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News: Frühe Schichtarbeit

Heute haben sie sich auf Extremstandorte zurückgezogen, doch sie gehörten einst zu den ersten Lebensformen der Erde: mikrobielle Matten. Hier leben - Schicht auf Schicht - photosynthetische Cyanobakterien mit anderen Mikroorganismen auf engstem Raum zusammen. Diese Teppiche bildeten in der Frühzeit der Erde nicht nur den ersten Sauerstoff. Sie produzierten wahrscheinlich auch elementaren Wasserstoff und könnten daher die Entwicklung der Erdatmosphäre entscheidend beeinflusst haben.
Bereits wenige hundert Millionen Jahre, nachdem sich die Erdkruste abgekühlt hatte, entstanden auf unserem Planeten vermutlich die ersten primitiven Lebensformen. Die ältesten Hinweise auf Leben entdeckten Geologen in Westaustralien und Südafrika in Form der so genannten Stromatolithen. Diese 3,5 Milliarden Jahre alten, geschichteten, kuppelförmigen Gebilde erinnern die Wissenschaftler sehr stark an heutige mikrobielle Matten auf dem Meeresboden. Hier bilden Photosynthese betreibende Cyanobakterien ein dichtes Netzwerk, in denen auch andere Mikroorganismen ihr Heim gefunden haben. Die Matten sind mehrere Zentimeter dick, das Licht dringt aber nur in den obersten Millimeter ein. Das bedeutet, dass nur hier Photosynthese abläuft und daher auch nur hier Sauerstoff produziert wird. Das Innere der Matte ist praktisch sauerstofffrei. Die mikrobiellen Matten bilden also einen Lebensraum, in dem Organismen, die Sauerstoff benötigen – so genannte Aerobier – mit anaeroben Bakterien, für die Sauerstoff Gift ist, dicht an dicht zusammen existieren.

Wenn Spezialisten auf engstem Raum Hand in Hand arbeiten, fördert das die Produktivität, und so erreicht der Kohlenstoffumsatz der Bakterienmatten den der tropischen Regenwälder. Allerdings verbleibt fast die gesamte Produktion innerhalb der Matte und wird hier umgesetzt. Für kleine Tiere wie Schnecken oder Krebse stellen diese Teppiche ein gefundenes Fressen dar, auf die sie sich gerne stürzen. Es verwundert daher nicht, dass heute diese Matten nur noch in Extrembiotopen vorkommen, bei denen es den Weidegängern zu salzig, zu heiß oder zu giftig ist.

Einen dieser Standorte findet man an der mexikanischen Pazifikküste von Baja California, mit dem dreifachen Salzgehalt von Meerwasser. Hier gibt es zwei unterschiedliche Typen der Matten: Die erste, die von dem Cyanobakterium Microcoleus chtonoplastes geprägt wird, lebt im Flachwasser unter einer dicken Salzkruste. Der zweite Typ existiert dagegen auf Sandböden der Gezeitenzone und wird von dem Cyanobakterium Lyngbya dominiert.

Tori Hoehler, Brad Bebout und David Des Marais vom NASA Ames Research Center haben sich jetzt diese Bakterienmatten näher angeschaut. Sie wollten wissen, welche Gase die Matten produzieren, was sich als nicht so einfach erwies, da die Matten ihre "Abgase" in Form "unhandlicher" Gasblasen abgeben. Es gelang den Wissenschaftlern jedoch, die Gasblasen aufzufangen und ihre Zusammensetzung zu analysieren.

Die Wissenschaftler entdeckten bei beiden Typen – neben Sauerstoff und Methan – zwei Gase, mit denen sie nicht gerechnet hatten: Kohlenmonoxid und molekularen Wasserstoff. Beide Gase entstanden im obersten Millimeter der Matte, waren also demnach mit der Photosynthese der Cyanobakterien verbunden. Doch noch mehr überraschte die Forscher das zeitliche Muster der Gasbildung: Kohlenmonoxid entstand nur am Tag, während die Matten Wasserstoff in der Nacht freisetzten.

Während Kohlenmonoxid wohl direkt aus der Photosynthese stammt, sehen die Wissenschaftler den Wasserstoff im Zusammenhang mit der Stickstofffixierung der Cyanobakterien: Mit Hilfe des Enzyms Nitrogenase können Cyanobakterien molekularen Stickstoff zu Ammonium reduzieren, wobei elementarer Wasserstoff freigesetzt wird. Das Enzym ist extrem sauerstoffempfindlich und wird daher von den Cyanobakterien in speziellen, Heterocysten genannten Zellen vor dem Gas geschützt. Andererseits benötigt die Stickstofffixierung Elektronen, und die stellt wiederum tagsüber die Photosynthese zur Verfügung.

So weit, so gut. Hoehlers Arbeitsgruppe geht jedoch noch ein Schritt weiter. Sie vermutet, dass diese Wasserstofffreisetzung auch bei den Bakterienmatten des Präkambriums – den Stromatolithen – stattfand. Damals gab es keine tierischen Weidegänger, sodass diese Matten sich nicht wie heute nur auf Extremstandorte beschränkten, sondern weit verbreitet waren. Damit hätte ihre Wasserstoffproduktion einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Erdatmosphäre gehabt. Denn das Wasserstoffgas entwich zu großen Teilen in den Weltraum und wurde so der Atmosphäre entzogen, die damals noch nahezu sauerstofffrei war. Durch diesen Verlust an Reduktionsäquivalenten konnte die Erdoberfläche oxidiert werden, auch ohne atmosphärischen Sauerstoff. Bisher erklärten die Geochemiker diese Oxidation allein durch das Absinken von organischem Kohlenstoff in der Tiefsee, doch wahrscheinlich hatten die Teppiche aus hochspezialisierten Bakterien ein größeren Einfluss auf die Entwicklung unseres Planeten als angenommen.

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  • Quellen
Nature 412: 286–289 (2001)
Nature 412: 324–327 (2001)

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