Direkt zum Inhalt

Kelten: Sind diese Toten keltische Druiden?

Im französischen Dijon haben Archäologen Gräber aus der Keltenzeit entdeckt – mit sitzenden Toten. Wer diese Männer zu Lebzeiten waren, ist bisher ein Rätsel, aber es gibt einen Verdacht.
Zwei freigelegte menschliche Skelette in runden Gräbern auf einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Die Skelette sind in gebeugter Position, umgeben von Erde. Zwei Messstäbe liegen parallel zu den Gräbern, um die Größe zu verdeutlichen. Im Hintergrund ist eine Steinmauer sichtbar.
Irgendwann im 3. Jahrhundert v. Chr. gelangten diese Toten in die Erde: Man drapierte sie offenbar derart in den Gruben, als ob sie sitzen würden. Die Skelette aus der Keltenzeit deckten Archäologen in Dijon auf.

Wie so oft, wenn Baumaßnahmen anstehen, rücken zuvor Archäologen an. So auch im Herbst 2024 in der französischen Stadt Dijon, wo das Schulzentrum Joséphine Baker grundsaniert werden sollte. Doch bei dieser Rettungsgrabung standen die Fachleute der staatlichen Denkmalbehörde Inrap vor einem äußerst seltsamen Befund: In regelmäßigen Abständen auf einer Länge von 25 Metern saßen 13 Skelette im Boden. Buchstäblich saßen – denn diese Menschen waren sitzend bestattet worden, irgendwann in der Zeit zwischen 300 und 200 v. Chr. 

Was sollten die Gräber bedeuten, die zeitlich der keltischen Kultur zuzurechnen sind? Sicher ist: Die »sitzenden Gallier« von Dijon waren in einer auch für Kelten nicht alltäglichen Haltung platziert worden, die darum sehr wahrscheinlich eine spezielle Bedeutung hatte. Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass damals, während der so genannten La-Tène-Zeit (450–25 v. Chr.), die Verstorbenen normalerweise in gemeinschaftlich genutzten Nekropolen auf dem Rücken liegend und in rechteckigen Gruben beigesetzt wurden. Zudem erhielten die Toten meist Beigaben für das Jenseits – persönliche Gegenstände, Nahrungsmittel, Schmuck, Waffen, Gefäße –, was bei den Verstorbenen in Dijon nicht der Fall war. Wer waren diese Menschen? Welche Stellung nahmen sie in der gallischen Gesellschaft ein? Und welche Bedeutung hatte die ungewöhnliche Drapierung der Toten?

Auf die richtige Spur führt ein weiterer Fund, der unweit des Schulzentrums Joséphine Baker zu Tage kam: Weniger als 100 Meter entfernt haben Archäologen im benachbarten Viertel Sainte-Anne bereits 1992 zwei »sitzende Gallier« und einen Platz mit Tierbestattungen frei gelegt. In 24 Gruben fanden sie die Überreste von 28 Hunden, fünf Schafen und zwei Schweinen. Bei den Hunden und Schafen handelte es sich vor allem um männliche Jungtiere. Sie alle waren mit dem Kopf Richtung Norden vergraben worden, aufgereiht entlang einer Nord-Süd-Achse.

Was die Archäologen vom Institut national de recherches archéologiques préventives (Inrap) nicht fanden, waren Artefakte, mittels derer sich die Beisetzungen datieren ließen. Auch erfolgte nie eine Untersuchung der Knochen per 14C-Methode. Daher ist nicht gesichert, ob die Tierbestattungen und die sitzenden Gallier aus derselben Zeit stammen. Allerdings waren Letztere aus der neuen Grabung ebenfalls in Nord-Süd-Richtung aufgereiht.

Mit gebeugten Beinen | Die Archäologen der staatlichen Denkmalbehörde legten in Dijon insgesamt 13 »sitzende Gallier« frei.

Bekannt ist außerdem, dass später im 1. Jahrhundert n. Chr., also nachdem die Römer Gallien in vier Provinzen aufgeteilt hatten, neben den Sitzenden ein Friedhof für Kleinkinder angelegt wurde. Die 22 Säuglinge lagen der üblichen Sitte zufolge auf dem Rücken oder auf der Seite in Steinkisten. Später, vielleicht noch in der Antike, pflanzte man Weinstöcke auf der Fläche.

Sitzende Tote in ganz Gallien 

Das Phänomen, dass die Gallier der La-Tène-Zeit ihresgleichen in Erdgruben hockend beisetzten, ist selten dokumentiert, doch die Funde aus Dijon sind längst nicht die einzigen. Inzwischen sind mindestens zehn solcher Fundplätze aus jenem keltischen Gebiet bekannt, das von den Pyrenäen bis zum Rhein reichte, einschließlich der Region um Lyon und des Schweizer Mittellands. An den bisherigen Fundorten dokumentierten die Fachleute insgesamt 49 Skelette in Sitzhaltung, die meisten davon in den Ortschaften Acy-Romance, Hermé, Saint-Just-en-Chaussée – und nun auch Dijon. Alle Bestattungen haben eines gemeinsam: Sie lagen am Rand von keltischen Kultstätten, nahe sakralen Bereichen oder fürstlichen Residenzen. In Acy-Romance in den französischen Ardennen etwa befand sich ein eisenzeitliches Heiligtum, in dem man, wie an anderen Kultorten auch, Rinder, Pferde und Schafe geschlachtet und teils verzehrt hatte.

Die Gräber, die nach dem derzeitigen Befund im Osten Galliens häufiger verbreitet waren als andernorts, sind zudem immergleich geartet: Die Verstorbenen wurden in Gruben mit einem Durchmesser von etwa einem Meter platziert. Ihre Arme fielen an den Seiten des Oberkörpers herab, bisweilen lag eine Hand zwischen den Beinen. Bei den unteren Gliedmaßen lassen sich grob zwei Sitzweisen unterscheiden: Entweder liegen die gebeugten Beinknochen am Boden, die Sohlen zeigen dann manchmal zueinander, oder – was häufiger der Fall ist: Ein Bein war aufgestellt, das andere stark gebeugt abgelegt und der Fuß zur Leistengegend geführt. Manches Mal kreuzten sich die Unterschenkel. Kurzum: Es ist stets eine Art abgewandelter Schneidersitz.

Diese Beobachtungen haben Valérie Delattre und Laure Pecqueur vom Inrap zusammengetragen. Im Fachblatt »Gallia – Archéologie des Gaules« werteten sie im Jahr 2017 alle bis dahin bekannten Beispiele von sitzenden Galliern aus und stellten fest: Ließ sich an den Knochen anatomisch das Geschlecht des Verstorbenen bestimmen – was bei 21 von 49 Skeletten der Fall war –, so konnten »ausschließlich männliche Individuen nachgewiesen werden«, wie die Archäologin und die Anthropologin in ihrer Studie festhalten. Das erinnert an die Tierbestattungen, die Archäologen nahe den sitzenden Toten in Dijon frei gelegt hatten; sie waren ebenfalls männlichen Geschlechts.

Diese Gemeinsamkeit lässt vermuten, dass die Menschen auf Grund ihres Geschlechts der Erde übergeben wurden – jedenfalls fehlt bislang der Nachweis für eine Frau, eine »Sitzgallierin«. Klar ist auch: Man wiederholte die Bestattung von sorgfältig arrangierten Toten. Die Verstorbenen waren demnach entweder gleichzeitig im Zuge eines einzigen Rituals in die Erde gelangt oder nacheinander, wobei in Erinnerung blieb, wo man die Männer zuvor bestattet hatte.

Keltische Götter thronen im Schneidersitz

Trotz kleiner Unterschiede in der Haltung haben alle Bestatteten den abgewandelten Schneidersitz gemeinsam. Er scheint von spezieller Bedeutung gewesen zu sein, nicht nur im Fall der sitzenden Toten. Diese Pose findet sich auch häufig in der keltischen Kunst – bei Figuren von besonderem Status, die in ganz Gallien in der Rundplastik abgebildet wurden.

Da wäre beispielsweise eine Statuette aus dem gallorömischen Heiligtum von La Bauve bei Meaux in Seine-et-Marne. Fachleute deuten die Bronzefigurine aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten als Bildnis einer Gottheit. Eine ähnliche Sitzhaltung nimmt der so genannte Gott von Bouray ein: Die hohle Bronzestatuette hatte man 1845 aus dem mittelfranzösischen Fluss Juine gehievt. Wie die Figur aus La Bauve dürfte sie aus der Zeit der römischen Besatzung stammen. Ebenso wurde der gallische Hirschgott, Cernunnos, im asymmetrischen Schneidersitz wiedergegeben. In ähnlicher Haltung ist zudem aus dem keltischen Oppidum und Heiligtum von Roquepertuse in Südfrankreich eine lebensgroße sitzende Kriegerstatue aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. überliefert. Und eine männliche Figur im Schneidersitz nebst zwei Sphingen ziert den Rand einer Bronzekanne aus der Zeit um 400 v. Chr., die zum Beigabenschatz des Fürstengrabs vom hessischen Glauberg zählte.

Es ist diese Sitzhaltung, die bei den 13 Skeletten in Dijon so markant ist. Nur hierüber scheint eine Deutung der Männer möglich, die keinerlei Beigaben mit sich in die Erdgruben nahmen – mit Ausnahme eines Toten in Dijon, der einen Reif aus schwarzem Stein um den linken Arm trug. Anhand dieses Funds konnten die Ausgräber die Beisetzungen ins 3. Jahrhundert v. Chr. datieren.

Möglicherweise Menschenopfer

Wer waren die hockenden Männer? Handelte es sich vielleicht um Menschenopfer? In den Augen von Delattre und Pecqueur lässt sich diese These weder eindeutig belegen noch zweifelsfrei ausräumen. An den Skeletten würden sich zwar »keinerlei Spuren von Hieb- oder Schlagverletzungen erkennen lassen«, schreiben die beiden, viele Todesursachen zeichnen sich allerdings auch nicht an den Knochen ab. 

Und alles, was Fachleute bisher über die Kultstätten der westeuropäischen Kelten wissen, würde sehr nahelegen, dass die sitzenden Gallier menschliche Opfergaben an die Götter waren. So berichten griechische und römische Autoren, die sich mehrheitlich auf Nachrichten des Gelehrten Poseidonios (135–51 v. Chr.) beziehen, von einem grausigen Trophäenkult: Die Keltenkrieger schlugen ihren Feinden die Köpfe ab und behängten damit die Hälse ihrer Pferde. Wie glaubwürdig diese Schriftquellen sind, ist in der Fachwelt umstritten. Waren es tatsächlich Augenzeugenberichte oder sollten die Gegner als brutale Barbaren diffamiert werden?

Die archäologischen Erkenntnisse stützen allerdings ähnliche Vorstellungen. So waren gallische Heiligtümer voll von menschlichen Überresten. Im 2. Jahrhundert v. Chr. errichtete man beispielsweise am Eingang einer Kultstätte im nordfranzösischen Gournay-sur-Aronde »einen monumentalen, mit menschlichen Schädeln geschmückten Portalvorbau«, schreibt der Religionswissenschaftler Bernhard Maier von der Universität Tübingen in seinem Buch »Die Kelten«. Einen noch schauerlicheren Anblick dürfte das nahe gelegene Heiligtum von Ribemont-sur-Ancre geboten haben: Dort ragte nicht nur ein Portal mit Menschenschädeln auf, Archäologen fanden neben hunderten Waffen auch tausende menschliche Knochen, die ausschließlich Männern gehört hatten, aber keinen einzigen Schädel. »Man vermutet, dass sie von gefallenen feindlichen Kriegern stammen, die man dort nach ihrer Enthauptung durch Lufttrocknung mumifiziert und danach auf einem Podest zur Schau gestellt hatte«, erklärt Maier.

Cernunnos | Vermutlich als Beutestück gelangte der keltische Kessel von Gundestrup einst nach Dänemark. Auf der zirka 2000 Jahre alten Silberschale sind mehrere Szenen abgebildet, darunter Cernunnos. Der Hirschgott sitzt, hält einen Halsring und hat eine Schlange gepackt.

Diese Deutung liegt nahe, aber ist sie wirklich zwingend die einzige? Wie der Sachbuchautor Martin Kuckenburg in seiner Publikation »Die Kelten« darlegt, nehmen einige Fachleute an, dass die Kriegermumien »gar keine getöteten Feinde waren, sondern gefallene eigene Krieger«. Das keltische Totenritual war nämlich angesichts dessen, was Archäologen bislang darüber wissen, bisweilen nicht weniger außergewöhnlich als die übrigen kultischen Sitten. So kam es vor, dass man die eigenen Verstorbenen verwesen ließ und sie anschließend zertrennte, manche Skelettteile zertrümmerte und andere verbrannte, so eine These. 

Wurden hier Druiden bestattet?

Aus alldem ergibt sich der Eindruck, dass das Phänomen der sitzenden Gallier Teil eines Götterkults war. Die hockende Körperhaltung, die Gottheiten und Krieger in Statuen einnehmen, stützt diese Sicht. Doch anders als die Enthaupteten von Ribemont-sur-Ancre blieben die Leichname der Sitzenden intakt, wurden ihre Körper nicht zerlegt oder zerschlagen. Für Delattre und Pecqueur ein Hinweis, dass es Gräber in kultischem Kontext, aber keine Opfergaben waren. Die starre Körperhaltung würde zudem »ihre seelische und spirituelle Integrität garantieren, ›ad vitam aeternam‹« – auf ewig.

Die prunklos beigesetzten Männer, die für immer im Schneidersitz verharren sollten, dürften »zu einer kleinen, ausgewählten Bevölkerungsgruppe gehört haben, deren Leben ganz oder teilweise mit dem Göttlichen verbunden war«, führen Delattre und Pecqueur ihre These fort. Um die Sache beim Namen zu nennen, werfen die beiden Forscherinnen einen durch die Popkultur strapazierten Begriff in den Ring: Druiden. Ob die Kelten diesen Titel selbst benutzten und wenn ja, welche Funktion sie damit verbanden, ist unbekannt. Der Name stammt aus antiken Quellen. Unter anderem Julius Cäsar bezeichnet in seinem Bericht »De bello Gallico« keltische Priester als »druidae«. Diese hätten sich um den Götterkult gekümmert, Opferungen durchgeführt, religiöse Fragen ausgelegt und zu Gericht gesessen. 

Was, wenn die sitzenden Gallier Angehörige einer keltischen Priesterkaste waren? Delattre und Pecqueur gehen sogar noch einen Schritt weiter. In diesem Kontext erinnere die Sitzhaltung der Toten an buddhistische Gepflogenheiten – es sei »die Meditationshaltung par excellence«. Aber kann man die »Sitzgallier« mit buddhistischen Mönchen vergleichen? Und zwar nicht irgendwelchen, sondern, wie Delattre und Pecqueur vorschlagen, mit solchen asiatischen Mönchen, die das Ritual der Selbstmumifizierung ausgeübt haben. Diese Männer durchliefen einen langen Prozess extremer Askese, der in einem konservierten sitzenden Leichnam endete. Für ihre Idee können die Forscherinnen zwar keinen Beweis liefern, geben aber eine – wenn auch spekulative – Erklärung dafür, wie die Verstorbenen in die Sitzposition gekommen sind. 

Sollten die sitzenden Gallier zum Kultpersonal gehört haben, ist damit noch nicht ausgeschlossen, dass sie doch geopfert wurden. Bei den Kelten wie bei vielen anderen Kulturen sind Menschenopfer überliefert. Beispielsweise glaubten die Azteken in Mittelamerika, mit Hilfe von Menschenopfern den Kosmos im Gleichgewicht zu halten. Denkbar ist, dass die Gallier derartige Garantien ebenfalls durch solche Opfer bei ihren Göttern ersuchten. 

Belegen lassen sich viele dieser Thesen mit den bisher bekannten Quellen nicht. Noch nicht. Die Sache kann sich ändern, sobald neue Informationen über die rätselhaften Sitzgräber von Dijon und den übrigen Fundorten vorliegen. Die Archäologen des Inrap warten jedenfalls auf naturwissenschaftliche Daten zu den Skeletten, die dann vielleicht mehr über das Sterbealter, die Todesursache und das Geschlecht verraten.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen

Delattre, V., Pecqueur, L., Gallia 10.4000/gallia.2196, 2017

Kuckenburg, M., Die Kelten, 2010

Maier, B., Die Kelten, 2024

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.