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Karibu-Wanderung: Gänsemarsch in der Rentierherde

Bei den Wanderungen der großen Karibuherden herrscht eine komplexe Gruppendynamik. Sie bestimmt nicht nur, in welche Richtung es geht, sondern auch, wer mit wem wandert.
Karibu-Wanderung im Norden Kanadas

Zweimal im Jahr schließen sich die Karibus zu einer großen Herde zusammen, um ihre Wanderung zwischen dem kanadischen Festland und der Victoria-Insel anzutreten. Innerhalb dieses Karibu-Kollektivs herrscht offenbar Zucht und Ordnung. Die große Horde besteht nämlich aus kleineren Rentier-Einheiten, die sich wie Karawanen in den Fluss der großen Wanderbewegung einreihen, wie Biologen und Biomathematiker aus den USA und Schottland nun herausfanden. Wer führt und wer wem folgt, hängt dabei offenbar von der sozialen Reputation der einzelnen Tiere ab. Die ist abhängig von Alter und Geschlecht, meinen Andrew Berdahl, Leiter des Forschungsteams vom Santa Fe Institute in New Mexico, und seine Kollegen. Diese gruppendynamischen Entwicklungen konnten durch den Einsatz von Drohnen nun erstmals genauer beobachtet werden. Die Strukturen der sozialen Interaktionen innerhalb der Herde beschreiben die Forscher durch mathematische Modelle.

Durch die Luftüberwachung war es möglich, die Bewegungen von zwei verschiedenen Karibuarten auf ihren großen Wanderungen zu dokumentieren. Wie das Team im Fachmagazin »Philosophical Transactions of the Royal Society B« berichten, orientieren sich die Tiere dabei keinesfalls gleichgerichtet an ihren Nachbarn, sondern lassen sich von einigen Wandergefährten stärker in bestimmte Richtungen leiten als von anderen. Jene Tiere, die es an die Spitze der Karibu-Trupps schaffen, übernehmen automatisch die Führungsverantwortung – der Rest folgt quasi im Gänsemarsch. Dies führt dann zu den einzelnen Rentierzügen, die in der Vogelperspektive an Ameisen erinnern, wie im Video zu sehen ist. Nur Kälbchen und Jungbullen reihen sich nicht in diesen Gleichschritt ein, so Berdahl. Die Rentierkinder sind noch sehr anhänglich und laufen dicht neben ihren Müttern, wohingegen die erwachsenen Bullen lieber ihr eigenes Ding machen und sich fernab des »Mainstreams« aufhalten.

© Andrew Berdahl, Santa Fee Institute/Jeff Turner, River Road Films Ltd.
Karibu-Wanderung in Nordkanada
Drohnenaufnahmen mit freundlicher Genehmigung von Andrew Berdahl et al. Kameraaufnahmen mit freundlicher Genehmigung von Jeff Turner, River Road Films, Ltd. herausgegeben von Nate Kitchens für das Santa Fe Institute.

Sind die Rentiere an ihren Zielorten angelangt, löst sich die Großherde auf, und die Tiere verteilen sich in kleineren Gruppenverbänden über das Land. Nach wie vor rätseln die Wissenschaftler, ob diese Kleingruppen mit den einzelnen Rentierkarawanen bei den großen Migrationen korrelieren. Vielleicht könnten die neuen Beobachtungsmethoden und die mathematischen Modelle in Zukunft dabei helfen, diese saisonalen Prozesse der Auflösung und des Wiederzusammenschließens genauer zu untersuchen. Vor allem möchten die Forscher durch Langzeitstudien auch Veränderungen der sozialen Reputation der Tiere über ihre gesamten Lebensphasen hinweg erkunden. Denn hiervon könnte abhängen, welche Tiere die Führungspositionen bei ihren großen Wanderungen übernehmen, mutmaßt die Arbeitsgruppe.

Bisherige Studien untersuchten nur die Bewegung der gesamten Herde. Durch die Betrachtung der einzelnen Herdenteilnehmer wird nun erstmals die große Rolle der Gruppendynamik für die kollektive Entscheidungsfindung bei den Wanderungen erkennbar. Ihre Vorgehensweise könnte daher auch bei der Erforschung anderer umherziehender Tierarten behilflich sein, meinen die Wissenschaftler.

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