Gaskraftwerke: Was heißt hier H2-ready?

In einem waren sich Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche und ihr Vorgänger Robert Habeck einig: Damit die Energiewende gelingt, braucht Deutschland neue Gaskraftwerke. Sie sollen dann Strom erzeugen, wenn weder genügend Wind weht noch die Sonne scheint. Die mehrtägige Dunkelflaute – das Schreckgespenst der klimaneutralen Energieversorgung – soll so ihren Schrecken verlieren. Habeck hat der EU-Kommission die Zusage zum Bau von Kraftwerken mit insgesamt 12,5 Gigawatt abringen können, und mehr als jedes dritte davon sollte von Beginn an mit Wasserstoff anstelle von Erdgas laufen. Seine Nachfolgerin Reiche machte das Fass dann erneut auf: Sie spricht von 20 Gigawatt neuer Kraftwerksleistung – die EU-Kommission dürfte auch dieses Ziel nach unten korrigieren –, aber nicht mehr von Wasserstoff. Stattdessen soll das CO2 aus den neuen Erdgaskraftwerken abgeschieden und unterirdisch verpresst werden. Wann – und ob – die Gaskraftwerke künftig auf den Betrieb mit Wasserstoff umgestellt werden, darüber schweigt sich der Koalitionsvertrag der Regierung aus.
Allerdings fehlen heute noch die nötige Technik und Erfahrung mit großen wasserstoffgängigen Kraftwerken. Kein Wunder: »Schon der Versuch, ein großes Kraftwerk über ein paar Stunden mit Wasserstoff zu betreiben, würde die ganze bisherige Produktionskapazität an Wasserstoff eines Landes aufbrauchen«, sagt Friedrich Dinkelacker von der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover gegenüber dem Science Media Center (SMC). »Die Versuche sind somit bisher nur sehr eingeschränkt möglich und teuer.«
Einige Firmen wie Siemens, Ansaldo Energia, GE Vernova oder Mitsubishi Power bieten immerhin neuerdings Anlagen an, die »H2-ready« sind. Sie arbeiten mit Gemischen aus Erdgas und Wasserstoff, nicht mit reinem Wasserstoff. Im besten Fall kommen sie mit Wasserstoffanteilen von bis zu 70 Prozent zurecht, doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Ein solches Kraftwerk stößt trotzdem nur 40 Prozent weniger CO2 aus, als wenn es reines Erdgas verbrennen würde. Das liegt daran, dass das Gasgemisch in Volumen gemessen wird und Wasserstoff bei gleichem Volumen nur ein Drittel der Energie von Erdgas enthält. »Um die CO2-Emissionen von Gaskraftwerken um 70 Prozent oder mehr zu verringern, wäre ein Volumenanteil von mehr als 90 Prozent Wasserstoff nötig«, sagt Nicolas Noiray von der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich gegenüber dem SMC. »Es ist nicht einfach, eine Turbine zu designen, die sowohl reines Erdgas als auch reinen Wasserstoff verbrennen kann.« In Wissenschaft und Industrie werde deswegen viel daran geforscht, auch solche Gasgemische zu verbrennen, die zu noch größeren Teilen oder vollständig aus Wasserstoff bestehen.
Schwierig ist besonders, dass Erdgas und Wasserstoff so unterschiedlich verbrennen, denn Wasserstoff ist viel explosiver. Er braucht nur ein Zehntel der Energie von Erdgas, um zu zünden, er verbrennt dann aber zehnmal so schnell und bei höheren Temperaturen. Konventionelle Erdgaskraftwerke halten das nicht aus. Stattdessen braucht es spezielle Brennstoffzufuhren, Rohrleitungen und Sicherheitstechnik, die dem explosiven Brennstoff standhalten und die Wasserstoffflamme beim Verbrennen stabil halten. Und auch abgasseitig lauern neue Herausforderungen: Wasserstoff stößt bei der Verbrennung zwar weder CO2 noch Rußpartikel oder unverbrannte Kohlenwasserstoffe aus, dafür – aufgrund der hohen Brenntemperaturen – mehr Stickoxide. Im Design des Brenners, in der Gasturbinensteuerung sowie in der Abgasreinigung muss das entsprechend berücksichtigt werden, um die Emissionen möglichst gering zu halten. Dazu kommen höhere Anforderungen an die Kühlung und die Überwachung des Verbrennungsprozesses.
Das Ganze macht das Verbrennen von Wasserstoff zu einem teuren Unterfangen. Ein solches Kraftwerk zu errichten, ist etwa 10 bis 30 Prozent teurer als ein Erdgaskraftwerk, sagt Christian Matthes vom Öko-Institut. Zudem ist der Wirkungsgrad um ein Fünftel geringer, wodurch die Betriebskosten höher ausfallen. Der eigentliche Kostentreiber ist jedoch der Brennstoff selbst: »Derzeit wird grüner Wasserstoff in Nordwesteuropa für 225 bis 300 Euro pro Megawattstunde Heizwert angeboten, der Erdgaspreis liegt derzeit bei 35 Euro.« Und Matthes rechnet nicht damit, dass der Preis langfristig unter 75 bis 90 Euro sinkt. Doch immerhin käme man etwas günstiger weg, wenn Erdgaskraftwerke von vornherein auf Wasserstoffbetrieb vorbereitet würden. Die fällige Umrüstung würde dann immerhin nur noch mit zehn Prozent der Investitionskosten zu Buche schlagen.
Noch günstiger ginge es möglicherweise, wenn man davon absieht, Gas mithilfe von Turbinen in Strom umzuwandeln. »Jüngere Studien zeigen, dass stattdessen Gasmotorkraftwerke als Reserve volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich sinnvoller, also billiger sein werden«, sagt Friedrich Dinkelacker von der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Kraftwerke aus Gasmotoren, die – eine Nummer kleiner – zunehmend auch in Lkw zum Einsatz kommen, wären mit 10 bis 20 Megawatt zwar vergleichsweise klein, sie seien aber effizienter, da sie ständig unter Volllast laufen könnten. Bei Bedarf würden einzelne Motoren einfach an- oder abgeschaltet, was innerhalb von fünf Minuten gelänge – und damit deutlich schneller als bei Gasturbinen, die für den Hochlauf mindestens eine halbe Stunde benötigen, teilweise auch deutlich länger. Zudem brauche es für ihre Bedienung kein Fachpersonal. Wie bei den Turbinen fehle es bei den Gasmotoren noch an Erfahrung beim Betrieb mit reinem Wasserstoff. »Im Prinzip geht es, aber wichtige Fragen wie Dauerhaltbarkeit der Komponenten und Sicherheit sind noch nicht im Langzeitbetrieb erprobt.«
Umrüstung, H2-ready-Gasturbinen und -Gasmotoren – das alles wäre im Grunde gar nicht erforderlich. Das sagt jedenfalls Michael Sterner von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Man müsste nur den Wasserstoff über Biogasanlagen oder andere CO2-Quellen in erneuerbares Gas – Methan – umwandeln. Man nennt diesen Ansatz Power-to-Gas. »Dieses Methan kann in den bestehenden Gaskraftwerken, Speichern, Leitungen und allen anderen Anwendungen eins zu eins genutzt werden – ohne milliardenschwere Umstellungen.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.