Gammastrahlen aus dem Zentrum der Milchstraße: Erneut ein Hinweis auf Dunkle Materie?

Dunkle Materie kann man nicht sehen oder etwa doch? Mit dem NASA-Gammastrahlenteleskop Fermi hat der japanische Wissenschaftler Tomonori Totani von der Universität Tokio einen Überschuss bei einer Energie von etwa 20 Gigaelektronenvolt beobachtet. Die Strahlung stammt aus dem Zentrum unserer Heimatgalaxis. Er interpretiert diesen Exzess so, dass Dunkle-Materie-Teilchen sich gegenseitig vor Ort vernichtet und über Zwischenprodukte letztlich in diese energiereiche Strahlungsform umgewandelt haben. Die Forschungsarbeit wurde im »Journal of Cosmology and Astroparticle Physics« veröffentlicht.
Die Dunkle Materie gehört neben der Dunklen Energie zu den mysteriösen Komponenten des Universums. Beide beeinflussen entscheidend die Struktur und das Schicksal des Kosmos. Beide sind nach wie vor physikalisch nicht verstanden. Klar ist nur, dass mehrere astronomische Beobachtungen, die unabhängig voneinander sind, für Dunkle Materie und Dunkle Energie sprechen. Sie sind wichtige Bestandteile des Standardmodells der Kosmologie. Alternative Modelle, ohne die dunklen Komponenten auszukommen, überzeugen die Fachwelt bislang nicht.
Mysteriöse WIMPs
Eine weitverbreitete und favorisierte Vermutung besteht darin, dass hinter der Dunklen Materie ein neues, bislang nicht direkt nachgewiesenes Elementarteilchen stecken könnte, vielleicht sogar mehrere. Eine Form dieser Dunkle-Materie-Teilchen wird als WIMP bezeichnet. Das Akronym steht für ein massereiches, schwach wechselwirkendes Teilchen (englisch: weakly interacting massive particle). Schwach wechselwirkend bedeutet, dass das Teilchen zum einen nur die schwache Kraft spürt. Sie ist nach dem Standardmodell der Teilchenphysik eine von vier Fundamentalkräften in der Natur und unter anderem verantwortlich für bestimmte radioaktive Zerfälle. Massereich bedeutet in dem Zusammenhang, dass die WIMPs eine viel größere Masse als das Proton haben, vielleicht mehr als das Hundertfache. Sie spüren daher zum anderen auch die Schwerkraft. WIMPs nehmen jedoch nicht an der starken und der elektromagnetischen Wechselwirkung teil. Letzteres ist der Grund dafür, dass sie unsichtbar sind: Dunkle Materie absorbiert, reflektiert oder emittiert kein Licht.
Auf der Jagd nach Dunkler Materie
Seit vielen Jahrzehnten, nachdem Fritz Zwicky die Dunkle Materie in den 1930er-Jahren postuliert hatte, jagt man der Dunklen Materie hinterher. Es gibt zahlreiche Experimente in, auf und insbesondere unter der Erde, um Dunkle-Materie-Teilchen direkt nachzuweisen. Ein Indiz: Sie könnten sich dadurch verraten, dass sich die Teilchen der Dunklen Materie gegenseitig vernichten und eine eindeutige Strahlungssignatur produzieren. Hier setzt die Analyse des japanischen Astronomen Tomonori Totani an. Er nutzte dafür Beobachtungsdaten des Weltraumteleskops Fermi der NASA, das Gammastrahlen detektieren kann.
Gammastrahlen gehören zu den energiereichsten elektromagnetischen Wellen. Sie besitzen noch mehr Energie als Röntgenstrahlen und sind bekannt aus einer speziellen Form von Radioaktivität, dem Gammazerfall. Totani nutzte Fermi-Daten vom Zentrum der Milchstraße. Von dort kommt recht viel Gammastrahlung, die als diffuser Halo um das Galaxienzentrum erscheint.
Vernichtete Teilchen?
Materie kann sich in elektromagnetische Strahlung umwandeln, wenn ein Teilchen auf sein Antiteilchen trifft. Dieser Vorgang wird als Paarvernichtung, Zerstrahlung oder Annihilation bezeichnet. Das bekannteste Beispiel, das auch in Experimenten bestätigt werden konnte, ist die Zerstrahlung eines elektrisch negativ geladenen Elektrons mit einem elektrisch positiv geladenen Positron. Ihre Ruhemassen wandeln sich gemäß Einsteins berühmter Formel E = mc2 in elektromagnetische Wellen um. Es sind Gammastrahlen der Energie 511 Kiloelektronenvolt. Die Vernichtungsstrahlung von Elektron-Positron-Paaren wurde in Gammaspektren überzeugend nachgewiesen.
In der Astronomie wird die Strahlung in ein Spektrum zerlegt, sodass zu jedem Energiebereich der Gammastrahlung eine Helligkeit oder Intensität gemessen wird. Dieser Verlauf wird physikalisch modelliert und erlaubt für den Fall, dass die Beobachtungsdaten reproduziert werden können, Rückschlüsse darauf, was in der Quelle vor sich geht.
Totani ist so vorgegangen, dass er die Fermi-Daten mit Modellen anpasste. Im Gammaspektrum, das mit Fermi in einem Bereich der Strahlungsenergie von 1 bis 1000 Milliarden Elekronenvolt (Gigaelektronenvolt, kurz GeV) als schwarze Messpunkte aufgezeichnet wurde, zeigt sich im grundsätzlichen Verlauf ein Maximum höchster Intensität bei rund 20 GeV. Die farbigen Linien stehen für verschiedene Modelle, um die Form des Spektrums zu erklären. Eine These: Die WIMPs vernichten sich gegenseitig und liefern die Energie für ein Paar aus einem Bottom-Quark (b) und einem Antibottom-Quark (rote durchgezogene Linie im Diagramm). Alternativ kann die Ruheenergie der Dunkle-Materie-Teilchen in ein Paar umgewandelt werden, das aus einem W+- und W–-Boson besteht (blaue gestrichelte Linie). In einem dritten Modell wandelt sich die Ruheenergie in ein Paar von Tau-Teilchen um (grüne gestrichelt-gepunktete Linie). Diese Teilchen sind schwere Geschwisterteilchen von Elektron und Positron. Anhand des Kurvenverlaufs sind sie klar auszuschließen. Alle genannten Teilchen – Bottom-Quarks, W-Bosonen und Tau-Teilchen – sind im Standardmodell der Teilchenphysik etabliert und experimentell verifiziert worden. Sie fungieren hier als Zwischenprodukte, die aus vernichteten WIMPs hervorgehen sollen und dann selbst rasch in Gammastrahlen zerfallen.
Das mit Fermi beobachtete Spektrum passt bestens zum Verlauf der roten Modellkurve. Hier wurde eine Ruhemasse mχ von 0,51 Teraelektronenvolt (TeV) für das Dunkle-Materie-Teilchen angenommen, was 510 GeV entspricht. Damit wäre das WIMP ungefähr 510-fach so massereich wie ein Proton. Totani gibt an, dass die WIMP-Masse aufgrund der Unsicherheiten bis zu 800 GeV betragen könnte.
In der Vergangenheit wurden immer wieder vermeintliche Entdeckungen von derartigen Dunkle-Materie-Teilchen veröffentlicht, die sich im Nachhinein als unhaltbar erwiesen haben. Strahlt da eventuell ein bislang unverstandener physikalischer Prozess, der mit Dunkler Materie nichts zu tun hat? Oder spielt uns der Detektor einen Streich und produziert vermeintliche Messdaten, die auf einem systematischen Fehler beruhen? All das ist schon vorgekommen. Aber die wissenschaftliche Methode ist robust: Fehler werden früher oder später entlarvt. Die Schwarmintelligenz der Forscherinnen und Forscher wird auch diesmal offenbaren, ob wirklich Dunkle Materie hinter diesen Fermi-Beobachtungen steckt. Es würde in einem nächsten Schritt helfen, den Exzess in weiteren Gammastrahlenbeobachtungen zu bestätigen, zum Beispiel anhand von Zwerggalaxien. Hier werden ebenfalls Vorkommen von Dunkler Materie vermutet.
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