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News: Freispruch für einen Wurm

Flussblindheit kostet Hunderttausende von Menschen ihr Augenlicht. Als Übeltäter galten die winzigen Nachkommen parasitischer Würmer, die unter anderem in die Augen ihrer Wirte wandern und dort absterben. Doch für die anschließende heftige Immunreaktion, welche die Hornhaut zerstört, sind sie offenbar gar nicht verantwortlich. Der Auslöser sind vielmehr Bakterien, die ihrerseits Untermieter der Parasiten sind.
<i>Onchocerca</i> unter dem Mikroskop
Es beginnt mit dem Stich einer Kriebelmücke. Beim Blutsaugen überträgt sie winzige Larven des parasitischen Fadenwurms Onchocerca volvulus, die im Menschen bis zur Geschlechtsreife heranwachsen. Dort können sie bis zu 14 Jahre im Bindegewebe überdauern, und sorgen, in engen Knäueln verschlungen, für reichlichen Nachwuchs.

Diese winzigen Mikrofilarien wandern zurück in die Haut, um beim nächsten Stich wieder in eine Mücke einzudringen und dort ihre Entwicklung fortsetzen zu können. Einige von ihnen gelangen jedoch in die Augen, wo sie – mangels Stichen – schließlich absterben. Die Folge ist eine heftige, entzündliche Immunreaktion, die letztendlich zur Erblindung der Betroffenen führen kann.

Bisher gingen Forscher davon aus, dass beim Zersetzen der abgestorbenen Larven freiwerdende Proteine die Immunabwehr auslösen. Doch nun kommt ein weiterer Beteiligter ins Spiel. Denn die Parasiten beherbergen ihrerseits Bakterien der Gattung Wolbachia, die für die Fortpflanzung ihrer Wirte offenbar von entscheidender Bedeutung sind: Wie Achim Hörauf und seine Kollegen am Bernhard-Nocht-Institut herausfanden, können sich nach einer Antibiotikabehandlung in den erwachsenen Würmern keine Embryonen mehr entwickeln [1].

Und damit nicht genug. Amélie v. Saint-André von der Case Western University und ihre Mitarbeiter injizierten Mäusen Wurmextrakte in die Hornhaut. Die folgenden Entzündungsreaktionen und die Trübung der Cornea fielen deutlich schwächer aus, wenn die Parasiten zuvor durch Antibiotika von ihrem bakteriellen Untermieter Wolbachia befreit wurden. Zur Kontrolle verabreichten die Forscher den Nagern auch ein Extrakt aus Acanthocheilonema viteae, einem ebenfalls Filarien erzeugenden Fadenwurm, der jedoch nie Wolbachia beherbergt. Und wieder waren die Folgen für die Tiere weniger schlimm [2].

Die Wissenschaftler leiten daraus ab, dass Wolbachia und nicht Überreste der toten Filarien das Immunsystem der Betroffenen so in Aufruhr versetzt. Diese Annahme konnten sie noch weiter untermauern, indem sie nachwiesen, dass Wolbachia tatsächlich eines der Schlüsselmoleküle in der Immunantwort aktiviert.

Eine Therapie mit Antibiotika würde somit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie würde die Elterntiere sterilisieren und somit die Zahl der wandernden Filarien deutlich senken. Und sie könnte die Schädigung der Augen begrenzen, indem sie dort die noch freigesetzten Wolbachia-Bakterien abtötet. Gegenüber der bisherigen Behandlung mit Ivermectin wäre das ein großer Fortschritt. Denn dieses Medikament tötet nur die Filarien, nicht aber die Elterntiere ab, die deshalb den Körper immer weiter mit bakterienverseuchtem Nachwuchs überschwemmen können.

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