Verhaltensforschung: Frauenpower bei Bonobos
Bonoboweibchen bilden untereinander Koalitionen, um aggressive Männchen in Schach zu halten. Wie jahrzehntelange Beobachtungen an frei lebenden Bonobos offenbarten, unterstützen sich Weibchen einer Gruppe gegenseitig, wenn sie von einem Männchen bedrängt werden. Dadurch erreichen sie eine höhere Stellung innerhalb der Rangordnung, obwohl sie den Männchen körperlich unterlegen sind.
Wie bei vielen Tieren zeichnen sich die auch Zwergschimpansen genannten Bonobos (Pan paniscus) durch einen Sexualdimorphismus aus, der sich vor allem im Körpergewicht bemerkbar macht: Mit einer Masse von bis zu 60 Kilogramm sind die Männchen deutlich schwerer als die rund 30 Kilogramm wiegenden Weibchen. Doch im Gegensatz zu ihrer Schwesterart, den Gemeinen Schimpansen (Pan troglodytes), bei dem die Männchen die Gruppen dominieren, übernehmen bei Bonobos die weiblichen Tiere die Führungsrolle.
Um diese überraschende Sozialstruktur zu erklären, wertete ein internationales Forscherteam um Martin Surbeck von der Harvard University Freilandbeobachtungen aus, die in einem Zeitraum von 1993 bis 2021 bei sechs Bonobogemeinschaften an drei Standorten in der Demokratischen Republik Kongo – dem einzigen Land mit wild lebenden Bonobos – dokumentiert worden sind. Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in »Communications Biology« schreiben, haben sie insgesamt 1786 Konflikte zwischen den Geschlechtern beobachtet, aus denen in 1099 Fällen die Bonoboweibchen als Sieger hervorgingen.
Drei Erklärungsansätze
Die Wissenschaftler prüften drei Thesen, welche die weibliche Dominanz erklären könnten. Gemäß der Hypothese der Selbstorganisation könnten Weibchen davon profitieren, dass Männchen durch Rangordnungskämpfe untereinander herausgefordert werden. Dann vermeiden jene Individuen, die bei solchen Auseinandersetzungen häufiger unterliegen, Konflikte mit weiblichen Gruppenmitgliedern. Der Effekt sollte umso stärker auftreten, je mehr konkurrierende Männchen in einer Gruppe leben. Eine solche Korrelation stellten die Forscher um Surbeck bei den Bonobopopulationen jedoch nicht fest.
Ebenso wenig bestätigen ließ sich die Hypothese der Reproduktionskontrolle. Sie geht davon aus, dass das Zeitfenster der weiblichen Fruchtbarkeit für die Männchen verborgen bleibt. Dann hätten diese einen höheren Fortpflanzungserfolg, wenn sie sich längere Zeit gegenüber den Weibchen friedlich verhalten, statt sie aggressiv zur Paarung zu zwingen.
Als wesentliches Machtmittel kristallisierte sich dagegen weibliche Solidarität heraus. Die Bonoboweibchen schlossen sich zeitweise zu Gruppen zusammen; und in 85 Prozent der Fälle richteten sich diese Koalitionen gegen Männchen. Je häufiger die Weibchen zusammenarbeiteten, desto höher stiegen sie im Rang auf. Ein solches Zweckbündnis konnte nach bestimmten Ereignissen sehr rasch entstehen, etwa wenn ein Männchen ein Jungtier bedrängte. Der Aggressor wurde dann von schreienden Weibchen durch die Bäume verfolgt und mitunter auch schwer verletzt.
Bei Bonobos verlassen junge Weibchen ihre Gruppe, sobald sie geschlechtsreif sind, und schließen sich einer neuen Gemeinschaft an. Die Weibchen einer Gruppe sind daher nicht miteinander verwandt, so dass Koalitionsbildungen bei ihnen nicht unbedingt zu erwarten waren. »Unseres Wissens ist dies der erste Beweis dafür«, betont Surbeck laut einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, »dass weibliche Solidarität die für viele Säugetiergesellschaften typische männliche Machtstruktur umkehren kann«.
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