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Rauchen: Forschung im Nebel der Interessen

Die "elektronische Zigarette" liegt voll im Trend. Unklar bleibt derzeit, ob sie vielleicht Leben rettet - oder doch nur der Tabakindustrie neue, abhängige Kunden zutreibt.
E-Zigarette

In der schönen neuen Welt hält man über E-Mails Kontakt zu Freunden, bildet sich im virtuellen Hörsaal beim E-Learning weiter, liest die neuesten Romane auf dem E-Book und raucht dabei womöglich eine E-Zigarette. Das "E" hat sich eingeschlichen: Es verspricht Bequemlichkeit, Unverfänglichkeit und Sicherheit. Doch bei kaum einem anderen Thema scheiden sich die Geister so sehr wie bei der elektrischen Zigarette.

Die E-Zigarette, sagen nicht wenige Experten, kann das Leben von Millionen Rauchern retten. Denn die elektronische Variante des Glimmstängels versorge Raucher mit Nikotin, ohne sie mit all den Krebs erregenden Stoffen zu belasten, die bei der Verbrennung der klassischen Zigarette eingeatmet würden.

Andere sehen in dem Gerät, das seit knapp zehn Jahren und mit zunehmendem Erfolg auf dem Markt ist, eine Bedrohung, weil damit Millionen von Nichtrauchern auf den Weg in die Nikotinabhängigkeit gelockt würden. Die E-Zigarette wird weltweit aggressiv vermarktet. Mit Erfolg: In Deutschland gebrauchen sie geschätzte zwei Millionen Menschen, und aus den USA kommen beunruhigende Zahlen, nach denen mehr und mehr Kinder und Jugendliche E-Zigaretten ausprobieren.

Immerhin: Über die Sicherheit von und die Gesundheitsgefahren durch E-Zigaretten wird mittlerweile wenigstens diskutiert. Bis zu einer bindenden Entscheidung über die Regulierung des neuen Zigarettentyps oder rechtliche Einschränkungen des Verkaufs wäre es aber noch ein weiter Weg. Das Europäische Parlament verabschiedete Anfang Oktober einen Gesetzentwurf für eine neue Tabakrichtlinie, die auch Vorschriften für den Umgang mit E-Zigaretten enthält. Diese sollen danach zwar stärker reguliert, grundsätzlich aber nicht als Arzneimittel eingestuft werden, wie einige medizinische Experten fordern. In den USA wird für November eine Entscheidung der Food and Drug Administration (FDA) erwartet, wie mit E-Zigaretten zukünftig umzugehen ist. Bei der Entscheidungsfindung stehen die Gremien dabei vor einem Dilemma: Die Forschung über E-Zigaretten ist sehr lückenhaft und bietet bisher lediglich Anhaltspunkte für eine Risikoeinschätzung.

Dampf statt Rauch

Wie funktionieren die Geräte, und welche Substanzen gelangen in die Lungen von Nutzern und in die Umgebungsluft? Im Gegensatz zum klassischen Glimmstängel wird in der E-Zigarette kein Tabak verbrannt, sondern eine Mixtur aus Chemikalien mit Hilfe einer batteriebetriebenen Heizeinheit vernebelt. Nur wenn der Raucher (der "Dampfer", wie sich die Nutzer selbst nennen) an der E-Zigarette zieht, springt die Heizeinheit an, und der Nebel wird eingeatmet. Mit welchen Substanzen der Dampfer dabei in Kontakt kommt, hängt von den Inhaltsstoffen der Flüssigkeit ab, mit der die austauschbaren Kartuschen gefüllt sind. Dieses "Liquid" besteht meist zu bis zu 90 Prozent aus der Trägersubstanz Propylenglykol. Diese Chemikalie ist als Zusatzstoff in Nahrungs- und Kosmetikprodukten zugelassen und sorgt als farblose und fast geruchlose Flüssigkeit in Diskotheken und bei Konzerten für künstlichen Nebel.

Zusätzlich enthält das Liquid Nikotin in variablen Mengen sowie Ethanol, Glyzerin und Aromen: Kirsche, Menthol oder Schokolade, also alles, was das Herz begehrt. Häufig sind die Inhaltsstoffe, wenn überhaupt, aber falsch deklariert. "Ein großes Problem für den Nutzer einer elektrischen Zigarette ist, dass er aktuell in vielen Fällen nicht weiß, was genau im Liquid enthalten ist und was er da einatmet", sagt Tobias Schripp vom Fraunhofer Wilhelm-Klauditz-Institut in Braunschweig. So fanden Kontrolleure der US-amerikanischen FDA bei einer Studie zum Beispiel in einem angeblich nikotinfreien Liquid höchste Konzentrationen dieses Suchtmittels. Sollte die neue Tabakrichtlinie rechtskräftig werden, muss sich das ändern: Die Hersteller sind dann gegenüber den Behörden zu einer genauen Auflistung aller Inhaltsstoffe verpflichtet.

Von den Inhaltsstoffen hängt auch ab, was für Substanzen beim Dampfen an die Umgebungsluft abgegeben werden. Tobias Schripp und andere Mitarbeiter vom Fraunhofer-Institut haben sich hier drei verschiedene Liquids angeschaut [1]. "Generell ist die Belastung geringer als durch den Tabakrauch, weil der Dampf nur beim Ziehen und Ausatmen an der E-Zigarette frei wird und sich nicht, wie bei der brennenden Zigarette, permanent Rauch bildet", erklärt Schripp. Doch der Testqualmer in der Braunschweiger Messkammer hinterließ deutliche Spuren: Leicht flüchtige organische Verbindungen wurden frei sowie das Propylenglykol, das die Atemwege reizen kann, Diacetin, Nikotin, die Duftstoffe und feine Partikel.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Wissenschaftler vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie untersuchten, wie sich die Luft in einem natürlich belüfteten Raum durch den Gebrauch einer E-Zigarette verändert, aber auch, wie die Atemwege des Dampfers auf den Nebel reagieren. Je drei Testpersonen dampften mehrfach jeweils für zwei Stunden eine E-Zigarette, deren Liquid entweder Nikotin enthielt oder nicht. Zusätzlich zu den von den Braunschweigern gemessenen Substanzen entdeckten Hermann Fromme und sein Team vom LGL in der Raumluft Spuren der bedenklichen polyzyklischen Aromaten und nach einer von sechs Dampfsitzungen auch das Krebs erregende Formaldehyd.

"Außerdem haben wir ultrafeine Partikel gefunden, die potenziell gesundheitsgefährdend sind", ergänzt Fromme. Im Rasterelektronenmikroskop prüfen die Münchner gerade, ob es sich dabei um feste (potenziell gefährliche) oder flüssige (ungefährlichere) Partikel handelt. "Die E-Zigarette ist also nicht emissionsfrei, sondern kann die Raumluft mit bedenklichen Substanzen belasten, wenn auch in einem geringeren Umfang als der Tabakrauch", so der Forscher. Ein Gesundheitsrisiko sei damit auch für Passivdampfer nicht auszuschließen. Eine erhebliche Gefährdung Dritter sieht Fromme außerdem in den mit Flüssigkeit gefüllten Kartuschen. Verschluckt ein Kind die nikotinhaltigen Liquids oder bekommt sie auf die Haut, könne schnell eine tödliche Dosis erreicht werden.

Risiko Abhängigkeit

Auch der Körper der Konsumenten von E-Zigaretten reagiert. Die Ausatemluft aller Testpersonen enthielt in Frommes Messungen erhöhte Mengen an Stickstoffmonoxid. Das ist ein Biomarker für Entzündungsprozesse in den Atemwegen, die in diesem Fall möglicherweise durch die reizenden Trägersubstanzen Propylenglykol und Glyzerin verursacht wurden. Im Urin der Dampfer, die nikotinhaltige Liquids in ihren E-Zigaretten hatten, fanden sich Nikotin und seine Abbauprodukte. Entgegen anders lautenden Behauptungen würde das Nikotin also sehr wohl über die E-Zigaretten aufgenommen, so Fromme. "Die Werte sind zwar nicht so hoch wie bei klassischen Rauchern, aber auch der Konsum von E-Zigaretten birgt das Risiko einer Suchterzeugung und Abhängigkeit", sagt der Mediziner.

Diese Aussage steht nun im Gegensatz zu der von einigen Experten angepriesenen Eigenschaft, dass E-Zigaretten dabei helfen können, auf den Glimmstängel zu verzichten. Der Umstieg auf das elektronische Gerät verringert die Gefährdung durch toxische Verbrennungsprodukte, das ist keine Frage. Aber kann durch die Nikotinaufnahme per E-Zigarette überhaupt eine Entwöhnung erreicht werden? Das (nicht unumstrittene) Nikotinpflaster soll als Mittel zur Raucherentwöhnung durch eine kontinuierliche Zufuhr von Nikotin die Nikotinwirkung und das bisherige Suchtverhalten entkoppeln. Die E-Zigarette entkoppelt hier nun aber keinesfalls: Es wird gesogen, verdampft, Nikotin aufgenommen. Die Wirkung ist ähnlich wie bei klassischen Zigaretten.

Gleichzeitig entwöhnen Nikotinpflaster und E-Zigarette im Vergleich ähnlich viele Raucher von ihrem Laster. Oder genauer: ähnlich wenige. Denn während etwas mehr als sieben Prozent der Testraucher in einer Studie nach sechs Monaten E-Zigarette abstinent waren, hörten etwa sechs Prozent mit Nikotinpflaster, immerhin aber auch vier Prozent in einer der Placebogruppen nach dem halben Jahr mit dem Rauchen auf [2]. "Die Abstinenzrate lag niedriger als erwartet, daher ist kein statistischer Vergleich der Methoden möglich", schreiben die Autoren der Studie. Dennoch fürchtet der Erstautor Christopher Bullen von der University of Auckland in Neuseeland, dass eine Überregulierung der E-Zigarette – etwa durch ihre Einstufung als Arzneiprodukt – Rauchern eine Option zur Entwöhnung nehmen würde, weil sie dann schnell vom Markt verschwinden würde.

Lamberto Manzoli und einige italienische Kollegen weisen indes darauf hin, dass erst gerade einmal zwölf Studien zum Thema Sicherheit und Wirksamkeit von E-Zigaretten durchgeführt worden sind: Sieben davon sind bereits abgeschlossen, nur vier aber bisher veröffentlicht [3]. Gerade die unklare Sachlage erschwert die Diskussion um die E-Zigarette, die zudem durch starke Finanzinteressen vernebelt wird. Deutliche Worte findet ein Herausgeber von "Lancet Oncology", der in einem Editorial das Kernproblem der E-Zigaretten anspricht: "Unabhängig davon, wie gefährlich oder ungefährlich die Verabreichung ist: Der Konsument wird abhängig. Er gewöhnt sich an die Nikotindosis und sucht nach Wegen, sie zu steigern, was in diesem Fall höchstwahrscheinlich zum Rauchen der klassischen Zigarette führt." Bezeichnend sei zudem, dass immer mehr Tabakkonzerne in den E-Zigaretten-Markt einsteigen. Somit vertreiben Tabakkonzerne Gerätschaften, die als Hilfen zur Raucherentwöhnung beworben werden.

Das EU-Parlament hat sich mit seinem Gesetzentwurf jetzt vorerst geschickt aus der misslichen Lage manövriert: E-Zigaretten sollen nur dann wie Arzneimittel eingestuft und mit entsprechend langwierigen und teuren Auflagen belegt werden, wenn sie als Mittel zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten angeboten werden. Ob dazu auch die Heilung von Tabakabhängigkeit zählt, ist dem Entwurf nicht zu entnehmen.

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