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Meeresbiologie: Friedhof der Kalmare entdeckt

Alles hat ein Ende - auch das Leben von Weichtieren. Oft treiben sie nach dem Ableben einfach auf dem Meer. Aber es gibt Orte, an denen sie massenhaft in die Tiefe sinken.
Tote Kraken nähren Leben

In der Dunkelheit der Tiefsee müssen Tiere auf die Jagd gehen, um zu überleben – oder darauf hoffen, dass Futter aus höheren Schichten auf den Grund regnet. Glücklich können sich Aasfresser schätzen, wenn ein toter Wal zu Boden sinkt. Doch auch kleinere Lebewesen können nach ihrem Ableben Oasen in der Tiefe bilden, zumal, wenn sie örtlich massenhaft sterben, wie es für bestimmte Kraken im Golf von Kalifornien der Fall zu sein scheint. Dort entdeckten Meeresbiologen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel um Henk-Jan Hoving einen Friedhof verschiedener Kalmare, wie sie in den "Proceedings of the Royal Society B" schreiben. Zwischen 2012 und 2015 hatten Hoving und seine Kollegen vom Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) mehrfach Tauchroboter in die Cerralvo-Senke des Golfs geschickt, um das dortige Ökosystem zu erforschen. Bei 11 von 80 Tauchfahrten nahmen die Kameras die Kadaver von Kalmaren auf, an denen sich zahlreiche Aasverwerter wie See- und Schlangensterne, Tiefseekrabben, Seegurken oder Würmer labten. Insgesamt zählten die Wissenschaftler 64 tote Kalmare beziehungsweise deren Eiersäcke, in denen der Nachwuchs ausgebrütet wird.

Dieser Eiersack verhindert, dass die Weibchen fressen können, so dass sie bis zum Schlüpfen des Nachwuchses fasten und von ihren Reserven zehren müssen. Für die Kalmare ist das extrem kraftraubend und sorgt dafür, dass viele von ihnen letztlich sterben. Das erklärt, warum die Biologen vor allem Kalmare mit Eiersäcken oder nur diese Brutgehäuse gefunden haben – die Weichtiere selbst sind leicht verdaulich und werden rasch aufgefressen, während die Eiersäcke eher verschmäht werden. Die Kalmare injizieren Tinte in das Gebilde; deshalb ist es schwerer zu sehen und schmeckt womöglich auch schlechter, so eine Vermutung. Der Farbstoff wirkt eventuell sogar antibakteriell, was den Abbau verzögert.

Für die Aasverwerter am Meeresboden stellen die Kalmarleichen eine willkommene Nahrungsquelle dar, die sie aber schnell aufspüren müssen. "Walkadaver überdauern auf dem Meeresboden in verschiedenen Verwesungsstadien jahrzehntelang. Wir wissen jedoch nichts über Aas mittlerer Größe wie die Kalmare. Man muss schon sehr viel Glück haben, um etwas davon zu finden. Wahrscheinlich werden sie innerhalb von nur 24 Stunden aufgefressen", so Hoving. Ferngesteuerte Kameras in der Tiefsee sollen deshalb bald Abhilfe schaffen. Vielleicht fällt diese Beute zudem nur saisonal an, nachdem sich die Kopffüßer verpaart und vermehrt haben. Prinzipiell sind die absinkenden Leichname ein wichtiger Bestandteil der so genannten biologischen Pumpe der Ozeane: Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass Kohlenstoff oder Nährelemente aus den begünstigten, lichtdurchfluteten Regionen mit pflanzlichem Leben in die permanent schwarze Tiefsee verlagert werden. Ein Massensterben sorgt daher dafür, dass kurzfristig sehr große Mengen an Biomasse in die Tiefsee "regnen". Die Zahl der Kalmare hat in den letzten Jahrzehnten wohl zugenommen, weil viele Fischbestände durch Fang dezimiert wurden – die Weichtiere haben deren Platz eingenommen. Inwiefern dieser Austausch die Nahrungsketten in der Tiefsee beeinflusst hat, ist noch völlig unbekannt.

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