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News: Ganz die Mutter

Wie unterscheiden sich Freund und Feind? Wie erkennt man die eigene Mutter? Zu wem gehört wohl dieses Kind? Menschen verlassen sich bei der Lösung solcher Fragen überwiegend auf das, was sie sehen, andere Arten nutzen häufig andere Sinne. Auch Schimpansen orientieren sich offensichtlich vor allem am Äußeren. Sie sind in der Lage, auf digitalisierten Bildern Verwandte zu erkennen. Erstaunlicherweise zeigen sie dabei jedoch kein Auge für Töchter.
Das Wiedererkennen von Individuen ist eine wichtige Voraussetzung für die Ausbildung von komplexen Lebensgemeinschaften mit persönlichen Beziehungen, gesellschaftlichen Strukturen und genau geregelten Machtverhältnissen. Ob dabei das Aussehen, der Geruch oder sonstige Kennzeichen entscheidend sind, ist von Art zu Art verschieden. Menschen sind "Augentiere", sie entscheiden vor allem nach dem Äußeren. Doch jeder weiß, wie schwierig es ist, Ähnlichkeiten zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern festzustellen. Schimpansen sind da deutlich treffsicherer. Wie Frans der Waal und Lisa Parr vom Yerkes Regional Primate Research Center der Emory University herausgefunden haben, sind die Tiere in der Lage, Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Müttern und ihren Kindern zu erkennen (Nature vom 17. Juni 1999).

Ihr Versuch mit fünf Schimpansen brachte verblüffende Ergebnisse. Den Tieren wurde ein digitalisiertes Bild von einem ihnen unbekannten Artgenossen gezeigt. Sie sollten dann mit Hilfe eines Joysticks aus zwei weiteren Bildern das Gesicht auswählen, das die größere Ähnlichkeit aufwies. Dabei handelte es sich entweder um dasselbe Individuum, einen Sohn, eine Tochter oder – zur Kontrolle – um ein nicht verwandtes Tier. In ungefähr achtzig Prozent der Fälle ordneten die fünf Schimpansen dasselbe Gesicht richtig zu, und sogar den Sohn erkannten sie noch in circa siebzig Prozent der Fälle. Töchter jedoch waren für sie wie fremde Wesen – sie wurden höchstens durch Zufall mal richtig ausgewählt.

Bisher war man davon ausgegangen, daß Schimpansen die Familienbande während ihrer Kindheit in der Gruppe lernen, indem sie den Umgang von Verwandten untereinander mitverfolgen. Dieser Versuch gibt jedoch Hinweise darauf, daß die Tiere anhand der Gesichter Verwandte zuordnen können. "Sie haben enge Beziehungen bei Tieren erkannt, die sie noch nicht einmal kennen", sagt Parr.

Diese Fähigkeit könnte den Schimpansen helfen, das Verhalten von Artgenossen und auch die Struktur in einer fremden Gruppe schneller zu erfassen. Besonders weibliche Tiere wechseln in der Pubertät in benachbarte Gruppen, um eine Paarung mit den männlichen Verwandten, die in der angestammten Gruppe bleiben, zu vermeiden. Das Wiedererkennen von ausgewachsenen Söhnen würde auch zurückkehrende Weibchen davor schützen, Nachkommen mit ihren Halbbrüdern zu haben, denn Inzest würde auf Dauer zu genetischen Defekten und Degeneration führen.

Warum allerdings nur die Söhne erkannt werden, nicht aber die Töchter, ist für die Forscher ein Rätsel.

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