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Evolution: Ein gebärfreudiges Becken hat auch Nachteile

Frauen mit breitem Geburtskanal entbinden leichter und bekommen Kinder mit größerem Kopf. Doch ein schmales Becken hat ebenfalls mehrere Vorteile. Das »Geburtsdilemma« erscheint nach Analyse genetischer, anatomischer und gesundheitlicher Daten in neuem Licht.
Eine Person in einem blauen Kleid steht aufrecht, während eine Hand in einem blauen Handschuh auf ein Röntgenbild des Beckens zeigt, das über dem Bauchbereich der Person platziert ist.
Die KI-unterstützte Auswertung der Röntgenaufnahmen von mehr als 30 000 Menschen erfasste sieben Beckenmaße. Die Proportionen sind stark erblich.

Schon seit den 1960er Jahren spekulieren Wissenschaftler über das so genannte »Geburtsdilemma«: Für die Entwicklung des aufrechten Gangs unserer Vorfahren sei ein schmäleres Becken notwendig gewesen. Allerdings wurde dadurch der Geburtskanal enger, was jedoch später in der Evolution die Entbindung von Babys mit immer voluminöserem Gehirn (und folglich größerem Kopf) gefährlich erschwerte. Als Kompromiss werde demnach der menschliche Nachwuchs verfrüht und unausgereift geboren, damit er bei der Geburt nicht stecken bleibe. Ein US-amerikanisches Forschungsteam hat die Hypothese nun durch eine umfangreiche Analyse auf den Prüfstand gestellt: Bei einer Stichprobe von mehr als 31 000 Individuen setzte es Beckenanatomie, genetische Profile, Geburtsverläufe, Kopfgrößen und weitere Gesundheitsdaten zueinander in Beziehung. Ein breiterer Geburtskanal (das »gebärfreudige Becken«) ging zwar tatsächlich mit weniger Komplikationen bei der Entbindung und höherem Geburtsgewicht des Babys sowie weniger Rückenschmerzen einher. Dafür hatten Frauen mit engerem Geburtskanal beispielsweise weniger Beckenbodenprobleme.

Die Arbeitsgruppe extrahierte mit Hilfe eines Deep-Learning-Modells aus den Röntgenscans von 31 115 Personen sieben verschiedene Beckenmaße und verknüpfte diese durch Erbgutanalysen mit Variationen an 180 Genorten. Demnach sind die Beckenverhältnisse hochgradig erblich. Zudem hing die genetische Veranlagung für ein weiteres Becken statistisch mit einem größeren Kopfumfang des Neugeborenen zusammen. Breitere Geburtskanäle könnten in der späteren Stammesgeschichte der Menschen eine evolutionäre Anpassung an das Gebären von Kindern mit zunehmend voluminöserem Gehirn gewesen sein, so die Vermutung.

Die Daten bestätigten, dass engere Geburtskanäle mit mehr Geburtsstillständen und notfallmäßigen Kaiserschnitten einhergehen. Andererseits litten Frauen mit weitem Becken öfter unter Hüftarthrose sowie unter Inkontinenz und Gebärmuttervorfällen. So erleichtert das schmälere Becken nicht nur mutmaßlich die Fortbewegung auf zwei Beinen, sondern bringt auch gesundheitliche Vorteile für den weiblichen Fortpflanzungstrakt mit sich. Dagegen ergaben sich in der Studie keine Hinweise auf eine verkürzte Schwangerschaft bei engem Geburtskanal. Das spricht laut den Studienautoren eher gegen die Hypothese, der zufolge die Geburt der Menschenkinder im Zuge der Evolution zunehmend früher stattfand, weil dadurch weniger Komplikationen auftreten.

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  • Quellen
Science, 10.1126/science.adq1521, 2025

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