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Infektionskrankheiten: Ganz mein Typ

Der reizende Magen-Untermieter Helicobacter pylori hat im Laufe seiner Evolution viele verschiedene Wege eingeschlagen. Richtungsweisend waren dabei offenbar Zucker aus dem Blutgruppensystem.
Die halbe Welt leidet unter einem winzigen ungebetenen Gast, der es sich in der Magenschleimhaut gemütlich einrichtet und gelegentlich schmerzhaft seine Anwesenheit verkündet. In den meisten Fällen verhält sich der Eindringling eher still, doch kann Helicobacter pylori neben einer Gastritis durchaus auch schlimmere Folgen bis hin zu Krebs nach sich ziehen. Dabei erweist sich der Keim als ausgesprochen flexibel, wodurch sich aber auch sein Eroberungszug quer durch die Kontinente anhand genetischer Analysen lokaler Varianten bestens nachvollziehen lässt.

Auf der Suche nach einer Schwachstelle des Erregers, die sich vielleicht für eine vorbeugende Impfung ausnutzen ließe – oder für erschwingliche Medikamente, die auch in ärmeren Ländern endlich eine adäquate Behandlung ermöglichen würden –, haben sich Marina Aspholm-Hurtig von der Universität Umeå und ihre Kollegen das anhängliche Verhalten des Bakteriums genauer angesehen. Denn einen Punkt im Leben von Helicobacter gibt es, an dem es vielleicht zu fassen wäre: Es muss an der Mageninnenwand binden, um an Nährstoffe zu kommen.

Und dabei stellten die Forscher etwas Überraschendes fest: Südamerika ist offenbar ein Land für Helicobacter-Spezialisten, während der Rest der Welt sich eher mit Generalisten herumschlägt – zumindest was ein Adhäsin, also ein bestimmtes Anheftungsmolekül, betrifft, mit dem sich der Magen-Untermieter festklammert.

Dieses Adhäsin, BabA, bindet ausgerechnet an jene Zuckermoleküle, welche auch die Blutgruppe eines Individuums bestimmen. Als die Wissenschaftler nun 373 Helicobacter-Stämme aus allen Ecken der Welt untersuchten, fanden sie sehr unterschiedlich innige Bindungen zwischen dem Klammermolekül und den drei molekularen Stellvertretern für die Blutgruppen A, B und 0. Auffällig war dabei besonders, dass sich 95 Prozent der Bakterien aus aller Welt mit Ausnahme von Südamerika mehr oder weniger gleich freudig an die drei Rezeptor-Typen schmiegten – während die eingeführten Latino-Varianten sich zu 62 Prozent fast nur mit dem 0-Rezeptor anfreundeten, kaum jedoch mit den anderen.

Wie kommt's? Auf der ganzen Welt – eben mit Ausnahme Südamerikas – zeigt die Bevölkerung ein buntes Gemisch der verschiedenen Blutgruppen. Helicobacter weiß daher nicht, was ihn im nächsten Wirt erwartet – Flexibilität ist also gefragt. Die Bevölkerung des südamerikanischen Kontinents jedoch weist überwiegend Blutgruppe 0 und damit eine entsprechend beschränkte Auswahl an Bindungspartnern auf. Warum also sollten die dortigen Bakterien eine Vielfalt an Adhäsin-Bauanleitungen im Genpool erhalten, wenn sie diese doch nicht benötigen? Die anderen beiden Varianten, so spekulieren Aspholm-Hurtig und ihre Mitarbeiter, dürften daher mangels Bedarf schlicht verloren gegangen sein.

Als sich die Wissenschaftler das Genom der verschiedenen Stämme genauer ansahen, entdeckten sie bei den südamerikanischen Vertretern außerdem eine enge Verwandtschaft zu spanischen Genossen – nicht jedoch zu den asiatischen Varianten. Offensichtlich habe sich also die Spezialisierung innerhalb der letzten fünfhundert Jahre erst entwickelt – durchaus rasant, auch für die Evolution eines Bakteriums und Krankheitskeims, der sich angesichts der körperlichen Gegenwehr seitens des Wirts ständig wandeln muss.

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