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Freizeitstress: Ich will leider nicht kommen

Eine Einladung auszuschlagen kommt schlecht an – so die verbreitete Annahme. Wir überschätzen allerdings die negativen Konsequenzen, die es hat, wenn wir Nein sagen.
Junge Menschen bei einer Party auf einem Sofa. Die Frau in der Mitte schaut gelangweilt in die Kamera.
Partys, auf die man keine Lust hat, kann man sich guten Gewissens ersparen. (Symbolbild)

Das Free-Jazz-Konzert, bei dem der Nachbar Trompete spielt, die fünfstündige Wanderung mit dem Schwiegervater oder die nerdige Mottoparty der Freundin aus Studienzeiten – bei manchen Einladungen ahnt man gleich, dass man es zu Hause auf dem Sofa netter hätte. Trotzdem nehmen viele solche Einladungen zähneknirschend an. In einer Pilotstudie der Marketingforscher Julian Givi von der West Virginia University und Colleen Kirk vom New York Institute of Technology gestanden mehr als drei Viertel der Befragten, schon einmal einer Unternehmung zugestimmt zu haben, auf die sie gar keine Lust hatten – aus Angst vor den Konsequenzen, wenn sie abgelehnt hätten. Givi und Kirk wollten wissen, ob diese Befürchtungen berechtigt sind oder ob sich die Leute womöglich umsonst quälen. Die Ergebnisse ihrer Versuchsreihe erschienen Mitte Dezember 2023 im »Journal of Personality and Social Psychology«.

Das Team führte fünf Experimente mit insgesamt rund 2000 Probandinnen und Probanden durch. In einem davon sollten diese eine kurze Geschichte lesen und sich das darin geschilderte Szenario lebhaft vorstellen: Ein Bekannter lädt die Versuchsperson für Samstagabend ein, mit in ein Restaurant zu kommen, in dem ein Promikoch gastiert. Die Versuchsperson ist am Samstag aber schon den ganzen Tag anderweitig unterwegs und würde am Abend lieber zu Hause entspannen. Ein Drittel der 560 Teilnehmer las die Geschichte aus dieser Perspektive, ein Drittel nahm gedanklich die Rolle des Einladenden ein. Der Rest sollte sich beim Lesen gar nicht als Teil der Story wähnen, sondern das Geschehen neutral verfolgen.

Anschließend beantworteten alle auf einer Skala von 1 (»gar nicht«) bis 7 (»sehr«) Fragen dazu, wie eine Absage ihrer Meinung nach ankommen würde: Wie wütend würde die Person sein, die die Idee für den Restaurantbesuch hatte? Wie enttäuscht? Würde sie das Gefühl haben, dass sie dem anderen nicht wichtig ist? Wie wahrscheinlich wäre es, dass das Nein der Beziehung schadet oder dass die Person das nächste Mal nicht mehr fragt?

Die »Eingeladenen« unter den Versuchspersonen schätzten die negative Wirkung ihrer Absage signifikant dramatischer ein als jene, die sich vorstellten, die Absage zu erhalten. Auch in einem Versuch der Reihe, bei dem die Teilnehmer nicht nur theoretisch, sondern ganz real ihren Partner oder ihre Partnerin zu einer Unternehmung animieren sollten, zeigte sich: Wer ein Nein zu hören bekam, ging damit weitaus entspannter um als vom Gegenüber befürchtet.

Wie kommt es zu der verbreiteten Fehleinschätzung, die sich in den Studien immer wieder zeigte? Eine mögliche Erklärung ist laut den Autoren eine Überschätzung der eigenen Wichtigkeit: Menschen neigen eventuell dazu, ihren Einfluss auf Wohl und Wehe anderer überzubewerten. So könnte die zurückgewiesene Person leicht den nächsten Freund fragen oder allein gehen und trotzdem Spaß haben. Diese Erklärung halten Julian Givi und Colleen Kirk allerdings für unwahrscheinlich. Denn die Gruppe der neutralen Versuchspersonen fiel der Fehleinschätzung genauso anheim, obwohl sie keinen Grund hatte, die Wichtigkeit der eingeladenen Person in der Geschichte überzubewerten. Auch sie hielten die Konsequenzen einer Absage für weit dramatischer, als sie waren.

Stattdessen steckt wahrscheinlich ein anderer psychologischer Effekt dahinter. Wer eine Einladung ausschlägt, fokussiert sich auf die Absage an sich, glaubt, dass beim anderen vor allem eines hängen bleibt: das Nein. Dabei unterschätzt er, dass für die Gegenseite auch das Warum zählt, die nachvollziehbaren Gründe für die Wahl und der Gedankengang, der der Absage vorausging.

Ein gesunder Egoismus ist demnach gar nicht so schädlich wie gedacht, wenn es um die Freizeitgestaltung geht. Julian Givi rät zum Nein, sofern es der eigenen psychischen Gesundheit dient: »Burnout ist eine echte Gefahr, besonders um die Feiertage. Man sollte keine Angst haben, hier und da eine Einladung auszuschlagen.« Allerdings sei gemeinsam verbrachte Zeit auch die Basis jeder Beziehung, weshalb man nicht auf jedes Treffen verzichten sollte. Am Ende zählt die bewusste Entscheidung: Wer öfter mal Nein sagt, hat wieder mehr Zeit und Energie, zu den richtigen Dingen Ja zu sagen.

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