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News: Gang ins Wasser ohne Wiederkehr

Warum werden Wale nicht seekrank? Weil ihr Gleichgewichtsorgan im Innenohr so klein und unempfindlich ist, dass sich die Tiere durch Dreh- und Schaukelbewegungen nicht so leicht aus der Ruhe bringen lassen. An Land wäre ein derartig unsensibler Gleichgewichtssinn fatal. Doch bereits die ersten Wale vor 45 Millionen Jahre zeigten diese Anpassung an den neuen Lebensraum. Der Gang ins Wasser war demnach unwiderruflich.
Irgendwann vor 40 bis 50 Millionen Jahren suchten einige Huftiere ihr Glück im Wasser und entwickelten sich zu den heutigen Walen. Was so einfach klingt, beinhaltet jedoch drastische Veränderungen im Körperbau, um sich an einen völlig neuen Lebensraum anzupassen. Fand dieser Umbau nach und nach über viele Generationen statt, oder gelang den Tieren dieser Übergang verhältnismäßig schnell?

Die Vorfahren der Wale, als Fossilien überliefert, können diese Frage beantworten. Und die bisher gemachten Funde deuten auf einen eher gemächlicheren Übergang von Land zu Wasser: Einige der frühen Wale trieben sich zwar schon im Wasser herum, besaßen aber noch gut entwickelte Extremitäten. Die Paläontologen schließen daraus, dass diesen Tieren eine Rückkehr an Land immer noch möglich war.

Falsch, sagt Fred Spoor vom University College London. Er interessierte sich weniger für die Überreste von Extremitätengürteln, sondern betrachtete ein kleines, aber wichtiges Organ: das Innenohr. Hier sitzt bei Walen – wie bei allen Säugetieren – der Gleichgewichtssinn. Drei, jeweils senkrecht aufeinander stehende Bogengänge sind mit Flüssigkeit gefüllt und nehmen über die Trägheit dieser Flüssigkeit Drehbeschleunigungen des Kopfes war. Unangenehm bewusst wird uns dieses Organ, wenn seine Informationen denen vom Auge widersprechen: So sieht die Umgebung im Innern eines schwankenden Schiffes durchaus ruhig aus. Das Innenohr meldet jedoch etwas ganz anderes – ein Konflikt, der mitunter auf den Magen schlägt.

Spoor und seine Kollegen verglichen nun die Strukturen des Innenohrs von 24 rezenten Walarten mit denen von 106 anderen Säugerspezies. Die Organe sind grundsätzlich ähnlich gebaut, auffällig ist jedoch, wie klein die Bogengänge bei Walen sind. Normalerweise verfügen große Tiere auch über entsprechend große Bogengänge, doch selbst bei einem Blauwal, dem größten Säugetier der Erde, sind sie kleiner als beim Menschen. Und das Innenohr eines Delfins kann nur mit dem einer Ratte mithalten.

Warum diese Bescheidenheit? Die Wissenschaftler sehen hier eine Anpassung der Wale an ihren Lebensraum: Das Gleichgewichtsorgan der Tiere reagiert weniger empfindlich auf plötzlich auftretende Drehbewegungen, denen die Tiere in ihrem Milieu häufiger ausgesetzt sind. Mit anderen Worten: Wale werden nicht seekrank.

Im nächsten Schritt griffen sich die Forscher vier verschiedene Vorfahren der Wale heraus – und machten dabei eine interessante Entdeckung: Die älteste Gattung Ichthyolestes – ein etwa fuchsgroßes Wesen, das vor 50 Millionen Jahre im heutigen Pakistan an Land lebte – hat noch Bogengänge, die denen von gleich großen Paarhufern ähneln. Doch bei den nur wenig jüngeren Gattungen Remingtonocetus, Indocetus und Dorudon sind die Bogengänge bereits so klein wie bei den heutigen Walen.

Die Verkleinerung des Innenohrs fand demnach innerhalb von nur fünf Millionen Jahren statt; die Tiere haben sich also sehr schnell an ihren neuen Lebensraum angepasst. An Land lässt es sich jedoch mit einem unempfindlichen Gleichgewichtssinn nur schlecht überleben. Eine Rückkehr war demnach verbaut.

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