Direkt zum Inhalt

News: Funktion durch Form

Das Wachstum von Organismen ist von vielen Faktoren abhängig. Entwickelt sich die Größe von Lebewesen nicht normal, wird zuerst nach defekten Hormonen oder Wachstumsfaktoren gesucht. Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass bei Pflanzen veränderte Polymerstrukturen in den Zellwänden das Wachstum ebenfalls hemmen können.
Pflanzen können Menschen und Tiere in der Größe weit übertreffen. Wie aber entstehen aus unzähligen Pflanzenzellen so phantastische Gebilde wie die Urwaldriesen? Das ist nur möglich, da pflanzliche im Gegensatz zu tierischen Zellen sehr stabile Wände haben. Diese Wandstrukturen haben mehrere Funktionen: Sie verleihen den Zellen mechanische Stabilität, legen ihre Form fest und stellen eine physikalische Barriere gegen Krankheitserreger dar.

Pflanzenzellwände bestehen hauptsächlich aus Cellulose, daneben sind jedoch weitere Polysaccharide, wie Hemicellulose und Pektine, an deren Aufbau beteiligt. Diese Pektine setzen sich aus aneinandergeketteten Galacturonsäuren zusammen, in welche verschiedene Neutralzucker wie Galactose, Arabinose und Rhamnose eingebaut sind. Zu dieser polymeren Stoffklasse gehört auch das Rhamnogalacturonan II (RG II), das vor 25 Jahren als eines der komplexesten Kohlenhydrate entdeckt wurde. Es besteht aus zwölf unterschiedlichen Zuckern, welche über 22 verschiedenen Bindungstypen miteinander vernetzt sind. Einer seiner Zuckerbausteine konnte bisher nirgendwo anders gefunden werden. Und obwohl an der Synthese von RG II 50-60 Enzyme beteiligt sind, wurde es bislang für unbedeutend gehalten.

Erst jetzt erkannten Wissenschaftler die Funktion dieses Polysaccharides und seinen Einfluss auf das Pflanzenwachstum. Dazu haben Alan Darvill und seine Kollegen von der University of Georgia eine Zwergmutante aus der Familie der Senfpflanzen – die Arabidopsis thaliana – untersucht. Diese Mutante weist zwar normale Mengen von RG II in der Zellwand vor, jedoch sind davon nur etwa die Hälfe miteinander vernetzt. Normalerweise bilden die einzelnen Polymerstränge mit Hilfe von Borsäurdiestern kovalente Bindungen untereinander aus und stellen somit ein komplexes Netzwerk her, in welches sich andere Zellwandkomponenten festsetzen.

Es zeigte sich, dass der Arabidopsis-Mutante ein Enzym fehlt, um einen bestimmten Zuckerbaustein des Polymers – die L-Fucose – zu bilden. Infolgedessen ersetzt die Mutante die L-Fucose an den entsprechenden Stellen des RG II mit einem anderen Zucker. Erhielten die Pflanzen einen Dünger mit mit L-Fucose-Anteilen oder großen Mengen an Bor, dann konnten sie normal wachsen. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass der Austausch von Zuckerbausteinen in der RG II die Form des Polymers verändert. Die Polymere können dadurch das Bor nicht mehr so gut fixieren, die Vernetzung der Zellwände scheitert und die Pflanzen wachsen nicht zu ihrer normalen Größe heran.

Offensichtlich entscheidet auch bei Kohlenhydraten die Form über die Funktion. Bei Proteinen kennen Biologen dies schon lange: so arbeiten viele Enzyme und Hormone nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, und die geringste Formabweichung führt zum Funktionsverlust.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.