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Paläogenetik: Fossile Wurzelbehandlung

Wieder ist ein Genom entziffert - oder besser gesagt: ein Ausschnitt, denn es handelt sich nur um das Erbgut der Mitochondrien. Kaum der Rede wert? Von wegen: Es ist die bislang älteste komplette daraus stammende Sequenz, und sie klärt die Verwandtschaftsverhältnisse der Elefanten. Und das alles anhand eines einzigen fossilen Zahns eines Mastodons.
Mastodon-Zahn
Ein kleiner Fadenwurm und die derzeit wieder überall an Obst sitzende Taufliege gehörten mit zu den ersten. Inzwischen ist die Liste lang geworden, und auch Mücke, Maus und Mensch haben sich dazu gesellt: zu jenen Organismen, deren Erbgut entziffert wurde. Mit dieser theoretischen Bauanleitung, so hoffen viele, müsste sich einiges erklären lassen – von einzelnen krankheitsauslösenden Genen bis hin zur umfassenden Verwandtschaftsanalyse mit datierbaren Stammbäumen.

Genome längst vergangener Zeiten

Für Letzteres allerdings benötigen Wissenschaftler nicht das Genom aus dem Zellkern, ihnen reicht jenes Erbgut, das die Kraftwerke der Zelle in sich tragen: die mitochondriale DNA. Sie eignet sich sogar weit besser für die Abstammungsaufklärung, da sie zum einen schneller mutiert und diese Veränderungen den Lauf der Entwicklung deutlich machen. Zum anderen ist sie stabiler als die Kern-DNA und daher bei fossilen Überresten eher noch zu gewinnen. Aus ausgegrabenen Knochen oder Zähnen isolierte Spuren, die mit Polymerase-Kettenreaktion vervielfältigt werden, liefern so einen Einblick in Genome längst vergangener Zeiten.

Mastodon-Zahn | Ein Mastodon-Zahn aus dem Norden Alaskas ermöglichte es Michael Hofreiter vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und seinen Kollegen, das bislang älteste komplette mitochondriale Genom einer fossilen Art zu ermitteln. Die Größeneinheiten auf dem Messstab entsprechen jeweils einem Zentimeter.
Ein Zahn aus dem Permafrost Alaskas war es auch, der Michael Hofreiter vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und seinen Kollegen Neues über die Abstammung der Elefanten enthüllte. Zudem ist das aus einer Mastodon-Zahnwurzel gewonnene Erbgut die bislang älteste komplette mtDNA-Sequenz: Seine 50 000 bis womöglich gar 130 000 Jahre reichen deutlich weiter zurück als der bisherige Rekordhalter von 33 000 Jahren aus einem Wollhaarmammut und die Überreste aus verschiedenen ausgestorbenen Moa-Arten.

Ein Verwandter für die Analyse

Aber wie klärt ein Mastodon (Mammut americanus) elefantische Verwandtschaft? Obwohl die bis zu drei Meter großen waldlebenden Tiere Mammuts ähnelten und sogar diese Bezeichnung verwirrenderweise im wissenschaftlichen Namen tragen, sind sie mit ihnen nur entfernter verwandt. Sie entwickelten sich aus einer eigenen Abstammungslinie, die sich vor etwa 26 Millionen Jahren von jenem Ast abspaltete, der zu den Mammuts (Gattung Mammuthus) und heute noch lebenden Elefanten führte. Ihre mtDNA eignet sich daher bestens als Vergleichsmaterial für die Elefanten-DNA, mit deren Hilfe Forscher die weitere Aufsplitterung dieser Linie zu klären versuchen. Bislang mussten sie dafür auf die noch nächste lebende Verwandtschaft zurückgreifen: Seekühe oder Klippschliefer, die aber bereits vor mehr als 65 Millionen Jahren ihre eigenen Wege gingen.

Und dieser Vergleich beantwortete mehrere offene Fragen. So ist der Asiatische Elefant (Elephas maximus) tatsächlich enger mit dem Wollhaarmammut (Mammuthus primigenius) verwandt als mit dem Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana): Letzterer trennte sich vor 7,6 Millionen Jahren von den beiden anderen, die aber schon kurz später, vor 6,7 Millionen Jahren, jeweils eigene Linien einschlugen.

Diese Trennungen liegen über eine Million Jahre früher, als bisherige Studien vermuten ließen, passen aber zu den fossilen Nachweisen der verschiedenen Arten. Die nun ermittelten Daten unterstützen zudem die Befürworter einer eigenständigen Waldelefanten-Art (Loxodonta cyclotis) aus den afrikanischen Regenwäldern. Der neue Stammbaum beschreibt eine Aufspaltung vor etwa vier Millionen Jahren – lange genug, um das Entstehen einer Spezies möglich zu machen.

Von den Elefanten bis zu den Menschenaffen

Hofreiter und seine Kollegen stellten allerdings fest, dass sich dieses klare Bild der Elefanten-Evolution nur herauskristallisierte, wenn sie die gesamte Genomsequenz verwendeten –
"Studien, die auf einem einzelnen Gen beruhen, können in die falsche Richtung führen"
(Michael Hofreiter et al.)
ermittelten sie den Stammbaum auf Basis einzelner Gene, änderte sich teilweise das gesamte Bild: "Studien, die auf einem einzelnen Gen beruhen, können in die falsche Richtung führen", erklären die Forscher daher.

Und noch etwas passt gut ins Bild: Die nun etwas früher propagierte Aufspaltung der Elefanten-Arten fällt in eine Zeit, in der sich auch die Abstammungslinien von Menschen, Schimpansen und Gorillas sowie einer Reihe weitere Säugetier-Gruppen auseinander entwickelten. Kein Zufall, womöglich: "Zu jener Zeit fanden global einige Umweltveränderungen statt, darunter die Ausbreitung von Grasländern", berichten die Forscher – und solche Ereignisse zogen häufig die Entstehung neuer Arten nach sich. Es lohne sich daher ein detaillierterer Blick auf die Verhältnisse im ausgehenden Miozän und die Geschehnisse in anderen Säugetier-Abstammungslinien.

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