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Kosmologie: Fünf Erklärungen für die Dunkle Energie

Eine rätselhafte Kraft lässt das Weltall immer schneller expandieren. Doch was steckt dahinter? Ein Überblick über die gängigsten Theorien.
Steckt ein exotisches Quantenfeld hinter der Dunklen Energie?

Sie gilt als das größte Mysterium der modernen Physik: Die Dunkle Energie scheint die Geschicke unseres Universums als Ganzes zu lenken. Sie sorgt dafür, dass das All immer schneller expandiert – und könnte es in ferner Zukunft sogar zerreißen. Doch bislang wissen Astrophysiker nicht einmal ansatzweise, was sich hinter ihr verbirgt und welchen physikalischen Gesetzen sie gehorcht. Immerhin haben sie verschiedene Ideen. Wir haben die schlüssigsten zusammengetragen.

1. Eine kosmologische Konstante

Der Begriff »kosmologische Konstante« geht auf Albert Einstein zurück. Sie tauchte erstmals in den Gleichungen auf, mit denen Einstein im Jahr 1915 seine allgemeine Relativitätstheorie begründete. Damals wusste man noch nichts von der Expansion des Universums; die Gelehrten der Zeit hielten das All für statisch.

Die allgemeine Relativitätstheorie sagt deutlich: Wenn Materie stets anziehend wirkt, dann zieht sich auch die Raumzeit irgendwann zusammen. Unser Universum wäre also nicht stabil, sondern würde immer weiter schrumpfen. Um eine Größe in seine Gleichungen einzuführen, die diesem Effekt entgegenwirkt, ersann Einstein die kosmologische Konstante. Sie erzeugt gewissermaßen einen Gegendruck, der die wechselseitige Anziehung der Galaxien aufheben sollte.

Was ist Dunkle Energie?

Der Begriff »Dunkle Energie« (englisch: dark energy) stammt aus den 1990er Jahren, das dahinterliegende Konzept ist aber bereits 100 Jahre alt. Es spielte eine Rolle bei der Entwicklung von Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, der bis heute vorherrschenden Theorie von Raum, Zeit und Schwerkraft. 1917 sah sich Einstein gezwungen, einen Zusatz in seine Gleichungen aufzunehmen, die kosmologische Konstante.

Einstein wollte damit den Zusammensturz des Universums verhindern. Forscher hielten es damals für ein statisches Gebilde. Doch damit müsste das All früher oder später unter seiner eigenen Schwerkraft kollabieren, folgerte Einstein – und ersann die kosmologische Konstante. Sie verkörperte einen nach außen gerichteten Gegendruck, der dem Kollaps Einhalt gebietet. Doch als in den 1920er Jahren klar wurde, dass der Kosmos nicht statisch ist, sondern expandiert, verwarf Einstein die Idee wieder. Stattdessen setzte sich das Konzept des Urknalls durch, der dem All den nötigen Schwung für die Ausdehnung mitgab.

1998 erkannten Kosmologen jedoch, dass das Universum seit rund sieben Milliarden Jahren an Geschwindigkeit zulegt; die Expansion beschleunigt sich. Erklären lässt sich das mit der Dunklen Energie, die wie eine Art Antigravitation wirkt. Während gewöhnliche Materie, Dunkle Materie und elektromagnetische Strahlung mit wachsendem Volumen ausdünnen, scheint ihre Menge in einem Kubikmeter Weltall konstant zu bleiben – so wie es auch bei Einsteins kosmologischer Konstante der Fall war.

Als Astronomen in den 1920er Jahren dann die Expansion des Universums entdeckten, verwarf Einstein seine kosmologische Konstante wieder. Er soll sie sogar als »größte Eselei« seines Lebens bezeichnet haben, weil er sie ohne theoretische Zwänge eingeführt hatte, nur um der damals gängigen Meinung über ein konstantes Universum gerecht zu werden.

Ende der 1990er Jahre, kurz vor der Jahrtausendwende, fanden Kosmologen dann heraus, dass unser Universum nicht bloß expandiert, sondern sich mit der Zeit immer schneller ausdehnt. Seitdem hat Einsteins kosmologische Konstante eine Renaissance erfahren. Denn nicht nur die Daten ferner Supernovae, sondern auch die kosmischen Strukturen zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit des Alls weisen auf einen konstant wirkenden Beschleunigungsfaktor hin, zumindest im Rahmen der bisherigen Messgenauigkeit.

Kurze Geschichte des Universums | Am Anfang war die Materie im All noch unvorstellbar heiß. Nach 380 000 Jahren konnten sich Elektronen und Protonen zu Atomen zusammenfinden, später folgten Galaxien, Sterne und Planeten.

Somit könnte sich hinter der Dunklen Energie schlicht eine Eigenschaft des Raums verbergen. In diesem Fall würde das Weltall schlicht immer weiter expandieren. Der Grund dafür könnten Quantenfelder sein, die auch ohne Anwesenheit von Materie das Vakuum füllen. Ein Beispiel hierfür ist das allgegenwärtige Higgs-Feld.

So klein diese Fluktuationen auch sein mögen: In Summe über die riesigen kosmischen Distanzen addiert, könnten sie die auseinandertreibende Kraft im All ausmachen. Und je mehr Raum dabei neu entsteht, desto mehr nimmt dieser Effekt zu, so dass eine zunehmend beschleunigte Expansion eintritt – so wie wir es auch beobachten.

Die heutigen Theorien für den Mikrokosmos sind allerdings noch weit davon entfernt, ein schlüssiges Bild der Wechselwirkung zwischen Quantenfeldern und Raumzeit zu liefern. Und so passen die bekannten Quantenfelder nicht im Entferntesten zur beobachteten Expansion des Kosmos: Eigentlich müssten das Higgs-Feld und seine Verwandten das All viel stärker beschleunigen – sofern ihr Energiegehalt denn wirklich hinter der beschleunigten Ausdehnung steckt.

Dennoch gilt die kosmologische Konstante nach wie vor als konservativste Erklärung für das Wesen der Dunklen Energie. Sie passt einfach am besten zu den astronomischen Daten. Aber solange man nicht verstanden hat, was wirklich hinter ihr steckt, ist sie nicht mehr als ein Lückenfüller. Und schon gar nicht erklärt sie, warum es Dunkle Energie überhaupt gibt.

2. Quintessenz

Wenn man schon einmal das Reich der Quantentheorie betritt, kann man sich natürlich auch andere, noch unentdeckte Felder ausdenken, die im Vakuum am Werk sein könnten – und die mitnichten konstant sind, sondern sich mit der Zeit verändern. Das populärste Modell dieser Kategorie, an dem Physiker seit den späten 1980er Jahren arbeiten, ist die »Quintessenz«. Das zugehörige Quantenfeld würde das gesamte All durchziehen und dabei abstoßend wirken.

Die Bezeichnung Quintessenz stammt aus der antiken Naturphilosophie. Dort bezeichnete sie eine fünfte Substanz neben Erde, Wasser, Luft und Feuer, den Elementen der damaligen Naturlehre. Diese unsichtbare Kraft sollte verhindern, dass Mond und Planeten zum Mittelpunkt der Himmelssphäre fallen. Ein passender Name für eine abstoßende Kraft also.

Euclid | Das Euclid-Weltraumteleskop soll vom Lagrange-Punkt L2 die Expansionsgeschichte des Weltalls erforschen.

Die dynamische Natur der Quintessenz hilft bei einem Problem, das die kosmologische Konstante hat: Da der Wert dieser Konstanten nie variiert, müsste ihr Wert schon beim Urknall festgelegt gewesen sein. Eine dynamische Größe hingegen kann sich abhängig von den physikalischen Rahmenbedingungen ändern. Vielleicht hatte sie zur Frühzeit des Universums einen anderen Wert, ist mittlerweile aber schon seit Langem beinahe konstant.

Das könnte es schwierig machen, die Quintessenz von der kosmologischen Konstanten zu unterscheiden. Doch vielleicht können Forscher indirekt auf das Wirken des dynamischen Felds schließen: Dieses könnte beispielsweise mit elektromagnetischen Feldern interagieren und deren Stärke beeinflussen. Fiel diese Wechselwirkung früher anders aus als heute, könnte man dies mit Glück am Licht ferner Quellen erkennen, hoffen manche Wissenschaftler.

3. Phantomenergie

Welche Form die Quintessenz hätte, ist allerdings noch völlig unklar. Entsprechend gibt es viele verschiedene Modelle, in denen das Quantenfeld jeweils unterschiedliche Eigenschaften hat. Eine eher extreme Möglichkeit wäre die so genannte »Phantomenergie«. Ihr zufolge ist die Dunkle Energie nicht nur dynamisch, sondern wird im Lauf der Zeit auf dramatische Weise immer stärker. An Stelle einer konstant beschleunigten Expansion nimmt die kosmische Ausdehnungsrate immer rasanter zu, bis es schließlich zu einem »Big Rip« kommt, einem großen Zerreißen. Nicht nur die Galaxien entfernen sich hierbei zunehmend schneller voneinander. Irgendwann zerfetzt es sogar Sternensysteme, Planeten, Moleküle und Atome.

Dieses schreckliche Ende allen Seins ist jedoch aus Sicht vieler Theoretiker eher unwahrscheinlich – auch wenn man manche Beobachtung ferner Geschehnisse entsprechend interpretieren kann. Denn damit es sich bei der Dunklen Energie wirklich um die Phantomenergie handeln kann, müsste sie gleich mehrere Eigenschaften aufweisen, die mit den heute etablierten Theorien schwer in Einklang zu bringen sind. Unter anderem würde eine aus dem Ruder laufende Expansion das Vakuum instabil machen und Teilchen mit negativer Masse hervorbringen. Da bisher nichts dergleichen zu beobachten ist, müssten weitere komplexe Eigenschaften des Vakuums vorliegen, die derzeit jedoch weder experimentell noch theoretisch zu belegen sind.

4. Dunkle Materie statt Dunkler Energie

Einige Forscher halten es für möglich, dass der Zerfall von unbekannten Teilchen der Dunklen Materie für die beschleunigte Expansion verantwortlich sein könnte. Da über Dunkle Materie nichts weiter bekannt ist, als dass sie nicht mit Licht wechselwirkt und dass sie sehr viel häufiger ist als normale Materie, bietet sich hier ein großer Raum für Spekulationen. Beispielsweise könnte die Dunkle Materie – wie normale Materie auch – aus mehreren Arten von Elementarteilchen bestehen. Wenn einige dieser »dunklen« Teilchen instabil sind, zerfallen sie vielleicht im Lauf der Jahrmilliarden.

Bei diesem Zerfall könnten etwa ein leichteres Dunkle-Materie-Teilchen und ein so genanntes Dunkles Photon (das »dunkle« Gegenstück zum uns bekannten Lichtteilchen) frei werden. Wenn mit der Zeit immer mehr Dunkle Materie zerfällt, ließe dadurch die Gravitationskraft der Materie insgesamt nach, so dass diese die Expansion des Alls nicht mehr so stark bremsen kann. In diesem Fall bräuchte es also gar keine Dunkle Energie, um die beschleunigte Ausdehnung zu erklären.

Das Problem hierbei: Ein solches Modell mag zwar zu der einen oder anderen Beobachtung passen. Aber an vielen Stellen gerät es mit anderen astrophysikalischen Daten in Konflikt. Dafür schlägt der Gedanke eine Brücke zwischen Dunkler Materie und Kosmologie – und senkt die Zahl mysteriöser Substanzen, die das Weltall lenken, von zwei auf eins.

5. Neue Gravitationstheorien

Vielleicht ist auch unser Verständnis von Gravitation und Raumzeit nicht ganz korrekt. Zwar hat die einsteinsche Theorie sich bislang auf sehr verschiedenen Größenskalen als zutreffend erwiesen. Doch womöglich übersieht sie den einen oder anderen wichtigen Faktor. So haben Forscher Modelle ausgetüftelt, in denen zusätzliche Felder die Schwereanziehung im Weltall verändern – und die so die der Dunklen Energie zugeschriebene Wirkung erklären könnten.

Allerdings gilt für diese Theorien das Gleiche wie für die Quintessenz, die Phantomenergie und die zerfallende Dunkle Materie: Das gegenwärtige Weltmodell der Kosmologie ist so gut und umfangreich, dass neue Theorien leicht in Konflikt mit etablierten Arbeiten der Astrophysik kommen. Große Hoffnung setzen Wissenschaftler deshalb auf die beiden nächsten Flaggschiff-Missionen der NASA. Zunächst soll das James Webb Space Telescope als Nachfolger des Hubble-Weltraumteleskops ins All gebracht werden. Mit ihm wollen Astronomen unter anderem weit entfernte Galaxien untersuchen. Einige Jahre darauf soll das Wide Field Infrared Survey Telescope (WFIRST) starten, von dem sich Wissenschaftler Aufschluss über großräumige Entwicklungen im Universum erhoffen.

Zusammen mit dem Euclid-Satelliten der ESA und anderen Dunkle-Energie-Teleskopen werden die Unsicherheiten der kosmischen Durchmusterung im Lauf der Zeit kleiner werden. Langfristig wird sich dann vielleicht die Frage beantworten lassen, ob die kosmologische Konstante wirklich eine Konstante oder doch eher variabel ist – und welches der vielen Modelle am besten zu der Wirkung passt, die man der Dunklen Energie zuschreibt.

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