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Chronotypen: »Für den Spättyp ist um 9 Uhr morgens noch tiefe Nacht«

Für viele Menschen klingelt der Wecker morgens zu früh. Geht bei ihnen die innere Uhr nach? Die Chronobiologen Achim Kramer und Thomas Kantermann sehen das Übel anderswo: Nicht die innere Uhr sei das Problem, sondern die Umwelt.
Junge Frau liegt im Bett und verdeckt ihre Augen

Drei Zeitgeber bestimmen unser Leben: die innere Uhr, der Wechsel von Tag und Nacht und der Terminkalender. Allerdings schlagen sie nicht immer im Gleichtakt, wie zwei Chronobiologen im Interview mit »Spektrum.de« berichten. Achim Kramer von der Berliner Charité erklärt, wie das innere Uhrwerk funktioniert und woran man den Chronotyp erkennt. Was passiert, wenn innere Uhr und Umwelt nicht zusammenpassen, schildert Thomas Kantermann von der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Essen. Er hält das Problem für lösbar: »Die Widerstände liegen hauptsächlich in den Köpfen.«

Professor Kantermann, Professor Kramer, es ist 10 Uhr morgens. Wie lange waren Sie gestern Abend auf?

Achim Kramer: Bis etwa halb elf, elf Uhr.

Thomas Kantermann: Das war bei mir genauso.

Wenn das Ihre übliche Schlafenszeit wäre: Könnte man allein daraus schon auf Ihren Chronotyp schließen?

Kramer: Man könnte schätzen, dass wir zur großen Gruppe der normalen Chronotypen gehören, mit einer leichten Tendenz zum frühen Typ.

Thomas Kantermann | Der Professor für Gesundheitspsychologie leitet die Forschungsgruppe »Chronobiologie und Arbeitsgestaltung« an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Essen. Sein Fokus liegt auf den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen von Störungen der zirkadianen Rhythmik. Derzeit untersucht er, welche Rolle die neuen Technologien dabei spielen.

Kantermann: Ich würde das noch ein bisschen eingrenzen. Zum einen macht es einen Unterschied, wann ich ins Bett gehe und wann ich tatsächlich einschlafe. Zum anderen ist die Frage, ob das meine natürliche Schlafenszeit ist. Oder lege ich mich um 23 Uhr hin, weil ich am nächsten Tag um 7 Uhr aufstehen muss? Die Schlafenszeit hängt nicht nur vom Chronotyp ab, sondern auch von sozialen Zwängen.

Und wie findet man den wahren Chronotyp heraus?

Achim Kramer | Der Biochemiker ist Professor für Chronobiologie und leitet den gleichnamigen Fachbereich an der Charité in Berlin. Mit seinem Team untersucht er unter anderem, wie Körperuhren auf molekularer Ebene miteinander kommunizieren und wie Medikamente den Takt der inneren Uhr nutzen können.

Kramer: Wir definieren ihn über das Verhältnis der inneren, biologischen Uhr zum äußeren Licht-Dunkel-Rhythmus. Diese innere Uhr lässt sich zwar grob über die natürliche Schlafenszeit bestimmen, aber genauer über den Anstieg des Dunkelhormons Melatonin, das von der Zirbeldrüse ausgeschüttet wird, sobald eine bestimmte Lichtintensität unterschritten ist. Das geschieht rund 15 Stunden vor dem Zeitpunkt des höchsten Sonnenstands, dem Zenit, der hier in Berlin ziemlich genau um 12 Uhr liegt. In extremen Fällen kann der Rhythmus um mehr als zwei Stunden verschoben sein, das Melatonin also mehr als zwei Stunden früher oder später ansteigen.

Ist das der beste Weg, um den Chronotyp zu messen?

Kantermann: Das Melatonin hat sich als Marker etabliert, weil es relativ robust ist. Es ist der wissenschaftlich anerkannte Goldstandard, allerdings sehr aufwändig, denn es braucht zehn bis zwölf Proben am Abend, um den Verlauf und so einen bestimmten Schwellenwert zu bestimmen. Ein Test aus dem Haus von Achim Kramer hat das Problem aber gelöst und kommt mit einer einzigen Probe aus.

»Wenn morgens um 9 Uhr schon die Mittag-Gene aktiv sind, dann handelt es sich um einen frühen Chronotyp«Achim Kramer, Biochemiker

Kramer: Wir haben an der Berliner Charité ein Verfahren entwickelt, für das es nur eine Haar- oder Blutprobe braucht. Doch es gibt noch viel mehr Methoden, mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Man kann zum Beispiel erfragen, wann jemand an freien Tagen abends einschläft und morgens wach wird. Der Vorteil von solchen Fragebogen ist natürlich, dass man sehr schnell Tausende von Daten erhält. Dafür nimmt man allerdings in Kauf, den Chronotyp nicht ganz objektiv zu erfassen.

Wie funktioniert das von Ihnen entwickelte Verfahren?

Kramer: Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Wir haben eine angeborene innere Uhr mit einer Hauptuhr im Gehirn, die aus einer Ansammlung von Nervenzellen besteht, ungefähr so groß wie ein Reiskorn. Diese Uhr tickt in einem Rhythmus, der etwa einer Tageslänge entspricht – aber eben nur ungefähr: Wir brauchen Licht und Dunkelheit, um ihn genau auf die Länge von 24 Stunden zu bringen. Diesen Rhythmus finden wir in jeder Zelle des Körpers. Ungefähr zehn Prozent unserer Gene sind auf diese Weise von der Tageszeit abhängig, sie sind jedoch nicht alle zur gleichen Zeit aktiv: Es gibt, vereinfacht gesagt, Morgen-Gene, Mittag-Gene, Abend-Gene und Nacht-Gene. Mit unserem Test gucken wir, wie aktiv die verschiedenen Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verhältnis zueinander sind. Aus diesem Profil können wir den Chronotyp ableiten. Deshalb brauchen wir nur eine einzige Haarprobe.

Klappt das mit allen Arten von Zellen, auch mit Speichelproben?

Kramer: Daran arbeiten wir noch. Wir haben zunächst mit Blutproben angefangen und Monozyten entnommen, die größten Zellen im Blut. Mit den Haaren ist es unkomplizierter: Wenn man sich zwei, drei Haare ausreißt, hängen am unteren Ende die Haarwurzeln. Aus deren Zellen gewinnen wir mRNA, also die Botenmoleküle der DNA, die der Zelle die genetischen Informationen liefern. Die Anzahl der mRNA-Moleküle sagt uns, wie aktiv das betreffende Gen ist. Mit dem Speichel ist das nicht so einfach, denn er enthält viele Enzyme, die mRNA abbauen.

Den eigenen Chronotyp bestimmen

  • Schlaflabore: In Kliniken wie dem Berliner St.-Hedwig-Krankenhaus bestimmen Schlafmediziner den Chronotyp über den abendlichen Anstieg des Dunkelhormons Melatonin.
  • Fragebogen: DerMunich ChronoType Questionnaire (MCTQ) erhebt das Schlafverhalten getrennt für freie Tage und Arbeitstage und errechnet daraus den individuellen »sozialen Jetlag«. Auch das Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund bietet einen Online-Selbsttest mit kostenloser Auswertung an.
  • Haartest: Für rund 180 Euro kann man den eigenen Chronotyp genetisch analysieren lassen und bekommt Empfehlungen für den Alltag. Der Anbieter ist eine Ausgründung der Charité.

Könnten Sie ein Beispiel für ein Testergebnis geben?

Kramer: Wenn wir morgens um 9 Uhr eine Haarprobe nehmen und die Nacht-Gene sind darin noch höchst aktiv, die Morgen-Gene aber weit unterdurchschnittlich, dann kann ich daraus schließen: Das ist ein Spättyp, für ihn ist es um 9 Uhr innerlich noch Nacht – ein Extremfall. Wenn umgekehrt morgens um 9 Uhr schon die Mittag-Gene aktiv sind, dann handelt es sich um einen frühen Chronotyp.

Gibt es repräsentative Zahlen dazu, wie viele Menschen eher zu den frühen oder den späten Chronotypen gehören?

Kantermann: Es gibt Datenbanken wie die am Institut für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, die rund 200 000 Personen umfasst. Doch konkrete Zahlen zu nennen ist insofern schwierig, als der Chronotyp zwar eine genetische Basis hat, aber auch veränderlich ist. Zum Beispiel reagiert die innere Uhr sehr stark auf Licht. Das heißt: Wer viel draußen ist, ist früher dran als jemand, der den ganzen Tag im Haus sitzt. Deshalb muss man auch die Jahreszeit und die geografische Lage berücksichtigen. Am Äquator ist das Tageslicht übers Jahr gesehen relativ konstant, dort gibt es mehr Frühtypen. Je weiter wir vom Äquator wegkommen, desto mehr Spättypen finden wir. In Deutschland und Mitteleuropa gibt es mehr Spät- als Frühtypen. Das lässt sich erklären über den Lebenswandel: Wir bekommen vergleichsweise wenig Tageslicht ab, stattdessen gibt es rund um die Uhr künstliche Beleuchtung. Ohne künstliches Licht, zum Beispiel wenn man campen geht, ist die Varianz, also die Streubreite kleiner. Bei den Frühtypen ändert sich wenig, aber die Spättypen bewegen sich Richtung früh. Ob jemand ein später oder früher Chronotyp ist, ist letztlich jedoch keine biologische Frage, sondern eine statistische. Die Frage ist, wo man die Grenze setzt.

Kramer: »Früh« oder »spät« bezieht sich auf die Anforderungen, die die Gesellschaft stellt. Wenn wir die Schule früh beginnen lassen, dann haben wir unter Jugendlichen 80 bis 90 Prozent Spättypen. Jugendliche haben aber auch biologisch bedingt einen relativ späten Chronotyp, am ausgeprägtesten mit 16 bis 20 Jahren.

Gibt es solche Unterschiede im Chronotyp auch zwischen den Geschlechtern?

Kantermann: Grob gesagt haben wir den gleichen Chronotyp, wenn wir in die Schule kommen und wenn wir in Rente gehen. Dazwischen kann sich das bis zu zwei, drei Stunden Richtung Spättyp verschieben. Die Frauen tendieren in dieser Zeit etwas mehr zum frühen Chronotyp als Männer, vor allem in der Jugend. Bei den Frauen setzt außerdem das Ende der jugendlichen Spättypphase etwas früher ein. Das Maximum erreichen Männer in etwa mit 21 und Frauen mit 19,5 Jahren. Nach der Menopause nähern sich die Chronotypen von Männern und Frauen wieder an.

Kramer: Die Geschlechtshormone spielen dabei eine große Rolle. Ein Kind, bei dem die Pubertät schon eingesetzt hat, zählt eher zu späten Chronotypen als Gleichaltrige, die noch nicht in der Pubertät sind. Den molekularen Mechanismus dahinter kennen wir aber noch nicht.

Was kann man aus dem Chronotyp für den Alltag ableiten?

Kantermann: Nehmen wir an, der Haartest ergibt, dass bei einer Person das Melatonin um 21 Uhr einen bestimmten Schwellenwert überschreitet: Dann empfehlen wir eine Schlafenszeit von 23.30 bis 7.30 Uhr. In den drei Stunden vorher sollte man keinen Sport mehr treiben. Der beste Zeitpunkt für Sport hängt jedoch auch davon ab, um welchen Sport es geht: Kraftsport eher morgens, Ausdauersport nachmittags.

Und wie ist es mit der geistigen Leistungsfähigkeit?

Kantermann: Im Mittel ist die kognitive Leistung zwischen 10 und 12 Uhr am höchsten. Im geschilderten Fall würde ein durchschnittlicher Erwachsener, bei dem man von acht Stunden Schlaf ausgeht, den Höhepunkt seiner geistigen Leistungsfähigkeit ungefähr um 11 Uhr vormittags erreichen.

Was, wenn sich die Chronotypen eines Paares stark unterscheiden: Können Eulen und Lerchen miteinander glücklich werden?

Kramer: Natürlich. Wichtig ist, dass beide ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie unterschiedliche Chronotypen sind. Keiner sollte sich dem anderen zuliebe quälen, zum Beispiel morgens regelmäßig mit aufstehen, obwohl er noch Schlaf braucht, oder abends für den anderen lange wach bleiben, obwohl er schon längst müde ist. Beide müssen die Unterschiede akzeptieren, dann können sie auch die positiven Seiten sehen.

Kantermann: Zum Beispiel kann sich der eine morgens um die Kinder kümmern, der andere abends! Wir müssen uns klarmachen, dass es um fest verdrahtete biologische Programme geht. Wenn wir kurzfristig gegen die innere Uhr leben, sind wir vielleicht mal schlecht gelaunt. Aber wenn der Schlaf systematisch über Wochen oder Monate zu kurz kommt, kann das auf Dauer dramatische Folgen haben, wie ein erhöhtes Risiko für Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Schlafstörungen. Man spricht auch von einem »sozialen Jetlag«. Ein Negativbeispiel ist leider die Schule.

»Ob jemand ein Spät- oder ein Frühtyp ist, macht bei Prüfungen am Morgen bis zu eine Note Unterschied«Thomas Kantermann, Chronobiologe und Psychologe

Die Schule geht morgens also nachweislich zu früh los?

Kantermann: In Kita und Grundschule ist ein Beginn um 8 Uhr noch nicht ganz so gravierend, kann jedoch die innere Uhr der Eltern belasten. Dagegen fühlen sich 16-Jährige morgens um 8 wie 45-Jährige nachts um 4 oder 5 Uhr. Das würde kaum ein Lehrer mitmachen. Wir haben uns die Leistung angeschaut: Ob jemand ein Spät- oder ein Frühtyp ist, macht bei Prüfungen am Morgen bis zu eine Note Unterschied. Die Ungleichheit hört nach dem Mittagessen auf; in den Nachmittagsstunden sehen wir keinen Unterschied mehr.

Kramer: Das bedeutet: Wenn eine Klassenarbeit in der ersten Stunde geschrieben wird, entscheidet die Genetik der inneren Uhr, wer besser oder schlechter abschneidet.

Was wäre die Lösung?

Kramer: Ab Klasse 7 wäre es gut, erst um 9 Uhr anzufangen, und ab Klasse 9 ungefähr um 10 Uhr. Wenn es nicht möglich ist, den Schulanfang zu verschieben, sollten zumindest Klassenarbeiten erst ab 10 Uhr angesetzt werden.

Kantermann: Und wenn schon früh anfangen, dann bitte nicht mit Mathe, sondern mit Sport oder Bewegung draußen, um die innere Uhr zu aktivieren. Alternativ könnte man mit Fächern beginnen, die eher kreatives Denken erfordern, wie Kunst oder Philosophie. Wir haben das mal an einem Gymnasium in Bad Kissingen umgesetzt: Es hat gut funktioniert.

Hat das frühe Aufstehen auch Folgen in Lebensbereichen außerhalb der Schule?

Kantermann: Ja, zum Beispiel im Straßenverkehr. In einer Studie in den USA, wo die Jugendlichen ab 16 Jahren Auto fahren dürfen, hat man Unfälle auf dem Schulweg verglichen. Nachmittags auf dem Weg nach Hause sind die Unfallraten stark erhöht, wenn die Schulen vor 8 Uhr anstatt zwischen 8 und 9 Uhr anfangen. Die Kinder sind dann nachmittags müder, wenn sie nach Hause fahren.

Woran liegt es, dass deutsche Schulen weiter so früh anfangen? Am politischen Willen?

Kantermann: Ja, und an der Logistik. Es kommt darauf an, wie der öffentliche Nahverkehr organisiert ist. In einer großen Stadt ist ein später Schulbeginn einfacher umzusetzen. Doch es gibt auch vorgeschobene Argumente, zum Beispiel, dass die Eltern früh aus dem Haus müssen. Die Jugendlichen, um die es hier geht, könnten sich aber durchaus später allein auf den Weg machen. Die Widerstände liegen hauptsächlich in den Köpfen, nach dem Motto: Das frühe Aufstehen hat uns doch auch nicht geschadet. Der frühe Schulbeginn war allerdings schon vor 100 Jahren falsch. Vielleicht waren die Folgen nicht so groß, weil man damals mehr draußen war und abends nicht so lange bei künstlicher Beleuchtung wach blieb.

Kramer: Und weil es damals keine Smartphones gab. Wir benutzen die Geräte oft bis kurz vorm Schlafen. Das Problem: Sofern man den Schlafmodus nicht aktiviert hat, strahlen sie blaues Licht aus, darauf reagieren bestimmte Zellen in der Netzhaut. Wenn das Blaulicht abends auf die Zellen trifft, »denken« sie, es wäre noch Tag, und verschieben die innere Uhr nach hinten.

Plädoyer für die Normalzeit

Zweimal im Jahr werden die Uhren umgestellt: im Frühjahr eine Stunde vor, im Herbst eine Stunde zurück. Das bringt die innere Uhr bei vielen Menschen, die bereits mit einem sozialen Jetlag kämpfen, weiter aus dem Takt. Thomas Kantermann und Achim Kramer plädieren deshalb dafür, das ganze Jahr in der mitteleuropäischen Normalzeit zu leben, auch Winterzeit genannt. »Man sollte aber nicht von Sommer- und Winterzeit reden«, sagt Achim Kramer. Denn viele Menschen würden in Umfragen für die Sommerzeit stimmen, weil sie den Sommer lieber mögen – doch das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Würde die »Sommerzeit« das ganze Jahr gelten, wäre es im Winter erst sehr spät hell, was gerade für späte Chronotypen mit sozialem Jetlag ein Problem darstellt. Mehr dazu: ein Kommentar.

Also auf jeden Fall den Schlafmodus anschalten. Weitere Empfehlungen?

Kramer: Gleich morgens etwas Zeit im Freien verbringen, dann wird die innere Uhr durch das Tageslicht synchronisiert. Man kann zum Beispiel auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeit eine Station früher aussteigen und den letzten Kilometer zu Fuß gehen. Auch wenn es nicht so scheint, ist das Tageslicht selbst an einem trüben Wintertag sehr hell, rund 10 000 Lux. Drinnen sind es bei normaler Beleuchtung maximal 500 Lux.

Kantermann: Das Tageslicht am Morgen kann die künstliche Beleuchtung am Abend ein Stück kompensieren, so dass der Schlaf-wach-Rhythmus erhalten bleibt. Meist haben wir beispielsweise im Bad besonders helle Leuchten. Das ist ungünstig, denn auch wenn man nur kurz aufs Klo geht, wird das Melatonin sofort unterdrückt. Dann dauert es länger, bis man wieder einschläft. In Städten bräuchte man in einem Raum mit Fenster eigentlich kein Licht, um sich zu orientieren: Wegen der Lichtverschmutzung draußen ist es drinnen hell genug. Es hilft aber auch, die Lampen zu dimmen oder Richtung Decke zu drehen und überhaupt auf alle nicht benötigten Lichtquellen zu verzichten. Ich empfehle meinen Studierenden gerne, mal eine Woche lang ab zwei bis drei Stunden vor dem Schlafen einen digitalen Detox zu machen: kein Fernsehen, kein Computer, kein Smartphone, stattdessen Gespräche bei Kerzenschein oder ein Buch lesen. Viele profitieren davon, sie schlafen schneller ein und sind am Morgen erholter.

Zirkadiane Medizin: Krankheiten im Takt der inneren Uhr

Bei einigen Erkrankungen ist der gesamte Tag-und-Nacht-Rhythmus des Organismus gestört, etwa bei der Alzheimerdemenz: Tagsüber sind die Betroffenen müde, nachts sind sie wach und bei Sonnenuntergang besonders verwirrt und desorientiert. Auch andere Krankheiten werden zu bestimmten Tageszeiten schlimmer. Bei der rheumatoiden Arthritis schmerzen die Gelenke verstärkt am Morgen. Eine Pille käme dann zu spät – die Entzündungsbotenstoffe steigen bereits nachts an. Deshalb haben Forschende an der Berliner Charité Medikamente entwickelt, die abends eingenommen werden, aber ihre Wirkstoffe erst Stunden später freisetzen.

Extreme Chronotypen können ihre Ursache zudem in einer Schlaf-wach-Rhythmus-Störung haben. Dazu zählt das vorverlagerte Schlaf-wach-Phasen-Syndrom, eine erbliche Krankheit: Die Betroffenen schlafen früh am Abend ein und wachen um 2 Uhr wieder auf. Selten ist das Nicht-24-Stunden-Syndrom, kurz Non-24. Man findet es vor allem bei blinden Menschen, weil ihnen das Licht als äußerer Zeitgeber fehlt. Deshalb läuft ihre Uhr langsamer; sie werden jeden Tag im Mittel zwölf Minuten später müde. Der 24-Stunden-Rhythmus lässt sich jedoch medikamentös einstellen: Die zirkadiane Medizin sucht nicht nur nach Therapien, die dem Takt der inneren Uhr folgen, sondern kann die innere Uhr auch nachjustieren.

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