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Paläoanthropologie: Fortschritt durch Wandel

Die Kombination "Klimaveränderung und Mensch" hat einen schlechten Beigeschmack - schließlich heizt Homo sapiens seinem Planeten kräftig ein und bedroht damit früher oder später auch seine eigene Existenz. Doch diese verdankt er vielleicht erst drastischen Klimaschwankungen.
Kieselalgen
Der Mensch weist eine besondere Spezialisierung auf: Er ist unspezialisiert. Zwar können wir nicht so schnell rennen wie eine Gazelle, so geschickt Bäume erklimmen wie eine Katze oder so mühelos einen Fluss überqueren wie eine Ente. Doch selbst ein unsportliches menschliches Wesen ist zu all dem mehr oder weniger gut in der Lage, während rasende Enten, kletternde Gazellen oder schwimmende Katzen eher selten zu sehen sind.

Als Generalisten haben sich unsere Vorfahren erfolgreich durchs Leben geschlagen. Doch woher kommt diese Spezialisierung auf das Unspezielle? Nach der klassischen Vorstellung der Anthropologen hat sich das Klima in Afrika – wo die menschlichen Wurzeln zu suchen sind – allmählich gewandelt. Zunehmende Trockenheit verdrängte die dichten Waldbestände und machte einer lockeren Savannenvegetation Platz.

Unsere baumlebenden Ahnen hatten nun die Wahl. Entweder sie weichen in die noch bestehenden Waldgebiete zurück – wo sich auch heute noch Menschenaffen wohl fühlen –, oder sie bleiben und fügen sich den veränderten Umweltbedingungen. Offensichtlich wählten sie letzteres mit entsprechenden Anpassungen: aufrechter Gang, verstärkter Fleischverzehr, Werkzeuggebrauch und ein vergrößertes Hirnvolumen.

Elmenteita-See | Heutige Salzseen in der ostafrikanischen Grabenzone, wie hier der Elmenteita-See in Kenia, sind typischerweise flach und extrem alkalisch. Während der letzten zweieinhalb Millionen Jahren gab es hier jedoch immer wieder feuchte Phasen mit großen Seen, die über 150 Meter tief waren.
Doch so einleuchtend diese Savannen-Hypothese klingen mag, immer mehr Wissenschaftler zweifeln an ihr. Denn sie setzt voraus, dass sich das Klima tatsächlich nur langsam und allmählich gewandelt hat – was durchaus nicht sicher ist –, und sie erklärt kaum das Generalistendasein von Homo sapiens. Der amerikanische Paläoanthropologe Rick Potts schlug daher ein anderes Modell vor: Was wäre, wenn die Anpassung des Menschen eben nicht auf einem kontinuierlichen Klimawandel, sondern auf immer wiederkehrenden abrupten Wechseln beruht? Nur wahre Generalisten könnten diesen Dauerstress überstehen.

Kieselalgen | Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Kieselagen aus pleistozänen Seesedimenten der ostafrikanischen Grabenzone: Diese Fossillien liefern wichtige Hinweise über Umweltfaktoren wie Wassertiefe und Salzgehalt.
Inzwischen mehren sich die Hinweise für diese Variabilitätshypothese. Und auch die Klimadaten aus Ostafrika, die Martin Trauth von der Universität Potsdam und seine Kollegen zusammentragen konnten, sprechen für sich. Die Forscher hatten in Äthiopien, Kenia und Tansania die Sedimentablagerungen längst vergangener Seen unter die Lupe genommen. Oder besser gesagt: unters Mikroskop. Denn insbesondere die Überreste mikroskopisch kleiner Kieselalgen können den Geowissenschaftlern eine Menge über das Klima der Vergangenheit erzählen. Demnach wurde es hier – wie in der Savannen-Hypothese vorausgesetzt – nicht kontinuierlich immer trockener. Es gab vielmehr immer wieder ausgeprägte feuchte Phasen. Insbesondere vor 2,7 bis 2,5 Millionen Jahre, vor 1,9 bis 1,7 sowie vor 1,1 bis 0,9 Millionen Jahre muss es nach Ansicht der Forscher ziemlich nass gewesen sein, bevor es endgültig trocken wurde.

Gicheru-See | In den 30 Meter mächtigen Sedimentablagerungen des ehemaligen Gicheru-Sees in Kenia fanden die Forscher Skelettfossilien von Kieselalgen, mit denen sich das Klima zur Zeit der Entstehung des Menschen rekonstruieren ließ.
Jedoch nicht nur in Ostafrika, auch weltweit waren die Zeiten damals klimatisch unsicher: In der ersten von den Wissenschaftlern aufgespürten feuchten Periode intensivierte sich die Vergletscherung der nördlichen Hemisphäre unseres Planeten. Der zweite Zeitabschnitt war geprägt durch zunehmende atmosphärische Zirkulationen in den Tropen, die so genannten Walker-Zirkulationen, die von den Passatwinden mitverursacht werden. Und in der dritten Periode veränderte sich der Rhythmus zwischen pleistozänen Kalt- und Warmzeiten von einem 40 000- zu einem 100 000-jährigem Wechsel.

Harte Zeiten also – doch genau in diesen Zeiten liegen wichtige Phasen der Menschheitsgeschichte: Vor etwa 2,5 Millionen Jahre wagte die Gattung Homo ihre ersten Schritte, und spätestens vor 1,7 Millionen Jahren schickte sich Homo erectus an, die Welt zu erobern. Demnach könnten wir unsere typisch menschlichen Eigenschaften als widerstandsfähige Generalisten tatsächlich plötzlichen Klimaschwankungen verdanken. Das sollte uns allerdings nicht dazu verleiten, jetzt das Klima selbst in die Hand zu nehmen und es noch schneller und drastischer zu verändern, als es je auf diesem Planeten geschehen ist.

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