Fluiddynamik: Computersimulationen sorgen für Wirbel

Für die Schönheit der Gischt eines Gewässers braucht es mehr als die Wellenbewegung selbst. Denn dahinter steckt ein kompliziertes Wechselspiel aus Wind und Wasser. Die Wassermassen erzeugen starke, turbulente Strömungen in der umliegenden Luft. Diese wiederum stoßen mit der Welle zusammen und brechen sie an deren Gipfel; erst dann blubbern Blasen, Wasser spritzt, und die typische weiße Brandung entsteht.
Dem Informatiker Bernhard Braun von der Technischen Universität München ist es erstmals gelungen, dieses Phänomen physikalisch richtig zu simulieren. Sein Modell ist darüber hinaus effizient genug, um auf einem einzigen Computer zu laufen. Braun publizierte seine Arbeit im Juli 2025. Für die hyperrealistischen Simulationen führte er mehrere Ansätze aus Physik und Informatik zusammen. Die dabei entstandenen Grafiken sind der Realität zum Verwechseln ähnlich.
Hinter der Physik von Flüssigkeiten und Gasen verbirgt sich die Strömungslehre. Sie vereint beide zu Fluiden. Denn die Theorie der zwei Stoffe ist ein und dieselbe; mathematisch unterscheiden sie sich lediglich in ihren Materialparametern. Aber gerade diese Unterschiede machen es bei Wasser und Luft äußerst schwer, beide zu verknüpfen und fließend zu modellieren.
Im Zentrum der Strömungslehre stehen die sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen. Sie liefern die mathematische Beschreibung dafür, wie ein mechanischer Impuls durch ein Fluid wandert. Eine weitere Gleichung, die Kontinuitätsgleichung, gibt Auskunft darüber, wie sich die Dichte eines Fluids aufgrund seiner Bewegung ändert. Mit den passenden Startbedingungen sagen die Lösungen der Gleichungen im Prinzip die gesamte Bewegung eines Fluids über einen festgelegten Zeitraum voraus. Doch das Feld ist berüchtigt: Die Lösung der allgemeinsten Form der Navier-Stokes-Gleichungen ist eines der offenen und mit je einer Million US-Dollar bepreisten Millennium-Probleme. Direkt lösen lassen sich die Gleichungen also nicht. Zuerst muss man sie mit gewissen Annahmen vereinfachen.
Eine solche benutzte Braun in seiner Arbeit: Er nahm an, dass das Fluid inkompressibel sei – es lässt sich weder zusammendrücken noch dehnt es sich aus. Dadurch musste er die Gleichungen »lediglich« nach der Geschwindigkeit und dem Druck lösen, um die Bewegung des Fluids zu vorherzusagen. Was einfach klingt, stellt allerdings noch einige Hürden auf. Denn selbst die inkompressiblen Gleichungen lassen sich nicht mit Stift und Papier bewältigen; man kann die Lösungen bloß annähern und benötigt die Rechenleistung eines Computers.
- Die Navier-Stokes-Gleichungen
In der Strömungsmechanik spielen die Navier-Stokes-Gleichungen eine zentrale Rolle. Sie beschreiben das Verhalten von Fluiden und besitzen folgende Form:
Nicht zurückschrecken! Die Gleichungen sind kompliziert, lassen sich aber veranschaulichen.Zunächst bestehen die Gleichungen eigentlich aus drei – eine für jede Raumrichtung. In ihnen findet man, ebenfalls für jede räumliche Komponente, die Geschwindigkeit des Fluids , dessen Druck sowie dessen Dichte (griechisch r, ausgesprochen als »rho«).
Dazwischen stehen die Materialparameter (griechisch l, ausgesprochen als »lambda«) und (griechisch m, ausgesprochen als »mü«). Sie drücken durch Zahlenwerte die Viskosität des Fluids aus, also seine Zähflüssigkeit.
Um die Bewegung des Fluids analytisch zu beschreiben, braucht man sogenannte Differenzialoperatoren. Zum einen als die absolute Ableitung nach der Zeit, zum anderen (ausgesprochen als »nabla«), welches die räumlichen Ableitungen beinhaltet. Die mathematischen Ableitungen wirken auf Geschwindigkeit, Druck und Dichte und legen damit fest, wie diese sich durch den Raum und über die Zeit verändern.
- Die Kontinuitätsgleichung
Die drei Navier-Stokes-Gleichungen besitzen fünf Unbekannte (die drei Geschwindigkeiten sowie Druck und Dichte). Um sie lösen zu können, braucht man somit weitere Gleichungen. Eine davon ist die Kontinuitätsgleichung, Ihre Grundlage ist die physikalische Überlegung, dass die Partikelbewegung des Fluids mit sich selbst konsistent sein muss: Wie die Fluiddichte sich zeitlich verändert (links), entspricht ihrem Stromfluss durch den Raum (rechts).
- Die inkompressiblen Gleichungen
Um die Berechnungen zu erleichtern, wird das Fluid häufig als »inkompressibel« angenommen. Physikalisch gesehen dehnt es sich dadurch nicht aus und wird nicht zusammengedrückt; mathematisch betrachtet schreibt sich das als Die Dichte selbst verändert sich somit mit der Zeit nicht.
Die rechte Seite der Kontinuitätsgleichung wird dann ebenfalls gleich null:
Dadurch vereinfachen sich die Navier-Stokes-Gleichungen zu
Die letzten beiden Gleichungen bilden die inkompressiblen Navier-Stokes-Gleichungen.
- Zusammenhang mit der newtonschen Mechanik
Die Navier-Stokes-Gleichungen verkörpern in komplizierter Form das newtonsche Gesetz Dieses besagt, dass die Kraft eines Körpers gleich der Beschleunigung seiner Masse ist.
Auf der linken Seite der Navier-Stokes-Gleichungen steht die Dichte mal der zeitlichen Änderung der Geschwindigkeit. Da die Dichte gleich der Masse pro Volumen ist, und die zeitliche Änderung der Geschwindigkeit gleich der Beschleunigung, verkörpert die linke Seite Masse mal Beschleunigung.
Auf der rechten Seite steht die resultierende Kraft in Form der inneren Kräfte des Fluids. Sie entstehen aufgrund der unterschiedlichen Beschleunigungen seiner Dichte.
In der Theorie der klassischen Strömungslehre sind Raum und Zeit kontinuierliche Größen, die bis ins unendlich Kleine verlaufen. Druck und Geschwindigkeit nehmen je nach der Position im Raum und dem momentanen Zeitpunkt unterschiedliche Werte ein – im Prinzip unendlich viele.
Computer und die numerische Strömungsdynamik reduzieren diese unendliche Vielzahl an Möglichkeiten auf ein handhabbares Maß. Sie simulieren Raum und Zeit lediglich und nähern sie an: Der Raum ist in endlich große Zellen aufgeteilt, die Zeit läuft in einer festgelegten Schrittweite ab. Die Zellen des Raums spannen ein Rechengitter auf. Die Gleichungen programmiert man dann auf die Gitterpunkte und für jeden Zeitschritt. Dadurch werden sie näherungsweise lösbar. Man muss die Geschwindigkeit und den Druck nicht mehr für jeden Punkt in Zeit und Raum berechnen, sondern nur noch an diskreten, ausgewählten Stellen. Es entsteht ein Gleichungssystem mit einer endlichen Anzahl an Gleichungen, das ein Algorithmus mit komplizierten numerischen Verfahren lösen kann.
Bei der Berechnung einer Wellengischt stößt man dabei auf weitere Hürden, die Braun erstmals überwinden konnte. Denn für das realistische Modell beispielsweise einer Tsunamiwelle muss die Simulation Luft- und Wassermassen über große räumliche Distanzen erfassen. Gleichzeitig erfordern die komplexen Bewegungen der Teilchen eine sehr hohe Rechenauflösung in Form eines sehr feinen Rechengitters. Das Dilemma führt normalerweise zwangsläufig zu einem riesigen System mit einer nicht zu bewältigenden Rechenzeit. In seiner Arbeit löste Braun dieses Problem mit einem Algorithmus, der die Auflösung lokal variiert. Auf Regionen mit einer regeren Dynamik konnten dadurch mehr Rechenkapazitäten entfallen, während ruhigere Gebiete weniger detailliert simuliert werden mussten.
Wie man den Raum im Computer simuliert
Für Computersimulationen wird der Raum mit einem Rechengitter modelliert. Eine sogenannte Diskretisierung teilt ihn in ein Gitter auf. Auf dessen Schnittpunkten löst man dann die Gleichungen, die das untersuchte System beschreiben. Für die Lösbarkeit ist es häufig entscheidend, wie viele Zellen es gibt, und besonders, wie sie angeordnet sind.
Generell gilt: je höher die Auflösung des Gitters, desto besser die Lösbarkeit. Allerdings führt das zu einer längeren Rechenzeit – da an mehr Stellen gerechnet wird. Oftmals variiert man daher die Auflösung je nach Bedarf: Kompliziertere Regionen erhalten eine größere Auflösung verglichen mit weniger problematischen Bereichen.
Außerdem setzt die verwobene Dynamik von Wind und Wasser, die für die Gischt einer Welle verantwortlich ist, herkömmlichen Modellen Grenzen. Derart »weißes« Wasser lässt sich nicht über ein sogenanntes Single-Phasen-Modell erfassen, das nur Wasser berücksichtigt. Ein physikalisch korrektes Modell braucht außerdem die Bewegungen der Luft. Daher musste Braun für seine Ergebnisse ein Zwei-Phasen-Modell simulieren, das die Bewegung beider Fluide vereint. Doch ein solches Modell erschwert gerade bei Wasser und Luft die Lösbarkeit der Gleichungen deutlich. Bisherige Computermodelle haben die Gischt von Wellen deswegen nicht tatsächlich simuliert, sondern lediglich unter groben Annahmen nachträglich hinzugefügt.
Der Grund: Die Dichte von Wasser ist ungefähr 1000-mal größer als die von Luft. Das sorgt in den Regionen, wo die beiden Phasen aufeinandertreffen, für erhebliche Probleme. Hier lassen sich die Druckgleichungen nicht mehr lösen. Es treten Unstetigkeiten auf, einige Regionen werden »schlecht konditioniert« (»ill-conditioned«), das heißt, kleinste Unterschiede in den Gleichungssystemen führen zu großen Fehlern. Der Algorithmus findet keine Lösung – die Berechnung bricht ab.
Das ist die größte Schwierigkeit bei der Simulation von weißem Wasser. Denn laut Braun ist bereits bei den herkömmlichen Single-Phasen-Modellen das Lösen nach dem Druck ein berüchtigter Engpass, an dem der Algorithmus scheitern kann. »Es muss ein gigantisches lineares Gleichungssystem mit Milliarden von Unbekannten gelöst werden«, erläutert Braun. »Aus diesem Grund war es bisher hoffnungslos, echte Zwei-Phasen-Solver für solche extremen Auflösungen einzusetzen.«
Um diesen Engpass zu überwinden, entwickelte Braun einen Algorithmus, der sich der Lösbarkeit des Drucks annahm und darüber hinaus adaptiv war. Braun passte nicht nur das räumliche Rechengitter an die jeweiligen Anforderungen an; je nach Region wendete der Lösungsalgorithmus entlang der Luft-Wasser-Schnittstelle auch unterschiedlich viele Ressourcen dafür auf, die schlechte Konditionierung des Gleichungssystems zu überwinden. In manchen Stellen war es also wichtiger, eine gute Lösung zu finden, als an anderen.
Erst die Kombination dieser und weiterer numerisch-mathematischer Ansätze ermöglichte letztlich hyperrealistische Simulationen von turbulentem Wasser. Die adaptiven Ansätze machten den Vorgang darüber hinaus effizienter. Statt eines großen Rechenzentrums brauchte es lediglich einen leistungsfähigen Laborcomputer.
Brauns Methoden und Ergebnisse dürften ein breites Anwendungsfeld finden. Nicht zuletzt können sie in der Filmindustrie eingesetzt werden, um visuelle Effekte noch realistischer zu machen und händische Nachbearbeitungen zu sparen. Genauso interessant sind sie bei großräumigen Wassersimulationen wie für den Küstenschutz oder für die Planung im Gewässerbau. Bei Staudämmen beispielsweise kann die Berücksichtigung der Luftphase dabei helfen, um mehrere Meter genauer zu berechnen, wie weit das Wasser ausgeworfen wird. Solche Verfahren werden also dazu beitragen, nicht nur digitale Küsten und Gewässer hübscher zu machen – sondern auch die realen sicherer.
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