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Sinnesleistung: Flugreisen zwingen zum Tomatensaft-Konsum

Im Flugzeug wird mehr Tomatensaft getrunken als am Boden. Psychologen wollten wissen warum - und finden einen unerwarteten Geschmacksmodifikator.
Tomatensaft

Amerikanische Psychologen haben sich endlich einem bislang unerklärlichen Phänomen gewidmet: dem merkwürdigen und plötzlichen Durst auf Tomatensaft bei Flugreisenden. Tatsächlich finden die Experten bei ihren Untersuchungen gute Gründe dafür, dass sonst normale, am Boden fast durchgängig tomatensaftabstinente Personen das Getränk im Flieger gängigen Alternativen vorziehen: Ihre Sinne sind durch die Dauerbeschallung auf spezielle Weise getrübt.

Der Zusammenhang von Hör- und Geschmackssinn war den Forschern bei Untersuchungen aufgefallen, die sie mit 48 Freiwilligen durchgeführt haben. Ursprünglich wollte das Team der (im Prinzip ja naheliegenden) Antwort auf die Frage nachgehen, warum die Mahlzeiten von Airlines einen derart schlechten Ruf genießen. Dafür sollten die Kandidaten unterschiedliche Verdünnungen von Getränken in fünf prototypischen Geschmacksqualitäten probieren; gleichzeitig wurden sie dabei mit Geräuschen beschallt, die denen an Bord von Flugzeugen entsprachen. Tatsächlich werden in Jets auch in der Passagierkabine durchaus gelegentlich 85 Dezibel erreicht.

Bei der Auswertung der Geschmackstests zeigte sich Spannendes. Zunächst einmal unterschied sich zwar die Wahrnehmung und korrekte Einordnung von mehr oder weniger salzigen, sauren oder bitteren Proben nicht wesentlich von üblichen Standardexperimenten, und sie veränderte sich auch nicht durch stärkere oder schwächere Beschallung. Diese hatte auch keinen Einfluss auf die optischen oder taktilen Fähigkeiten oder die Reaktionszeit der Kandidaten. Ganz anders dagegen entwickelte sich ihre Einschätzung von süßen Mixturen: Sie unterschieden im lauten Rauschen plötzlich deutlich schlechter verschiedene Verdünnungsstufen. Genau entgegengesetzt die Wahrnehmung des fleischigen Glutamatgeschmacks umami: Sie wurde bei Dauerkrach nun zunehmend sensibler, was gerade bei höheren Konzentrationen herausstach.

Womöglich, so die noch nicht experimentell überprüfte Hypothese der Forscher, stehen Schall und gustatorische Reizwahrnehmung über das Mittelohr miteinander in Kontakt: Das Dauerrauschen könnte die dort durchlaufende Chorda tympani reizen, einen als Paukensaite bekannten Hirnnervenast. Die Paukensaite ist bekannt dafür, sensorische Geschmacksreize aus den vorderen zwei Dritteln der Zunge ins Hirn zu leiten, und diese Weiterleitung mag durch Schall in der beschriebenen Weise modifiziert werden. Am Ende könnte dies dafür sorgen, dass die typischen süßen Limonaden im Krach über den Wolken fade schmecken – und der salzig-fleischige Tomatensaft plötzlich deutlich besser. Ungetestet blieb bei den neuen Experimenten übrigens auch ein zweiter, womöglich den Geschmack ebenfalls beeinflussender Faktor: Der geringere Luftdruck in den Flugzeugkabinen,den andere Forscher bereits vor einiger Zeit als Ursache für das bessere Standing des Tomatensafts über den Wolken ausgemacht hatten. Ein fairer Vergleich im Labor zwischen Druck und Schall steht nun noch aus, bevor das Thema als geklärt zu den Akten gelegt wird.

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