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News: Ganz normale Extremisten

Sie gelten als die Extremisten des Lebens: die Archaea. Diese Bakterien sind bekannt für ihre Vorliebe für ungemütliche Standorte wie heiße Quellen, Salzlaken oder Säuren. Doch so extrem muss es gar nicht sein. Amerikanische Meeresbiologen entdeckten, dass Archaea massenhaft das freie Wasser der Ozeane besiedeln und damit wahrscheinlich eine bedeutende ökologische Rolle in diesem Lebensraum spielen.
Bei Carl von Linné war alles noch ganz einfach. Es gab zwei Reiche des Lebens: Pflanzen und Tiere. Dann gesellten sich die Mikroorganismen dazu, und die Lebewelt teilte sich in Organismen ohne echten Zellkern – die Prokaryoten, also die Bakterien – und solche mit Zellkern – die Eukaryoten, also die Pflanzen und Tieren. Doch auch dabei blieb es nicht. Mikrobiologen entdeckten immer mehr Bakterien, die energisch Widerstand leisteten, sich in das Reich der "normalen" Prokaryoten eingliedern zu lassen, weil sie sich hinsichtlich ihres Lebensraumes, ihres Stoffwechsels und ihrer Genetik ganz anders verhielten. Ihre Vorlieben für Hitze, Salz oder Säure deutet auf einen sehr frühen Ursprung während der Entwicklung des Lebens hin. Man nennt sie daher Archaea und setzt sie so von den "echten" Bacteria ab. Dabei scheinen die Archaea mit den Eukaryoten enger verwandt zu sein als mit den Bacteria.

Nicht nur in ihrem Standort, sondern auch unter Ökologen fristeten die Archaea bisher ein Nischendasein. Sie waren interessant für ihre Anpassungen an Extrembiotope, eine weite Verbreitung wurde ausgeschlossen. Jetzt haben drei Biologen den größten zusammenhängenden Lebensraum der Erde unter die Lupe genommen: das freie Wasser des Meeres. Bis zu einer Tiefe von 4750 Meter durchforsteten Markus Karner und David Karl von der University of Hawaii sowie Edward DeLong vom Monterey Bay Aquarium Research Institute die Wassersäule im Nordpazifik. Mit ribosomaler RNA als Marker konnten sie ihre Proben den Bacteria sowie den Untergruppen der Archaea – Euryarchaeota und Crenarchaeota – zuordnen.

Zu ihrer Überraschung fanden sie einen erstaunlich hohen Anteil an Archaea im Freiwasser. Nach ihren Hochrechnungen leben im Ozean schätzungsweise 3,1 x 1028 Bakterienzellen zusammen mit 1,3 x 1028 Archaea, wobei der größte Anteil zu den Crenarchaeota gehört.

Die merkwürdigen Extremisten verlassen damit ihr Nischendasein. "Als eine dominante Komponente des Ozeans sind Archaea weit davon entfernt, sich nur auf extreme Nischenhabitate zu beschränken", betonen die Forscher. "Vielmehr lässt die Verteilung der Archaea darauf schließen, dass sie sich aufgrund einer allgemeinen Anpassungstrategie nahezu über die gesamte Wassersäule ausbreiten konnten." Ihre Entdeckung zeigt, so David Karl, "unsere grundsätzliche Unkenntnis über den Planeten, auf dem wir leben."

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  • Quellen
National Science Foundation
Nature 409 (6819): 507–510

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