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Energie: Die Mobilitäts-Pfandflasche

Wer schwere Lasten über größere Entfernungen transportieren möchte, kommt auch in absehbarer Zukunft an flüssigen Treibstoffen nicht vorbei. In Erlangen arbeiten Forscher an einem Öl, das Wasserstoff speichert. Das Verfahren ist für den Deutschen Zukunftspreis nominiert, der am 28. November 2018 vom Bundespräsidenten in Berlin verliehen wird.
Zapfsäulen

Benzin ist ein erstaunlich guter Energiespeicher: Elf Kilowattstunden stecken in einem Kilogramm. Das hat es mit anderen flüssigen Treibstoffen gemeinsam: »Flüssige Treibstoffe aus Erdöl wie Kerosin, Benzin und Diesel sind im Prinzip ein fantastischer Energieträger«, schwärmt der Geschäftsführer von Hydrogenious Technologies in Erlangen, Daniel Teichmann. »60 Kilogramm Sprit im Tank geben heutzutage einem Mittelklassewagen eine größere Reichweite als 600 Kilogramm Batterien in einem Tesla-Elektroauto.«

In vielen Bereichen wie dem Schwerlastverkehr über große Entfernungen, bei Fracht- und Containerschiffen und vor allem im Flugverkehr sehen Experten daher in absehbarer Zukunft keine Alternativen für solche flüssigen Treibstoffe. Was natürlich eine Hiobsbotschaft fürs Klima wäre, weil das Verbrennen von Kerosin und Diesel jede Menge zusätzliches Treibhausgas Kohlendioxid in die Luft bläst, wenn diese Treibstoffe aus Erdöl oder Kohle hergestellt werden.

Zwar gibt es durchaus Alternativen. Nur haben die leider gravierende Nachteile. So lassen sich Biodiesel und anderer Sprit zwar durchaus nachhaltig aus Biomasse herstellen. Allerdings müsste man für den Anbau solcher Pflanzen entweder Naturlandschaften wie zum Beispiel Regenwälder nutzen oder Äcker, auf denen bisher Nahrungsmittel angebaut wurden. Beides ist aus naheliegenden Gründen entweder gar nicht oder nur in sehr engen Grenzen möglich.

Alternative vom Acker wenig attraktiv

»Auch bisher wenig genutzte Reststoffe vom Acker wie zum Beispiel Stroh können nur einen kleinen Teil der benötigten flüssigen Treibstoffe liefern«, weiß Ludwig Leible vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie KIT, der dort die Energiewirtschaft und besonders nachwachsende Rohstoffe und biogene Abfallstoffe im Energiebereich untersucht. So hat in Neuseeland die Fluggesellschaft Air New Zealand bereits vor zehn Jahren festgestellt, dass man zehn Prozent der Fläche des Inselstaats (was die Größe Westdeutschlands ausmacht) benötige, um dessen Inlandsflugverkehr mit Kerosin aus Biomasse zu bestreiten. Das schien selbst in diesem dünn besiedelten Land mit gerade einmal 4,5 Millionen Einwohnern schlicht nicht machbar, zumal ja auch Langstreckenflüge, Straßen- und Bahnverkehr weitere Treibstoffe brauchen.

Wasserstoff ist da im Prinzip schon erheblich besser geeignet. Lässt er sich doch zum Beispiel aus überschüssigem Strom von Windkraftanlagen oder Fotovoltaikzellen herstellen, die in Spitzenzeiten viel mehr Elektrizität produzieren, als gebraucht wird. Im altbewährten Verfahren der Elektrolyse spaltet dieser Strom Wasser, das vielerorts reichlich vorhanden ist. Dabei entstehen Sauerstoff und Wasserstoff, der wiederum nicht nur ein begehrter Rohstoff in der chemischen Industrie ist, sondern auch ein hervorragender Energieträger, der in einem Kilogramm etwa das Dreifache an Energie wie Benzin speichert. Dieser Wasserstoff kann zum Beispiel zusammen mit dem Sauerstoff der Luft in Brennstoffzellen elektrischen Strom liefern, der seinerseits den Elektromotor eines Elektroautos antreiben kann.

Der Umgang mit Wasserstoff ist allerdings alles andere als einfach, weil er normalerweise ein leichtes Gas ist. Um dieses Gas in Fahrzeugen einzusetzen, muss man es entweder bei extrem tiefen Temperaturen unter minus 250 Grad Celsius in eine Flüssigkeit umwandeln oder bei sehr hohem Druck eng zusammenquetschen. Beides kostet reichlich Energie. Und dann verflüchtigt sich Wasserstoff unter Druck mit der Zeit auch durch die dichteste Hülle, während flüssiger Wasserstoff stetig verdampft. Nicht zu vergessen ist das Knallgasexperiment, an das sich viele Menschen noch aus ihrer Schulzeit erinnern. Es zeigt eindrucksvoll, wie heftig Wasserstoff an der Luft explodieren kann.

Synthetische Treibstoffe würden Flugpreise erhöhen

Zum Glück kann man aus Wasserstoff auch flüssige Treibstoffe mit altbewährten Methoden wie dem in Deutschland entwickelten Fischer-Tropsch-Verfahren herstellen. Das funktioniert in Ländern wie Südafrika in riesigen Raffinerien, während das aus dem KIT ausgegründete Unternehmen INERATEC einen tischgroßen Fischer-Tropsch-Reaktor entwickelt hat, der zusammen mit anderen Komponenten in einen Container passt und so auch bei kleineren Windenergie- oder Fotovoltaikanlagen eingesetzt werden kann.

Auch diese Methode hat ähnlich wie auch die synthetische Herstellung von Methan als »grünem« Erdgas einen gewaltigen Haken: Erdgas, Kerosin, Diesel und Benzin bestehen ja aus Kohlenwasserstoffen, für deren synthetische Herstellung man neben Wasserstoff auch noch Kohlenstoff braucht. Länder wie Katar und Süd-Afrika nutzen dafür Erdgas und Kohle, was alles andere als klimaneutral ist. INERATEC dagegen holt mit einer »Direct Air Capture«-Einheit Kohlendioxid direkt aus der Luft. Das wiederum ist recht aufwändig und kostet daher viel Geld und Energie. »Obendrein muss das Kohlendioxid für die spätere Synthese sehr rein sein, was die Herstellung weiter verteuert«, erklärt ITAS-Spezialist Ludwig Leible.

Besser funktioniert das Herausholen von Kohlendioxid aus der Abluft von Zementwerken und anderen Unternehmen, die reichlich Kohlendioxid freisetzen. Allerdings ist auch dieses Angebot ähnlich wie bei Treibstoffen aus Biomasse begrenzt und löst daher nur einen kleinen Teil des Spritproblems im Verkehrsbereich. Immerhin kann man mit diesem Verfahren auch Kerosin für Flugzeuge herstellen. Da Flugzeuge keine andere nachhaltige Alternative in Aussicht haben und daher in den sauren Apfel »hohe Preise« zwangsläufig beißen müssen, könnte der »Griff in die Luft« also in diesem Bereich eine gute Lösung bieten. »Natürlich werden die Ticketpreise dadurch deutlich steigen«, vermutet Ludwig Leible. Hohe Preise und großer Energieaufwand aber sind genau die Komponenten, die der Schwerlastverkehr oder die Schifffahrt möglichst vermeiden wollen, um weiter mit dem Etikett »preiswert und relativ geringer Energieaufwand« werben zu können.

Wasserstoff in der Öl-Pfandflasche

Genau an dieser Stelle kommt das Unternehmen Hydrogenious Technologies ins Spiel, das Daniel Teichmann 2013 zusammen mit den Professoren Peter Wasserscheid, Wolfgang Arlt und Eberhard Schlücker von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) in Erlangen gegründet hat. Ausgangspunkt war ein Projekt, in dem die FAU-Forscher untersuchten, ob nicht ein flüssiger Speicher für Wasserstoff die bisher verwendeten Kohlenwasserstoff-Treibstoffe aus Erdöl im Verkehr ersetzen könnte. In seiner Promotion beim Fahrzeug- und Motorenhersteller BMW wurde Daniel Teichmann dann rasch klar, dass die Methode nicht nur klimaneutrale Treibstoffe liefert, sondern auch in anderen Bereichen als Energiespeicher für Elektrizität wichtig werden könnte.

Wie ein zukünftiger zentraler Baustein der Energiewende sieht der flüssige Speicher für Wasserstoff allerdings zunächst einmal gar nicht aus, den die Forscher inzwischen an drei FAU-Instituten und einem Helmholtz-Institut in Erlangen untersuchen, während Daniel Teichmann und seine Kollegen bei Hydrogenious Technologies das Ganze in moderne Technik verwandeln: Di-Benzyltoluol oder kurz DBT ähnelt eher herkömmlichem Diesel und wird genau wie dieser dann auch aus Erdöl gewonnen. »Allerdings kann man DBT auch synthetisch herstellen«, erklärt Daniel Teichmann. Aber das ist erst einmal gar nicht so wichtig. Denn auch das aus Erdöl gewonnene DBT trübt die Klimabilanz nicht, weil es anders als Diesel oder Benzin nicht in einem Motor verbrannt wird. Vielmehr ist es nur eine Art Pfandflasche, in die der eigentliche Energieträger Wasserstoff gefüllt wird.

Nur besteht diese Pfandflasche nicht aus Glas, sondern ist ein Öl, das bei Temperaturen zwischen minus 34 und plus 390 Grad flüssig bleibt. »Liquid organic hydrogen carrier« (flüssiger organischer Wasserstoffträger) oder kurz LOHC nennen die Forscher diese Pfandflasche aus Öl. Gefüllt wird sie auch nicht mit einfachem Eingießen, sondern mit einer chemischen Reaktion, bei der von einem Katalysator unterstützt bei Temperaturen von 150 bis 250 Grad Celsius und unter Druck Wasserstoff an DBT bindet. Bei dieser Reaktion wird Energie frei, die wieder verwendet werden kann.

Ähnlich wie die Herstellung von Benzin, Diesel und Kerosin in einer Raffinerie ist auch dieses Beladen eines LOHC ein großtechnischer Prozess. Im Idealfall steht eine solche Anlage dort, wo Windkraftanlagen oder Fotovoltaik genug Strom liefern, um damit über Elektrolyse Wasserstoff zu machen. Solche Anlagen könnten zum Beispiel auch in Südspanien, in der Sahara oder in der arabischen Wüste stehen, wo unter der intensiven Sonne des Südens Solarenergie elektrischen Strom und Wasserstoff aus überschüssiger Elektrizität gleichermaßen liefern könnte. Natürlich könnte der Wasserstoff in diesen Regionen in speziellen Solartürmen auch direkt aus der Sonnenstrahlung gewonnen werden, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt forscht in Südspanien bereits an solchen Anlagen.

Tankschiffe für grüne Energie

Auch beladen sind diese LOHC eine Flüssigkeit und spielen so ihren großen Trumpf aus: DBT ist erheblich weniger gefährlich als Benzin, das zum Beispiel Krebs erregend und leicht entflammbar ist. Die mit Wasserstoff beladene Substanz kann daher mit Tankschiffen und Tanklastwagen dorthin gefahren werden, wo die Energie benötigt wird. Und das nicht einmal als Gefahrguttransport. »Wir können daher die vorhandene Infrastruktur für flüssige Treibstoffe wie Tankstellen oder Tankfahrzeuge weiter nutzen«, erklärt Daniel Teichmann.

Würde der Wasserstoff direkt verwendet, müssten dagegen völlig neue Anlagen gebaut werden, die den auf unter minus 250 Grad Celsius gekühlten oder unter hohem Druck stehenden Wasserstoff transportieren und speichern. Der Umgang mit LOHC ist dagegen eher ein »Business as usual« und vereinfacht den bisher sehr aufwändigen Umgang mit Wasserstoff enorm. So kann zum Beispiel das mit Wasserstoff beladene DBT in einem Brennstoffzellen-Fahrzeug in einen Tank gefüllt werden, der genauso wie heute der Dieseltank bei einem LKW aufgebaut ist.

Aus diesem Tank wird der LOHC zunächst in eine Minichemieanlage gepumpt, die unterstützt von einem Platinkatalysator bei Temperaturen von rund 300 Grad Celsius in der umgekehrten Reaktion wie beim Beladen den Wasserstoff wieder aus dem DBT herausholt. Platin ist zwar ein Edelmetall und daher relativ teuer. Für einen Katalysator zum Entladen des LOHC braucht man allerdings nur sehr kleine Mengen und könnte dafür gut das Platin verwenden, das derzeit in den Abgaskatalysatoren unserer Autos steckt. Schließlich braucht man diese Kats nicht mehr, und Platin lässt sich aus ihnen mit minimalen Verlusten recyceln.

Weniger Energie wird gespeichert als bei Benzin

Dieses Be- und Entladen benötigt zwar ein wenig Energie. In der Gesamtbilanz aber schneiden LOHC im Vergleich mit dem direkten Verflüssigen von Wasserstoff oder seiner Aufbewahrung unter hohem Druck und den dabei auftretenden Verlusten erheblich besser ab. Obendrein ist der so aus der Pfandflasche wieder entnommene Wasserstoff sehr rein und kann daher in Brennstoffzellen problemlos eingesetzt werden und elektrischen Strom liefern.

Das wiederum erledigt eine Brennstoffzelle mit einem Wirkungsgrad von rund 50 Prozent sehr effektiv und wiegt damit ein Manko von DBT ein wenig auf: In jedem Kilogramm speichert dieser LOHC ungefähr 2,1 Kilowattstunden Energie und landet damit weit hinter heutigen Treibstoffen, die etwas mehr als elf Kilowattstunden in jedem Kilogramm speichern. Nur hat ein herkömmlicher Verbrennungsmotor im Alltag kaum 30 Prozent Wirkungsgrad und bleibt daher deutlich hinter der Brennstoffzelle zurück.

In der Gesamtbilanz steckt in einem Kilogramm LOHC daher etwa ein Drittel der Energie, die ein Kilogramm Diesel oder Benzin auf die Straße bringt. Aus dem 60 Kilogramm Fahrzeugtank müsste also ein 180 Kilogramm LOHC-Tank werden. Das aber ist erheblich besser als die 600-Kilogramm-Batterien, die ein Tesla-Auto herumschleppt. Für Flugzeuge dürfte diese Energiedichte immer noch zu niedrig sein; Schiffe, Eisenbahnen oder Schwerlastkraftwagen aber dürften damit zurechtkommen, wenn die flüssigen Treibstoffe aus Erdöl nachhaltigeren Systemen weichen.

Wasserstoff-Eisenbahn

Wie dieses System bei der Eisenbahn aussehen könnte, untersuchen der FAU-Wissenschaftler Peter Wasserscheid, der gleichzeitig Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts Erlangen-Nürnberg (HI ERN) ist, und seine Kollegen seit Januar 2018 in einem vom Freistaat Bayern finanzierten Pilotprojekt. Das klingt zunächst einmal überraschend, weil Züge ja längst von Elektromotoren angetrieben fahren. Allerdings braucht man dazu Oberleitungen, die sich nur dort rechnen, wo häufig Züge fahren.

In den Weiten Kanadas oder Australiens fahren die Eisenbahnen daher auch heute noch auf vielen Strecken ohne Oberleitung. Aus ähnlichen Gründen fehlt auch auf mehr als 40 Prozent des deutschen Schienennetzes diese Stromversorgung von oben. Für jene Strecken bietet sich daher im Rahmen der Energiewende ein mit Wasserstoff betriebener Zug an, den die Forscher in Erlangen gerade entwickeln. »Dazu müssen wir zum Beispiel die bisher für den stationären Betrieb verwendeten Anlagen zum Entladen des Wasserstoffs kleiner konstruieren«, erklärt Daniel Teichmann eine zentrale Komponente dieses Projektes. Der so an Bord des Zuges entladene Wasserstoff soll dann in Brennstoffzellen direkt in elektrischen Strom umgewandelt werden, der wiederum den Zug antreibt, ohne dass dieser auf eine Oberleitung zurückgreifen muss.

LOHC-Brennstoffzellen

Aber vielleicht können die Forscher in Zukunft auf das Entladen der LOHC und die zugehörigen Apparate verzichten. Arbeiten sie doch an Brennstoffzellen, die LOHC direkt in elektrischen Strom verwandeln. Erste Prototypen funktionieren in den Labors des HI ERN schon. Die bayerische Regierung ist jedenfalls von LOHC so überzeugt, dass sie die Technik in einem Pilotprojekt im Schienenpersonennahverkehr testen wird.

Anders als bei Diesellokomotiven bringen solche Züge ihre entleerte LOHC-Pfandflasche wieder in den Bahnhof zurück. Von dort transportieren Tankfahrzeuge sie erneut zur Beladestation, wo sie wiederum mit Wasserstoff befüllt werden. Danach treiben sie dann einen weiteren Zug an. Oder einen Lastkraftwagen für den Fernverkehr. Oder ein Frachtschiff, das Jeans und Unterhaltungselektronik aus dem fernen Osten nach Europa bringt.

Damit aber nicht genug: »LOHC können auch in vielen weiteren Bereichen die Klimabilanz erheblich verbessern«, erklärt Daniel Teichmann. So kann der Wasserstoff aus dem beladenen DBT auch für die Produktion von Stahl, Glas oder Dünger eingesetzt werden, bei denen heute noch riesige Mengen Kohlendioxid freigesetzt werden, die so die Klimabilanz stark belasten. LOHC könnten auch herkömmliche Notstromaggregate klimafreundlich machen, die derzeit bei Stromausfällen in Krankenhäusern und anderen wichtigen Einrichtungen mit Diesel betrieben werden. Und überall funktionieren Transport und Lagerung der öligen LOHC mit erheblich weniger Aufwand als das direkte Speichern von Wasserstoff. Die Zeit der flüssigen Energieträger könnte also auch nach der Energiewende weitergehen.

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