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Vogelgrippe: Form statt Verbindung

Der Vogelgrippe-Erreger tötet Mensch wie Tier - nach Belieben zwischen beiden hin- und herwechseln kann er indes nicht. Noch nicht, orakeln Virologen düster und suchen nach Gründen dafür, dass H5N1 nicht alle Menschen infiziert und immer ein Vogelreservoir als Sprungbrett braucht.
H5N1
Sehr ansteckend, kein Heilmittel, tötet mehr als die Hälfte aller Infizierten: H5N1 hat alle äußeren Kennzeichen eines maßgeschneiderten Super-Erregers. Grund genug also sich Sorgen zu machen – besonders als Vogel. Beim Menschen lässt die Panik der vergangenen Jahre vor dem tödlichen Virus mittlerweile allerdings spürbar nach. Und das, obwohl über sechzig Prozent der mittlerweile mehr als 330 Unglücklichen starben, die sich irgendwie durch zu engen Kontakt mit dem eigentlich auf Vögel spezialisierten Erreger infiziert hatten.

Die Aufmerksamkeitspanne der Gesellschaft ist kurz, vielleicht tut sich ja zu wenig Neues auf dem Gebiet der Vogelgrippeforschung. Und immerhin warnen Experten nun schon seit Jahr und Tag vor einem Schreckens-Szenario: Irgendwann wird aus dem tödlichen Vogelgrippe- ein Menschengrippe-Erreger, der die Tödlichkeit der 1918 grassierenden Spanischen Grippe in den Schatten stellen dürfte.

Auch wiederholte Warnungen bleiben aber berechtigt, denn im Prinzip bedarf es noch immer nur einer dezenten Anpassung im biochemischen Arsenal des Influenzaerregers H5N1: Statt der Zellen der Vogel-Atemwege muss er vorzugsweise jene des Menschen entern. Ein so modifiziertes Virus kann dann zwanglos von Mensch zu Mensch springen und die epidemiologische Horrorvorstellung einer unbehandelbaren Grippeseuche wahr machen. Und aus Sicht des Virus, so hatten Forscher vor knapp zwei Jahren enthüllt, sind die entscheidenden Unterschiede zwischen Vogel- und Menschenzelle im Atemtrakt erschreckend gering.

H5N1 | Vogelgrippe-Viren vom Typ H5N1 (rot markiert) befallen vor allem Zellen, mit denen die tief sitzenden Alveolen der Lungen ausgekleidet sind. Zellen der oberen Atemwege bleiben dagegen meist verschont.
Ausschlaggebend sind nach Stand der Dinge bestimmte, für die jeweilige Art typische Moleküle auf der Membran der Zellen von Atemwegen und Lunge – die Sialinsäuren. An sie müssen Influenza-Viren wie der Vogelgrippe-Erreger andocken, um die Zellen erfolgreich zu infizieren. Als Dockadapter dient den Viren dabei ihr eigenes Oberflächenprotein Hämagglutinin (hierfür steht das "H" in H5N1). Erst nachdem H5 an die Sialinsäure der Zelle gebunden hat, wird das virale Erbgut in die Zelle eingeschleust, wo es das Kommando übernimmt und die eroberte Zelle zwingt, neue Erreger zu produzieren.

Vogel- und menschentypische Atemtrakt-Biochemie unterscheidet sich besonders in der Art der Verknüpfung dieser Sialinsäure mit den Zuckerketten, über die sie in der Zellmembran verankert ist. Hier existieren zwei Varianten, die von Biochemikern unter den Kürzeln alpha-2,3- und alpha-2,6-gebundene Sialoside bekannt sind. Vogelgrippe-Viren ziehen die alpha-2,3-gebundene Form vor – die bei Menschen fast nur tief in der Lunge vorkommt. In unseren Nasenschleimhäuten und Luftröhren herrschen stattdessen Zellzucker mit Sialinsäure-alpha-2,6-Bindung vor, die denn auch typischerweise menschliche Influenzaerreger als Andockpunkt nutzen – in den oberen Atemwegen gekaperte Zellen produzieren danach Viren, die besonders leicht auch wieder aus dem Körper des Einen herausgelangen und einen Anderen infizieren können.

Vogel- und Menschenzucker?

Seit Forscher das verinnerlicht hatten, warfen sie entsprechend besonders besorgte Blicke auf Mutationen im Hämagglutinin von H5N1, die sich auf die Erkennung der spezifisch verknüpften äußeren Sialinsäuren auswirken könnten. Mittlerweile existieren sogar Testkits mit kurzen alpha-2,6-gebundenen Sialinsäuren an Zuckerketten auf einem Film, mit denen die potenzielle Gefährlichkeit neu isolierter H5N1-Varianten abgeschätzt wird: Binden die Viren mit H1 an diese Sialinsäure-Zucker, so könnten sie auch Menschen gefährlich werden.

Das ist allerdings vielleicht ein Trugschluss, meinen nun Ram Sasisekharan vom Massachusetts Institute of Technology und seine Kollegen. Den Wissenschaftler hatten ein Paar Unstimmigkeiten der schönen, bislang gültigen Theorie keine Ruhe gelassen: Warum zum Beispiel scheinen einige H5N1-Varianten durchaus gelegentlich an die humancharakteristischen alpha-2,6-Ketten anzudocken? Warum kann man zwar recht zwanglos ein umgebautes Menschen-Influenza-Virusmodel basteln, das im Tierversuch an typisch tierische alpha-2,3-Sialoside bindet – nicht aber umgekehrt genauso einfach ein Tiergrippevirus so umbauen, dass es an nachgebaute menschliche 2,6-Varianten andockt? Gibt es womöglich bislang übersehene relevante Unterschiede der alpha-2,6-gebundenen Sialinsäure auf den menschlichen Zellen?

Die Forscher untersuchten nun besonders den Unterbau, an den die Sialinsäure im menschlichen Atemtrakt per alpha-2,6-Bindung anschließt und stießen dabei auf ein paar bemerkenswerte architektonische Unterschiede. Sehr häufig bilden gerade längere oder gar verzweigte Strukturen aus mehreren Amino- oder einfachen -Zuckern die Basis einer längeren Kette, an deren Ende die Sialinsäure sitzt. Jede solche Kette führt ganz typische schlenkernde Bewegungen aus: Dreht sie sich zum Beispiel nahe der Verknüpfung mit der Membran auf einem Bindungspunkt und ist kurz dahinter starr abgeknickt, so mutet ihr Gewirbel von außen betrachtet fast wie ein flacher, breiter Regenschirm an. Die Sialinsäure findet man – als interessiertes Virus – nur am äußeren Rand dieser Struktur.

Die Topologie der Gefahr

Einen ganz anderen Raum nehmen dagegen kurze Ketten mit nicht abgewinkelten, sondern eher starr nach oben verknüpften Gliedern ein: Ihre Pendelbewegung erzeugt insgesamt einen steilen Kegel, auf dessen oberen Ende die endständige Sialinsäure thront. Und zwar relativ unabhängig davon, ob dieses letzte Kettenglied per 2,3- oder per 2,6-Bindung an die darunter kreisende Kette gebunden ist.

Sasisekharan und Co testeten nun, ob vielleicht eher diese typische räumliche Struktur der Zuckerketten als die Bindungscharakteristik der Sialinsäure für das Andocken viralen Hämagglutinins entscheidend ist – und tatsächlich ergab die Durchmusterung von Datenbanken, in denen die Bindung zwischen verschiedenen Hämagglutininen unterschiedlicher Viren mit unterschiedlichen Sialinsäure-Zuckerketten gespeichert waren, sehr aufschlussreiche Erkenntnisse. Denn stets gab besonders die Topologie der Zuckerketten den Ausschlag darüber, ob Viren sich angezogen fühlten.

Menschliche Grippeviren binden etwa vermehrt an die regenschirmförmig verteilten langen Zuckerketten – ob an deren Ende die Sialinsäure alpha-2,6-verknüpft ist, ist dabei vielleicht gar nicht endgültig entscheidend. Vogelgrippe-Viren docken dagegen an die kurzen, eine kegelförmige Zone einnehmenden Ketten, die im Vogel zufällig alpha-2,3-gebundene Sialoside tragen. Genauso aber bindet H5N1 auch an kurze alpha-2,6-verknüpfte Sialoside – wie sie etwa im Schwein-Atemtrakt vorherrschen: Sie haben die gleiche Kegel-Topologie wie die Vogelzuckerketten.

Schön: H5N1 erkennt also seine Andockbucht nicht an einer Zuckerbindung, sondern an der Form der Gesamtkette – wie zuvor bleibt aber gültig, dass es die typisch menschlichen langen alpha-2,6-Sialinsäureketten gegenüber den alpha-2,3-Vertretern vernachlässigt. Ist diese Erkenntnis wirklich ein bemerkenswerter Fortschritt?

Durchaus, kommentiert etwa Carole Bewley von den National Institutes of Health. Vor allem sollten angesichts der Erkenntnisse diagnostische Verfahren zu H5N1-Varianten überdacht werden, bei denen auf Testkits "typisch menschliche" Zucker mit endständig alpha-2,6-gebundenen Sialinsäuren im Einsatz sind. Denn diese bilden eben den "vogeltypischen" Kegel. Bindet hier ein H1 eines Virenstamms, dann dürfte dies einen lauten, aber falschen Alarm auslösen: Dass es an die ganz anders geformten langen Zuckerreste in der natürlichen Atemtrakt-Umgebung bindet, ist nach den neuen Ergebnissen eben eher sehr unwahrscheinlich, passende Zuckerbindung hin oder her. Eine Warnung vor solchen Erregern wäre zwar immer noch ein guter Grund, sich Sorgen zu machen – allerdings eben besonders als Vogel.

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