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Kritische Metalle: Die Energiewende bekommt ein Rohstoffproblem

Für die Energiewende braucht man enorme Mengen von Spezialrohstoffen. Von denen sind einige bereits jetzt knapp, auf andere haben einzelne Staaten beinahe Monopole. Fachleute warnen schon vor den nächsten Abhängigkeiten. Denn es gibt zwar Lösungswege für das Problem – die aber dauern lange und sind unbeliebt.
Kupfer

Wer den Schwachpunkt der Energiewende sucht, muss sich in den Straßen von Belgrad umschauen. Tausende Menschen demonstrierten in den Wintermonaten 2021/22 in der Hauptstadt Serbiens gegen den australisch-britischen Konzern Rio Tinto, der in Jadar im Westen des Landes ein Bergwerk für Bor und Lithium plante. Denn der Ruf der Bergbauindustrie ist schlecht und die Folgen solcher Minen für Umwelt, Gesundheit und Gesellschaft sind häufig gravierend. Das Beispiel steht für ein Dilemma der globalen Energiewende: Im gleichen Maße, in dem fossile Energieträger durch Wind- und Sonnenenergie ersetzt werden, werden viele neue Bergwerke für Metallerze notwendig. Und die will kaum jemand in der Nachbarschaft haben.

Zunächst aber führt kein Weg daran vorbei. Es bleiben der Welt nach dem Klimaabkommen von Paris noch 28 Jahre, ihren Ausstoß klimawirksamer Gase auf null zu senken. Gleichzeitig sollte der Wohlstand für derzeit 7,9 Milliarden Menschen und alle bis zur Jahrhundertmitte Geborenen sichergestellt werden. Die erneuerbaren Energien gelten als wichtigste Gruppe bei Technologien, um beide Ziele gleichzeitig zu erreichen. Sie versorgen die Welt mit Primärenergie und können dabei helfen, den Ausstoß von CO2 maßgeblich zu reduzieren.

Diese Energiewende bedeutet einen industriellen Wandel, der viel mehr beinhaltet, als nur fossile Energieträger abzuschaffen. Anlagen für erneuerbare Energien erfordern eine neue Rohstoffbasis – und die hat es in sich: Für eine moderne Fotovoltaikanlage werden nach einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) mehr als doppelt so viele metallische Rohstoffe benötigt wie für ein Kohlekraftwerk der gleichen Leistung. Bei Onshore-Windrädern sind es fast fünfmal so viele Metalle, bei Offshore-Windrädern mehr als siebenmal so viele. Zwar brauchen fossile Kraftwerke dafür zusätzlich enorme Mengen an Brennstoff, doch Anlagen für erneuerbare Energien aufzubauen, ist im Vergleich deutlich ressourcenintensiver.

Der Bedarf wird sich vervielfachen

Auch die Deutsche Rohstoffagentur ließ zuletzt 2021 den Rohstoffbedarf der Energiewende beziffern. Ein Forscherteam prüfte im Auftrag der Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums, welchen Metallbedarf der beschleunigte Ausbau von Wind- oder Solarenergie verursacht. Dabei ging es beispielsweise um das Seltenerdmetall Neodym für Permanentmagnete, das moderne Windräder weniger wartungsintensiv macht und dessen globaler Bedarf sich bis zum Jahr 2040 versechsfachen könnte. Der Bericht listet zusätzlich über 20 kritische Metalle auf, deren Bedarf sich in vielen Fällen in kaum zwei Jahrzehnten vervielfachen dürfte, wenn die Energiewende in vollem Umfang umgesetzt wird.

Offshore-Windpark | Windparks auf dem offenen Meer, wie hier vor den Niederlanden, haben eine Reihe von Vorteilen. Allerdings brauchen die gigantischen Windturbinen auch besonders viele potenziell knappe Spezialmetalle.

Das liegt jedoch nicht allein an erneuerbaren Energien: Die Forschenden untersuchten in ihrer Studie auch viele andere neue Technologien, die für eine erfolgreiche Energiewende wichtig sind. Dazu gehören Elektrofahrzeuge, stationäre Stromspeicher, aber ebenso Großanlagen für Wasserelektrolyse zur Herstellung von grünem Wasserstoff, für deren Membranen die seltenen Metalle Iridium und Scandium in zunehmendem Maße gebraucht werden dürften. Hinzu kommt der Metallbedarf anderer Hightechtechnologien, von traditionellen Rechenzentren über Quantencomputer und Radiofrequenz-Mikrochips für 5G- und 6G-Funkmasten bis zu Meerwasserentsalzungsanlagen. All diese Bereiche entwickeln sich derzeit schnell und dürften schon in einigen Jahren nicht nur nennenswerte Teile des globalen Rohstoffmarktes für strategische Metalle einfordern, sondern auch um sie konkurrieren.

Der wachsende Bedarf an metallischen Rohstoffen wird dabei zu einem Risiko für die deutsche und europäische Energiewende. Denn während sich Volkswirtschaften in den nächsten Jahren von Erdgas-, Erdöl- und Kohlelieferanten abwenden, werden sie sich in neue Abhängigkeiten von Metallen begeben. Diese sind häufig sogar noch konzentrierter als bei den fossilen Energieträgern: Während Erdöl, Kohle und mittels Flüssiggascontainern auch Erdgas von einem Dutzend großer Förderländer geordert werden können, sind Abbau und Verarbeitung etlicher Metalle momentan auf wenige oder sogar einzelne Länder begrenzt.

Deutschland hat sich aus dem Bergbau zurückgezogen

Mit der Wiedervereinigung hat sich Deutschland aus dem Metallbergbau zurückgezogen. Bergwerke in Ost und West wurden geschlossen, entweder weil Vorkommen erschöpft waren oder weil die Bergbaupraxis unter neu geltenden Umweltgesetzen unrentabel wurde. Ein plötzlich weit geöffneter Weltmarkt tat sein Übriges: In Ost und West wurden strategische Reserven kritischer Rohstoffe aufgelöst, während Länder mit niedrigem Lohnniveau eine kaum zu unterbietende Konkurrenz darstellten.

Heute, in Zeiten zunehmender geopolitischer Spannungen, schließt sich aber möglicherweise das Fenster für günstige Rohstoffeinfuhren. Mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs stieg der Preis für Nickel an der Börse London Metal Exchange in nur zwei Tagen um 250 Prozent. Die Börse setzte den Handel kurzerhand aus. Das Metall ist gar nicht besonders selten, und Russland fördert gerade mal ein Zehntel der weltweiten Nickelmenge. Doch die Reaktion der Märkte zeigt, dass der Handel mit metallischen Rohstoffen zunehmend turbulenter werden dürfte, mit größerer Unsicherheit besonders für Staaten wie Deutschland, deren Industrien massiv auf einen zuverlässigen Import angewiesen sind.

»Ich würde vermuten, dass das Bundeswirtschaftsministerium weiß, dass es für die Energiewende entsprechende Mengen an Kupfer, Indium oder Seltenerdmetallen braucht«Jens Gutzmer, Helmholtz-Institut für Ressourcentechnologie

Schon lange vor dem Ukraine-Feldzug Russlands forderten Wirtschaftsverbände, dass Deutschland die Versorgung mit metallischen Rohstoffen wieder in die eigene Hand nehmen und finanziell stützen sollte. Auf europäischer Ebene ist ein Strategiewechsel nun langsam erkennbar. Mit der European Raw Materials Alliance schmiedete die Europäische Kommission 2020 ein Bündnis, das die Versorgungssicherheit für die europäische Industrie verbessern soll, indem verstärkt mit stabilen Partnerstaaten wie Kanada oder Australien zusammengearbeitet werden soll oder indem afrikanische Staaten beim nachhaltigen Bergbau unterstützt werden sollen.

Europa ist beim Bergbau zu langsam

All das komme aber reichlich spät, sagt Jens Gutzmer. Der Geologe leitet seit zehn Jahren das Helmholtz-Institut für Ressourcentechnologie in Freiberg. »Ich würde vermuten, dass das Bundeswirtschaftsministerium weiß, dass es für die Energiewende entsprechende Mengen an Kupfer, Indium oder Seltenerdmetallen braucht«, sagt Gutzmer. »Sie haben wohl die Hoffnung, dass der Weltmarkt für uns offen bleibt.«

Allerdings haben bisherige Regierungen vergleichsweise wenig getan, neue Bergwerke zu erschließen oder zumindest finanziell abzusichern. Die deutsche Politik hält das für eine Aufgabe der Wirtschaft, während China schon seit den 1990er Jahren den Abbau von Rohstoffen mit staatlichen Subventionen stützt. Das Land dominiert heute Abbau und Verarbeitung bei allen Seltenerdmetallen, aber auch bei Gallium, Vanadium oder Indium.

Wie verspätet Deutschland und die Europäische Union auf dem Weg sind, die Rohstoffe für die Energiewende zu sichern, zeigt wiederum ein Blick nach Serbien. Im Jahr 2013 suchte die serbische Regierung nach Investoren für die Kupfermine und -hütte nahe der Kleinstadt Bor im Osten des Landes. Besonders durch die Entdeckung einer neuen Kupferlagerstätte schien das frühere Industriekombinat damals sanierbar zu sein.

Trotz einigem Interesse westlicher Bergbauunternehmen unterstützten Regierungen in der EU keines von ihnen mit Bürgschaften. Die serbische Regierung entschied sich schließlich 2018 für das Unternehmen Zijin aus China. Mittlerweile werden in Bor wieder über 27 000 Tonnen Kupferkonzentrat pro Jahr gefördert. »Aber das geht jetzt wohl eher zur neuen chinesischen Seidenstraße, statt die Energiewende in Europa zu stützen«, sagt Jens Gutzmer.

Niemand möchte ein Bergwerk in der Nachbarschaft

Andere Projekte, die den Rohstoffbedarf der europäischen Energiewende stützen könnten, sorgen für Widerstand: In der Extremadura in Spanien gibt es nennenswerte Lithiumvorkommen im Untergrund, aber das geplante Bergwerk wird von vielen Anwohnern naher Gemeinden abgelehnt. Das größte Lithiumvorkommen Europas wird in Portugal vermutet, dessen Präsident sich kürzlich jedoch gegen ein Bergwerk im Nordwesten des Landes ausgesprochen hat.

Kupfermine bei Bor | Das Bergwerk in Serbien liefert jährlich 27 000 Tonnen Kupferkonzentrat, der Rohstoff geht nach China.

Der Druck der Straße verhinderte vorerst auch die geplante Lithiummine im serbischen Jadar: Nach massiven Protesten kurz vor der Parlamentswahl entschied Premierministerin Ana Brnabić im Januar 2022 gegen das Projekt. Die Ursache für die Proteste liegt ausgerechnet in den Erfahrungen mit dem seit vier Jahren chinesisch geführten Kupferbetrieb in Bor: Der chinesische Einstieg verbesserte kaum die wirtschaftlichen Bedingungen der Menschen vor Ort. Das Unternehmen ließ vorwiegend Arbeitskräfte aus Vietnam und China einstellen, während sich durch die angefahrene Produktion die Luftqualität für alle Anwohner massiv verschlechterte. Zwar hatte Rio Tinto daraufhin mit dem Versprechen reagiert, in seinem geplanten Bergwerk 90 Prozent serbische Arbeiter zu beschäftigen und strengen Umweltrichtlinien zu folgen, was aber kurz vor der Wahl weder die Serben noch die Regierung überzeugte.

Während die Energiewende momentan den Bedarf an Metallen und damit mehr Bergbau wachsen lässt, gibt es immerhin eine positive Aussicht: Es ist der Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft, wenn etwa der Bedarf an Neodym und Kupfer für neue Windräder durch das Recycling ausgedienter Anlagen gedeckt werden kann. Dieser Zeitpunkt ist aber heute längst noch nicht erreicht: »Gerade bauen wir ja kaum etwas ab, sondern vor allem auf«, sagt Jens Gutzmer.

Kreislaufwirtschaft könnte den Mangel lindern

Wie realistisch der Weg in die Kreislaufwirtschaft wirklich ist, zeigt ein Blick in die Automobilwirtschaft, die schon seit Jahren über gestörte Lieferketten klagt. Autobauer verarbeiten immer mehr Elektronikteile für die Steuerung oder Sensoren. Gemeinsam mit der Batterie der Elektrofahrzeuge stecken in elektrisch angetriebenen Fahrzeugen siebenmal mehr metallische Rohstoffe als in solchen mit Verbrennungsmotoren. Doch in weniger als zehn Jahren erwarten führende Hersteller einen wachsenden Rücklauf der aktuellen Generation von Fahrzeugen. Volkswagen will dann beispielsweise einen großen Teil der in Elektrowagen verbauten Metalle zurückgewinnen, um weniger abhängig von Importen und dem Abbau unter fragwürdigen Bedingungen in Drittstaaten zu werden.

Für einen echten Rohstoffkreislauf gibt es allerdings noch viele Hürden. Da sind zuerst die Produktzyklen: Während Autos nach einem Jahrzehnt verschrottet werden, können Solarzellen oder Windräder auch 30 Jahre Strom liefern, was den Rücklauf der Rohstoffe verzögert. Hinzu kommt die Frage, ob überhaupt Verfahren existieren, das Kobalt einer Batteriekathode oder das dünn aufgedampfte Gallium in einer Fotovoltaikzelle wieder zurückzugewinnen – und wenn diese Verfahren existieren, ob der dabei gewonnene Rohstoff günstig genug ist, um ihn weiterzuverwenden. »In den meisten Fällen ist das heute noch nicht der Fall«, sagt Jens Gutzmer.

Das zeigt sich gerade bei Fahrzeugen: Zwar werden in der Europäischen Union mittlerweile fast 90 Prozent jedes verschrotteten Autos recycelt. Aber Hightechmetalle spielen an der Gesamtmasse noch keine ausreichend große Rolle und sind dazu häufig fest in Platinen und Legierungen gebunden. Da deren Rückgewinnung meist teuer ist, gehen viele Hightechmetalle in Altfahrzeugen bisher verloren.

Ein echter Dämpfer für die Energiewende droht

Während die Politik das Problem langsam erkannt hat und etwa im Green Deal der EU-Kommission schärferes Recycling von wertvollen Metallen vorgeschrieben wird, blickt Jens Gutzmer teils optimistisch auf die derzeit steigenden Rohstoffpreise. Sie dürften Bergbau in Ländern mit hohem Lohnniveau und strengen Umweltgesetzen wie Deutschland attraktiver machen und gleichzeitig die noch immer teuren recycelten Rohstoffe konkurrenzfähiger – wenn auch mit dem Nachteil steigender Preise für hergestellte Industrieprodukte.

Kurzfristig aber könnte der Energiewende und den immer ehrgeizigeren Ausbauzielen für erneuerbare Energien vieler Länder ein Dämpfer drohen, wenn sich Lieferengpässe zunehmend auf kritische Rohstoffe ausdehnen. Zwar kann der Markt auf Krisen reagieren, indem neue Bergwerke erschlossen oder Technologien entwickelt werden, dank derer die gefragtesten Metalle durch weniger kritische Materialien ersetzt werden. All das braucht aber Zeit: Ein neues Bergwerk benötigt vom Planungsbeginn bis zur Produktion laut IEA im Durchschnitt 16 Jahre, während zudem wissenschaftliche Innovation erst aufwändig bis zur Marktreife gebracht werden muss.

Hinzu kommt, dass die Nachfrage bei vielen Metallen momentan noch gar nicht durch den Aufbau erneuerbarer Energien, von Batteriespeichern oder Großanlagen zur Wasserelektrolyse dominiert wird. Der Marktwert heute gehandelter fossiler Energien ist um ein Vielfaches größer als der aller kritischen metallischen Rohstoffen. Die IEA erwartet aber, dass bis 2040 zumindest der Wert gehandelter Kohle übertroffen wird. Die geopolitische Abhängigkeit von metallischen Rohstoffen dürfte jedoch schon lange davor spürbar werden.

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