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Serie: Frauen, die die Welt besser machen: Kampf der Elefantiasis

Das Elefantenmensch-Syndrom lässt Gliedmaßen und Geschlechtsteile grotesk anschwellen. In Nepal versucht die Mikrobiologin Deena Shrestha, die Krankheit auszurotten.
Elefantiasis-Betroffener in Nepal
Stark angeschwollene Gliedmaßen und eine Haut, die der eines Elefanten ähnelt: Daher wird die Krankheit auch als Elefantenmann-Syndrom bezeichnet. Betroffen sind vor allem ärmere Menschen in Entwicklungsländern.

Das Dorf Salyantar liegt nur 120 Kilometer von Kathmandu entfernt, doch die Reise dorthin dauert viereinhalb Stunden. Schlechte Straßen führen steile Hänge hinunter und hinauf. Die Kurven wollen nicht enden. Eine Fahrt wie in einem Karussell für Deena Shrestha. Bleich sitzt sie auf der Rückbank. »Geht schon«, sagt sie. »Wir haben keine Zeit für eine Pause.« Plötzlich weist sie den Fahrer doch an, er möge anhalten. Sie drückt die Tür des Geländewagens auf, wankt zum Straßenrand und erbricht ihr Frühstück in den Abhang.

Die Welt besser machen: 12 Frauen, 12 Ideen

BurdaForward ist einer von drei deutschen Empfängern eines Stipendiums für konstruktiven Journalismus. Im Rahmen des internationalen Projekts »Solutions Journalism Accelerator« setzt BurdaForward von September 2022 bis August 2023 zusammen mit der renommierten Reportage-Agentur »Zeitenspiegel« 12 Multimedia-Produktionen um, die auf den Seiten von »FOCUS Online«, »Bunte.de«, »Chip.de« und »Spektrum.de« veröffentlicht werden. Die Serie trägt den Namen »Die Welt besser machen: 12 Frauen, 12 Ideen« und stellt die Arbeit von Wissenschaftlerinnen aus dem Globalen Süden vor, die mit ihrem Team an Lösungen für große Probleme der Menschheit forschen. Es geht dabei um die ersten sechs der so genannten »Sustainable Development Goals« der UN: keine Armut, kein Hunger, gute Gesundheit und Wohlbefinden, gute Bildung, Gendergleichheit, sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen. Auf »Spektrum.de« erscheinen ausgewählte Texte in unregelmäßigen Abständen. Das Projekt wurde vom European Journalism Centre durch den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.

Die 40-Jährige könnte es bequemer haben. Immer noch in einem klimatisierten Labor im brasilianischen Ouro Preto forschen, wo sie mit italienischen und brasilianischen Stipendien ihre Doktorarbeit in Parasitologie geschrieben hat: Der »brain drain«, das Weggehen und Wegbleiben der besten Köpfe, hemmt die Entwicklung armer Nationen. Aber Deena Shrestha entschied sich, in ihre Heimat zurückzukehren: »In Nepal fühle ich mich frei und unabhängig. Und ich kann etwas bewirken für die Menschen und das Land.«

Deena Shrestha | Die Mikrobiologin kam zurück in ihre Heimat Nepal, um die Elefantiasis zu bekämpfen.

Nicht tödlich, aber seelisch qualvoll

Shrestha ist unterwegs in die Berge, um im Dorf Salyantar ein Pilotprojekt ihres Forschungsinstituts zu besuchen: Zum ersten Mal werden in Nepal Moskitos mit Standard- und computergestützten Fallen gefangen und auf Wurmlarven untersucht. Die Studie soll bei der Bekämpfung der Elefantiasis helfen – einer Krankheit, die vor allem ärmere Menschen in Entwicklungsländern trifft.

Dabei schwellen vor allem die unteren Extremitäten an, in manchen Fällen so schlimm, dass sie an die Beine und Füße von Elefanten erinnern. Rund 15 Millionen Menschen weltweit sind von den Ödemen betroffen, die durch Fadenwürmer ausgelöst werden. Bei Männern können die Hodensäcke aufblähen, manchmal bis zur Größe einer Mango, manchmal bis zur Größe eines Basketballs. 25 Millionen Männer leiden laut WHO daran. »An der Krankheit stirbt man nicht«, sagt Shrestha. »Aber sie führt zu körperlichen Behinderungen, zu seelischen Qualen, und sie ist ein Hemmschuh für die Entwicklung armer Familien und Gesellschaften.«

Im Dorf Salyantar ist auch die 39-jährige Bimala Upreti betroffen. Den ganzen Morgen über hat sie mit ihrem Mann Govind Linsen geerntet, die Grundlage des täglichen Dhal. Der Ehemann trägt die Ernte zu ihrem Hof. Wenn Bimala schwere Lasten schleppen muss, wird der Schmerz zu groß. Ihr rechter Unterschenkel und Fuß sind geschwollen. Govind macht Milchtee für seine Frau und Deena Shrestha, während Bimala erzählt.

Das Ehepaar Upreti | Auf Grund der Erkrankung kann Bimala Upreti (rechts) bei der Ernte nicht mehr schwer tragen.

Kinder kriegen und arbeiten – nicht krank sein

»Mit etwa 18 Jahren spürte ich zunächst ein Knötchen am Oberschenkel«, sagt die Bäuerin. »Bestimmt von den Fadenwürmern, die sich im Lymphknoten einnisten«, vermutete Shrestha. »Dann schwoll mein Unterschenkel an«, berichtet Bimala Upreti weiter. »Ich hatte Fieber und Schmerzen. Und ich hatte große Angst: Was würden meine Schwiegereltern sagen? Würde mich mein Mann verlassen?«

Wie fast alle Mädchen im Dorf hat Bimala früh geheiratet, mit 17. Ihr Mann war ein paar Jahre älter. Eine arrangierte Ehe, wie die meisten. Traditionell geht die Braut in das Haus des Bräutigams und lebt dort auch mit den Schwiegereltern zusammen. In der patriarchalen Gesellschaft sind viele Schwiegertöchter nur wohlgelitten, wenn sie Jungen zur Welt bringen. Sie sollen arbeiten und nicht krank werden.

»Aber ich habe einen guten Mann«, sagt Bimala Upreti. Er brachte sie nach Kathmandu in ein Krankenhaus. Dort fanden die Ärzte die Ursache ihres Leidens zunächst nicht. »Gewöhnlich brechen die Symptome erst bei viel älteren Menschen aus«, erklärt Shrestha. »Nachdem die Würmer Jahre und Jahrzehnte im Körper waren.« Schließlich hatte ein Arzt die richtige Idee. Er nahm Bimala eine Blutprobe ab – in der Nacht: Denn der Nachwuchs der erwachsenen Würmer in den Lymphknoten, die Mikrofilarien, machen sich vor allem nachts auf den Weg durch die Blutbahnen, weil die Moskitos, die sie zur Weiterentwicklung brauchen, hauptsächlich in Dämmerung und Dunkelheit aktiv sind.

Sticht ein Moskito einen infizierten Menschen, saugt er auch die Mikrofilarien auf. Die Larven brauchen das Insekt als Zwischenwirt: Vom Mückendarm wandern sie in die Brustmuskulatur und entwickeln sich dort weiter, dann bewegen sie sich zum Stechrüssel. Wenn der Moskito nun erneut einen Menschen sticht, kann die Larve über diese winzige Wunde erneut in einen Menschen eindringen, zu einem Lymphknoten wandern, dort zu einem erwachsenen Wurm werden – und wieder Mikrofilarien produzieren.

Es gibt Medikamente gegen die Erreger

Tatsächlich ließen sich im Blutabstrich von Bimala unter dem Mikroskop die zuckenden Fäden erkennen. Der Arzt stellte die Diagnose »lymphatische Filariose« nach einem Befall mit Wuchereria bancrofti. Die Fadenwürmer stören den Fluss der Lymphflüssigkeit aus dem Gewebe, sie staut sich deshalb in den Lymphgefäßen an. Außerdem lösen die Würmer eine Immunantwort des Körpers aus, die zu Entzündungen und Schwellungen führt. Es kommt zu Sekundärinfektionen durch Bakterien und Pilzen. All das trägt zur Entwicklung von Elefantiasis bei; so wird die Krankheit bezeichnet, wenn sich die Ödeme entwickelt haben.

Probenuntersuchung | Im Blut von Infizierten kann man die Fadenwürmer unter dem Mikroskop erkennen.

»Es gibt Medikamente, die die Larven im Körper abtöten«, erklärt Deena Shrestha. Im Jahr 2015 gab es für deren Entdecker sogar den Medizin-Nobelpreis. »Doch heilen lässt sich Elefantiasis nicht. Wenn sich erst Symptome entwickelt haben, lassen sie sich nicht mehr ganz umkehren.« Deshalb konnte der Arzt bei Bimala Upreti die Krankheit zwar stoppen und eine schlimme Entstellung verhindern. Trotzdem muss sie nun mit einem geschädigten Fuß durchs Leben gehen.

»So viel individuelles Leid! Jeder Fall ist einer zu viel, denn jeder wäre vermeidbar«Deena Shrestha, Mikrobiologin

»Hätten Sie Ihre Frau auch geheiratet, wenn Sie gewusst hätten, dass Sie infiziert war?«, fragt Shrestha den Ehemann. Govind Upreti zögert. Dann sagt er: »Eine schwierige Frage. Will nicht jeder Bräutigam eine gesunde Braut?« Ihr Leben wäre anders verlaufen, sagt Bimala Upreti: »Ich wäre einsam geblieben. Die Menschen hätten mir nicht ins Gesicht geschaut, sondern nur mein Bein gesehen.«

»So viel individuelles Leid! Jeder Fall ist einer zu viel, denn jeder wäre vermeidbar«, sagt Shrestha. Weltweit sind 120 Millionen Menschen infiziert. Das hat lange kaum jemanden interessiert: Die Elefantiasis gehört zu den »vernachlässigten Tropenkrankheiten«. Vernachlässigt, weil sie nur die Armen betrifft. »Es braucht wahrscheinlich hunderte bis tausende Stiche mit infizierten Mücken, bis die Würmer sich im Körper festsetzen können«, sagt Shrestha. Betroffen sind also Menschen, die unter unhygienischen Bedingungen leben, zusammen mit ihrem Vieh, ohne Kanalisation, wo das Wasser in Pfützen steht, in denen sich Moskitos entwickeln können.

Elefantiasis-Erkrankter | In Entwicklungsländern infizieren sich weiterhin vor allem arme Menschen. Die Betroffenen leiden nicht nur unter Schmerzen, sondern auch an ihrem entstellten Erscheinungsbild.

WHO wollte die Krankheit bis 2020 ausrotten – nicht überall hat das funktioniert

Im Jahr 2000 rief die WHO ihr Programm zur Eliminierung der lymphatischen Filariose mit Hilfe von »Mass Drug Administrations« (MDA) aus. In Endemiegebieten sollte die gesamte Bevölkerung fünf Jahre in Folge Tabletten nehmen, die Mikrofilarien im Körper abtöten können. Bis 2020 sollte die Krankheit ausgerottet sein. In einigen Ländern hat das funktioniert. Auch in Nepal gab es Fortschritte. In einzelnen Distrikten hatte zur Jahrtausendwende jeder fünfte Einwohner den Parasiten – sie merkten es meist nicht, weil viele Fälle symptomlos verlaufen und es nicht zu Ödemen kommt. Von ehemals 63 endemischen Distrikten gelten heute 48 als frei von Filariose.

Doch stimmen die Erfolgsmeldungen? Haben die Aktionen auch abgelegene Weiler und Höfe erreicht? Seit Deena Shrestha vor sieben Jahren mit befreundeten Mikrobiologen das Centre for Health and Disease Studies of Nepal (CHDS) gründete, wurde die Filariose zu einer zentralen Aufgabe ihres Instituts für angewandte Forschung.

Von internationalen und nationalen Gebern finanziert, führte ihr Team in rund 40 Distrikten Studien durch, um zu erkennen, ob sich die Krankheit trotz der Tabletten-Aktionen noch übertragen kann. Erst- und Zweitklässler wurden systematischen Tests unterzogen. Die Kinder sind so jung, dass sie keine Tabletten bekommen hatten. Wenn sich bei vielen Kindern Antigene des Parasiten im Blut finden, bedeutet dies, dass die Übertragung in der Region noch nicht vollständig und sicher gestoppt ist: »In einigen Fällen mussten die Gesundheitsbehörden die Tabletten-Aktionen dann in Hot-Spots wiederholen.«

Die Ursachen, weshalb die Krankheit noch existiert, sind vielfältig

Es gibt viele Gründe, warum der Parasit noch nicht überall eliminiert ist. Teils tritt er in Gebieten auf, wo man ihn bisher nicht kannte, weil die Mücken mit dem Klimawandel in immer höher gelegene Regionen vordringen. Viele Menschen sind als Bauarbeiter oder Hausbedienstete für Monate und Jahre in Indien und den Golfstaaten und werden damit von den Tabletten-Aktionen nicht erreicht. Und es gibt viele, die an der Medizin zweifeln: Einige glauben, dass die Pillen Männer unfruchtbar machen, und werfen die Tabletten weg. Andere wollen tatsächlich auftretende Nebenwirkungen vermeiden: »Besonders bei infizierten Menschen reagiert der Organismus, etwa mit Fieber oder Übelkeit, wenn der Parasit im Körper abstirbt.«

Das Problem bei dem Antigentest ist, dass er auch noch einige Zeit nach dem Abtöten des Parasiten ein positives Resultat anzeigt. Die Blutabstriche und das Erkennen von Mikrofilarien unter dem Mikroskop sind nicht praktikabel, um eine ganze Region zu überwachen. »Wenn wir tatsächlich Live-Einschätzungen wollen, liegt es nahe, dass wir uns die Überträger anschauen«, erklärt Shrestha. Deshalb findet im Dorf Salyantar das Pilotprojekt mit den Mücken statt: »Hier gibt es viele Elefantiasisfälle, es ist ein guter Ort, um zu sehen, ob die Tabletten-Aktionen die Übertragung tatsächlich unterbrochen haben oder nicht.«

Fallen locken die Moskitos entweder mit Licht oder mit einer erhöhten CO2-Konzentration an – die herrscht, wenn Menschen schlafen. Im Feldlabor in Salyantar leeren Insektenkundler jeden Morgen die Fallen, bestimmen die Mückenarten unter dem Stereoskop und konservieren sie für die Fahrt nach Kathmandu. Dort werden die Moskitoleiber dann mit PCR-Methodik auf Wurmlarven-DNA untersucht.

Moskitofalle | Mit Licht oder Kohlenstoffdioxid werden die Mücken angelockt und gefangen. Im Labor untersuchen Forscher dann die Insekten auf genetisches Material der Wurmlarven.

Finanziert wird die Studie unter anderem von Microsoft, weshalb neben herkömmlichen Fangkörben auch die neue Falle des Unternehmens getestet wird, um mit Hilfe der eingebauten Sensorik Moskitoarten automatisch zu bestimmen. Ziel ist es, über ein Jahr hinweg Daten zu sammeln, wie viele Mücken es über die Monate gibt und ob und wann sie infektiös sind. »Diese Erkenntnisse können dann dazu dienen, nationale und internationale Programme zur Bekämpfung der Elefantiasis zu optimieren«, erläutert Shrestha. »Wir haben vorab bei den Bewohnern von Salyantar Antigentests auf die DNA des Parasiten gemacht. Einige waren positiv. Deshalb erwarte ich, dass die Moskitos noch Wurmlarven in sich tragen.« Vermutungen allein reichten aber nicht aus: »Erst, wenn wir sie beweisen, werden Gesundheitsprogramme nachgebessert.«

»Es ist einzig eine Frage der Mittel und Ressourcen, die über die Eliminierung entscheidet«Deena Shrestha, Mikrobiologin

Der Einsatz gegen die Krankheit ist auch ein Kampf für Gerechtigkeit, meint Shrestha: »Es ist einzig eine Frage der Mittel und Ressourcen, die über ihre Eliminierung entscheidet.« Tritt Filariose in einer Familie auf, zementiert sie die Armut. Auf einem abgelegenen Hof lebt Nepki Majhi, eine Frau in ihren Sechzigern. Als an ihrem von der Elefantiasis betroffenen Bein eine Sekundärinfektion auftrat, musste sie operiert werden. Um die Behandlung zu bezahlen, nahm ihr Mann Budhi bei einem lokalen Wucherer einen Kredit auf, zu einem Zins von zwei Prozent – pro Monat. Um ihn abzuzahlen, musste er für zwei Jahre nach Delhi, wo er sieben Tage die Woche nachts als Wachmann und morgens als Autowäscher arbeitete.

Nepki Majhi | Als sich ihr von Elefantiasis betroffenes Bein entzündete, half nur eine Operation. Um die Kosten zu stemmen, musste sich ihr Mann hoch verschulden.

Bimala Upreti und ihr Mann Govind hatten Glück im Unglück, dass bei ihr die Krankheit früh erkannt und behandelt wurde, so dass ihre Behinderung nicht allzu schwer ist. Die Eheleute wirken zufrieden. Auf der Straße vor ihrem Hof wankt eine Frau tief gebeugt vorbei, mit einem riesigen Bündel Gras auf dem Rücken, das sie mit Hilfe eines Stirnriemens trägt. »Bei uns trage ich alle Lasten nach Hause, mit Freuden«, sagt Govind Upreti. »Denn meine Frau tut auch alles für mich.«

Das Projekt wurde vom European Journalism Centre durch den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.

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