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Deutscher Ethikrat: »Freiheitsbeschränkungen müssen kontinuierlich geprüft werden«

Ärzten Entscheidungshilfen an die Hand geben und überlegen, wie man zur Normalität zurückkehren kann: Der Deutsche Ethikrat hat Empfehlungen zur Corona-Krise veröffentlicht.
Leeres Brandenburger Tor während der Corona-Krise

Die Coronavirus-Pandemie wirft derzeit nicht nur zahlreiche medizinische, sondern auch wichtige ethische Fragen auf: Wie sehr darf man die Freiheit der Menschen einschränken? Was passiert, wenn Ärzte wie etwa in Italien wählen müssen, wer behandelt werden darf und wer nicht, weil nicht mehr genug Intensivbetten zur Verfügung stehen? Der Deutsche Ethikrat hat deshalb am Freitag Ad-hoc-Empfehlungen veröffentlicht, die Entscheidern in der Corona-Krise als Orientierungshilfe dienen sollen.

»Insgesamt«, so schreibt der Ethikrat, »geht es in dieser Ad-hoc-Empfehlung darum, Politik und Gesellschaft dafür zu sensibilisieren, die dargelegten Konfliktszenarien auch als normative Probleme zu verstehen.« Deshalb dürften anstehende Entscheidungen nicht allein auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.

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Der Ethikrat befasst sich in seiner Veröffentlichung unter anderem mit den negativen Auswirkungen des gesellschaftlichen Lockdowns. Grundsätzlich befürworten die Autoren die Maßnahmen, die derzeit ergriffen werden, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen – »auch wenn sie allen Menschen in diesem Land große Opfer abverlangen«. Da Wissenschaftler jedoch davon ausgingen, dass die Pandemie ein bis zwei Jahre andauern werde, müsse man sich die Frage stellen, wie lange die Maßnahmen noch gerechtfertigt seien. Der Ethikrat rät deshalb, die Freiheitsbeschränkungen kontinuierlich mit Blick auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu überprüfen und diese möglichst bald schrittweise zu lockern und zu überlegen, wie man zu einem »normalen« gesellschaftlichen und privaten Leben zurückkehren kann. Besonders betroffen von den sozialpsychologischen Konsequenzen der Maßnahmen seien etwa Menschen, deren medizinische Behandlungen derzeit verschoben werden, die zu vereinsamen drohen, oder Frauen und Kinder, die häusliche Gewalt erleben.

Ärzte nicht allein lassen

Auch zu der Problematik, dass medizinische Hilfeleistungen womöglich irgendwann priorisiert werden müssen, äußern sich die Autoren. Die Vermeidung von Triage-Situationen sei ein »wesentlicher Orientierungspunkt für die nahe Zukunft«. Wenn Ärzte mehr Patienten auf der Intensivstation beatmen müssen, als Beatmungsplätze zur Verfügung stehen, wirft das bereits schwierige Fragen auf. Besonders heikel – ethisch wie rechtlich – sei es allerdings, wenn Mediziner sich entscheiden müssten, die Versorgung eines Patienten zu Gunsten eines anderen zu beenden, der gerade neu eingeliefert wird. In solchen Fällen käme es vor allem darauf an, möglichst transparent und ethisch gut begründbar zu entscheiden. Grundsätzlich dürfe der Staat keine Vorgaben dazu machen, welches Leben in welcher Situation zu retten sei. Die Verantwortung dürfe aber auch nicht allein auf den Schultern vorn Ärztinnen und Ärzten lasten. Stattdessen brauche es »einheitliche Handlungsmaximen für den klinischen Ernstfall nach wohlüberlegten, begründeten und transparenten Kriterien«. In diesem Zusammenhang verweist der Ethikrat auf die Empfehlungen, die manche medizinischen Fachgesellschaften bereits herausgegeben haben.

Zu den konkreten Einzelmaßnahmen, die der Deutsche Ethikrat empfiehlt, zählen noch die weitere Aufstockung und zentrale Erfassung von Kapazitäten im Gesundheitssystem, die bessere Vernetzung der Klinken und der Abbau bürokratischer Hürden. Zudem sollen die Testkapazitäten ausgeweitet und die Forschung zu einem Impfstoff und zu etwaigen Medikamenten weiterhin gefördert werden. Auch die vielschichtigen Folgen der Eindämmungsmaßnahmen rät der Ethikrat genauer zu untersuchen.

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