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DDT: Gab es Katzen am Fallschirm?

Mussten einst wegen DDT Katzen über Borneo abgeworfen werden? Eine skurrile Geschichte aus der Wissenschaft - und über die ernsthafte Suche nach Alternativen zu dem Insektizid.
Katzendenkmal in Kuching

Das Unterhaltsame an überlieferten Geschichten: Jeder Erzähler kann sie sich nach Bedarf ein bisschen zurechtbiegen und um weitere, skurrile Details ergänzen. Die folgende Story liest sich wie eine Mischung aus Märchen, biblischer Geschichte und Fabel über den gedankenlosen Umgang des Menschen mit chemischen Schadstoffen: Es war einmal in den 1950er Jahren in der Region Sarawak auf Borneo. Große Anopheles-Mückenschwärme quälten die Bevölkerung, führten zu schweren Malariaerkrankungen und zu Todesfällen. Da entschloss sich die Regierung mit Hilfe der Weltgesundheitsorganisation (WHO), den Stechinsekten den Garaus zu machen. Riesige Mengen des als Wundermittel gehandelten Stoffs DDT wurden über den im Dschungel liegenden Dörfern versprüht. Und siehe da: Die Moskitos starben im Nebel des Insektizids, Malariafälle gingen zurück. Die Menschen jubelten.

Nach einiger Zeit brachen jedoch die Dächer ihrer Häuser zusammen. Denn nicht nur die Moskitos waren vernichtet worden, auch Schlupfwespen starben. Diese wiederum hatten sich von den Raupen eines Zünslerfalters ernährt, die das Pflanzenmaterial der Dachbedeckung konsumierten. Die Raupen vermehrten sich nun mangels eines natürlichen Feindes unkontrolliert, waren aber immun gegen das versprühte Pestizid. Sie fraßen den Dorfbewohnern im wahrsten Sinn des Wortes das Dach über dem Kopf weg. Auch Fliegen starben massenhaft an dem Gift. Sie wurden von Geckos gefressen und die wiederum von Hauskatzen.

Die Katzen nahmen dadurch so viel Gift zu sich, dass sie ebenfalls starben und somit als Mäuse- und Rattenjäger ausfielen. Eine Rattenplage war die Folge, die Nager übertrugen Krankheiten auf die Menschen ... Am Ende dieser haarsträubenden Kettenreaktion ließ man aus lauter Verzweiflung Hunderte neuer Katzen per Flugzeug in das auf anderen Wegen kaum zugängliche Gelände einfliegen und an Fallschirmen über den Dörfern abwerfen.

So zumindest die Legende. Diese Geschichte über den unbedachten Umgang mit DDT ist übrigens auch bei dem US-Schriftsteller T. C. Boyle nachzulesen, in seiner Kurzgeschichte »Das Ende der Nahrungskette«. Tatsächlich ist bis heute unklar, was in dem Bericht, der bald unter dem Titel »Operation Cat Drop« kursierte, wirklich stimmt, denn verschiedene Varianten geisterten bald danach durch die Zeitungen.

Patrick T. O’Shaughnessy, ein US-Professor und Umweltingenieur an der University of Iowa, hat sich vor einigen Jahren die Mühe gemacht, die Quellenlage zu untersuchen. Demnach gilt als sicher, dass es Anfang der 1950er Jahre auf Borneo mehrere WHO-Sprüheinsätze gegen Moskitos gegeben hat. Und offenbar ließen sich Belege in Bordbüchern dafür finden, dass die britische Royal Air Force (die Briten waren einst eine der Kolonialmächte in der Region) wirklich Katzen über dem betroffenen Dschungelgebiet aus Flugzeugen abgeworfen hat. Allerdings sollen es höchstens um die 20 Tiere gewesen sein, nicht hunderte oder gar tausende, wie es in der Malaria-Mär ursprünglich verbreitet wurde. Und mit Sicherheit schwebten die Tiere in Transportkisten vom Himmel, nicht einzeln mit Fallschirmen vertäut.

Der Pharmakologe und Mediziner Jan Hengstler, Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie und Systemtoxikologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund, hält es zudem für ein unrealistisches Szenario, dass die Katzen auf Borneo an akuter DDT-Vergiftung starben – ob nun durch das Verspeisen der Geckos oder weil sie sich ihr kontaminiertes Fell geleckt haben. Er sagt: »Eine ausgewachsene Katze müsste etwa 200 Milligramm DDT pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen, um sich tödlich zu vergiften. Also, etwa ein Gramm insgesamt. Dass sie diese Menge über Beutetiere oder ihr Fell aufnimmt, halte ich für unwahrscheinlich.«

DDT-Einsatz in einem indischen Dorf | Von »Operation Cat Drop« gibt es keine Bilder – zumindest keine mit vertretbarem Aufwand zugängliche. In den 1950er und 1960er Jahren wurde aber in vielen Ländern großflächig DDT versprüht, um Malariamücken zu bekämpfen: mit großem Erfolg, aber auch einigen Nebenwirkungen.

Aber auf Dichtung oder Wahrheit kommt es eigentlich gar nicht so sehr an. Sondern eher auf die Kernaussage: Als Fabel über die Gedankenlosigkeit des Menschen am Ende der Nahrungskette funktioniert diese DDT-Geschichte auf jeden Fall. DDT, das seit den 1940er Jahren gegen Ackerschädlinge und Mücken im Einsatz ist, wirkt, indem es die Natriumkanäle auf den Nervenzellen von Insekten öffnet. Dadurch kommt es zur Übererregung der Nerven und die Insekten erleiden Krämpfe und sterben. Auf Säugetiere hat das Kontakt- und Fraßgift diese Wirkung nicht. Wohl aber bedenkliche Nebeneffekte, die beschrieben und erforscht wurden. Seit den 1970er Jahren ist der Einsatz von DDT deshalb in sehr vielen Ländern – unter anderen in den USA und Deutschland – verboten. Bekräftigt wurde dies durch das 2004 in Kraft getretene Stockholmer Übereinkommen über die Beschränkung von bestimmten langlebigen, organischen Schadstoffen. DDT darf demnach nur noch für das Töten von Malariamücken eingesetzt werden, und das in stark eingeschränktem Umfang, in Gebäuden beispielsweise. 2006 hat sich die WHO dafür eingesetzt, DDT in begründeten Fällen wieder zuzulassen, weil sich nach dem Verbot die Zahl der Malariakranken und -toten in vielen Entwicklungsländern deutlich erhöht hatte. Gegen diese Lockerung wiederum laufen Umweltschützer Sturm.

Wie aktuell dieses Thema noch immer ist, zeigt die heftige Diskussion um das Herbizid Glyphosat und das im Zusammenhang damit beobachtete Insektensterben, das wiederum vielerorts auch zu einem Verschwinden der Vögel geführt hat, die sich von den Insekten ernähren. Bereits die US-Biologin Rachel Carson (1907-1967) hat in ihrem 1962 erschienenen, viel beachteten Buch »Silent Spring« (Stiller Frühling) auf diese unheilvollen Auswirkungen synthetisch hergestellter Pestizide aufmerksam gemacht: Dass diese neben ihrem eigentlichen Zweck, der Schädlingsbekämpfung, auch andere nützliche Tiere töten, sich nachweisbar in der Nahrungskette anreichern, dort Schaden anrichten und das biologische Gleichgewicht zerstören.

Auch geriet Dichlordiphenyltrichlorethan, so lautet die komplizierte Langfassung des griffigen Kürzels DDT, bald in Verdacht, Krebs erregend zu sein. Studien an Kleinsäugetieren wie Ratten, Mäusen und Hamstern legen diesen Schluss nahe: Bei den Nagern bildeten sich nach Gabe von DDT Tumoren. Beim Menschen soll DDT Leberkrebs und Alzheimer begünstigen. »DDT ist zwar nicht wasserlöslich, wohl aber fettlöslich. Das bedeutet: Es kann sich über die Nahrung im Fettgewebe von Menschen und Tieren anreichern«, erläutert Jan Hengstler.

Die Suche nach einer Alternative

Für den Toxikologen ist der »Fall DDT« ein Paradebeispiel dafür, wie schwierig es mitunter ist, eine scharfe Trennlinie zwischen Wundermittel und Gefahrengut, zwischen Nutzen und Risiko zu ziehen. Er betont: »DDT hat unbestritten Millionen Menschen das Leben gerettet. Es hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, Malaria in Europa und Nordamerika auszurotten, auch gegen Typhusepidemien oder Denguefieber hat DDT geholfen. Bei der Diskussion um ein absolutes Verbot sollte man berücksichtigen, dass auch heute noch mehr als 400 000 Menschen im Jahr weltweit an Malaria sterben.« Für die Umwelt weniger problematische Insektizide seien teurer als DDT. Daher sei es in den von Malaria betroffenen armen und ärmsten Ländern in Afrika schwierig, auf DDT zu verzichten.

Durch die oft schlechte Gesundheitsversorgung in den Ländern haben zudem sehr viele Menschen keinen Zugang zu Malariamedikamenten oder Prophylaxemitteln. Dem stehen laut einem UNO-Bericht wiederum jährlich 200 000 Tote gegenüber, die an einer Vergiftung durch Pestizide sterben. Vor einigen Jahren legte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) einen Bericht vor, der zeigte, dass sich auch 20 bis 30 Jahre nach dem Verbot von DDT in Deutschland immer noch Rückstände in Muttermilch und Fettgewebe nachweisen ließen. Diese lange Halbwertzeit trug ebenfalls dazu bei, das einstige Wundermittel, als gesundheitsgefährdend einzustufen.

»Was den großflächigen Einsatz von DDT ebenfalls so gefährlich macht, ist die endokrine Wirkung, das heißt, die Beeinflussung des Hormonhaushalts durch Abbauprodukte des Pestizids, die bei bestimmten Tieren wie Greifvögeln und Alligatoren nachgewiesen werden konnte«, sagt Heike Feldhaar. Professorin für Tierökologie an der Universität Bayreuth. In Berührung mit DDT beziehungsweise mit dessen Abbauprodukt DDE (Dichlordiphenyldichlorethylen) kamen die Tiere offenbar über kontaminierte Beutetiere. Die Folgen der hormonellen Veränderungen: Greifvögel legten Eier mit deutlich dünneren Schalen. Bei männlichen Alligatoren wiederum führten sie zu einer Verweiblichung, ihr Penis verkümmerte. Die Tiere konnten keinen Nachwuchs mehr zeugen. Auch der Bestand beispielsweise des Weißkopfseeadlers ging zurück, weil die Schalen der Eier zu dünn waren, um erfolgreich den Nachwuchs darin auszubrüten.

Um der Sache auf die Spur zu kommen, wurde Bodensedimente in Gewässern untersucht und dort das DDE nachgewiesen. Es gilt als hormoneller »Störer«, der Zusammenhang war somit klar. Nachdem DDT in den USA verboten worden war, erholte sich der Seeadlerbestand erkennbar.

»Viel hilft viel – also, wird gesprüht, was das Zeug hält!«Heike Feldhaar

Wie für viele andere Pestizide gilt zwar auch für DDT, dass erst die hohe Dosis es zum gefährlichen Gift macht. Aber, so Heike Feldhaar: »Wenn einmal ein vermeintliches Wundermittel gefunden ist, scheint bei uns Menschen ein Automatismus ausgelöst zu werden, der da lautet: Viel hilft viel. Also, wird gesprüht, was das Zeug hält.« Und weil diesem Reflex offenbar nicht beizukommen ist, ist für Heike Feldhaar klar: »Es muss intensiv an umweltschonenden, pestizidfreie Alternativen etwa für die Malariabekämpfung weitergeforscht werden, die verhindern, dass auch nützliche Insekten vernichtet werden.«

DDT ins Wasser | Zum Teil wurde das Insektizid direkt ins Wasser gesprüht, um Mückenlarven zu bekämpfen – hier zum Beispiel in den USA.

An solchen Methoden der Schädlingsbekämpfung arbeiten weltweit Wissenschaftler. So auch der Insektenbiotechnologe Marc Schetelig, Forschungsgruppenleiter am Loewe-Zentrum der Universität Gießen. Viel versprechend ist die Sterile Insekten-Technik (SIT). »Im Fall der Malaria sind es nur die trächtigen Weibchen, die stechen und so den Virus übertragen, weil sie für den Nachwuchs Blutmahlzeiten brauchen. Deshalb ist es das Ziel, sterile Männchen in die Populationen einzuschleusen, die die Weibchen nicht mehr befruchten können«, erläutert Schetelig. Die Technik funktioniert bei bestimmten Fliegenarten schon sehr gut, etwa bei der Mittelmeerfruchtfliege, die Obsternten vernichtet. Erstmals wurde die SIT gegen die in Nordamerika beheimatete parasitäre Neuwelt-Schraubenwurmfliege angewandt, die dadurch in den USA praktisch ausgerottet wurde.

Die Männchen werden in Fabriken künstlich produziert. Die Tiere werden im Puppenstadium durch Gammastrahlen sterilisiert. Sie werden später im Zielgebiet freigelassen, paaren sich mit fruchtbaren Weibchen und senken die Wahrscheinlichkeit, dass Nachkommen gezeugt werden. Derzeit kämpfen die Forscher allerdings noch darum, die Methode auf andere Schadinsekten wie die Malaria- oder die Denguemücke erfolgreich zu übertragen. »Die benötigten Männchen für die Freilassung müssen wir von den Weibchen in einem frühen Stadium während der Zucht aussortieren. Leider ist dies bisher noch nicht möglich bei Moskitos, jedoch sind wir auf einem guten Weg, hier genetische Lösungen dafür zu etablieren. Dieses Vorgehen erhöht auch die Sicherheit, da keine die Krankheiten übertragenden Weibchen mit freigelassen werden.« Dann wäre ein echter Meilenstein auf dem Weg zu einer weitgehend pestizid- und damit DDT-freien Schädlingsbekämpfung erreicht. Katzen müssten dann erst recht nicht mehr abgeworfen werden.

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