankten – hohe Verhältnisse, die nicht mit dem Flüssigkeitschemismus der lokalen Gesteine in Einklang zu bringen sind.

„Einige der untersuchten Flüssigkeiten konnten nur aus dem Mantel stammen“, sagt Kennedy. „Das Rice-Modell ist zumindest teilweise richtig.“

Wenn Flüssigkeiten in Richtung Erdoberfläche aufsteigen, wird Helium-3 aus dem Mantel zunehmend durch Helium-4 verdünnt, das durch den ständigen radioaktiven Zerfall verschiedener Elemente in der Kruste erzeugt wird. Das Verhältnis an einer bestimmten Stelle liefert einen Anhaltspunkt dafür, wie schnell die Flüssigkeit diese Stelle vom Mantel aus erreicht. Die Verteilung von Kennedys Ergebnissen läßt die Möglichkeit offen, ob Mantelflüssigkeit aus einer größeren Entfernung in die San-Andreas-Störung fließt. Was die Beschaffenheit der Mantelflüssigkeit angeht, sagt Kennedy, „kennen wir die Chemie nicht, aber sie ist wahrscheinlich reich an Kohlendioxid und vielleicht Wasser, das unter ungeheurem Druck steht“ – ein Rätsel, das nicht einmal ein Tiefbrunnen auf befriedigende Weise erklären kann – „aber wir würden Flüssigkeiten gern direkt aus dem Graben erhalten, um die Verhältnisse besser verstehen zu können. Das ist einer von mehreren guten Gründen dafür, einen Tiefbrunnen zu bohren.“

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