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News: Gedächtnis-Entstehung erstmals 'fotografiert'

Schweizer Wissenschafter haben sich erstmals per Elektronenmikroskop von den Veränderungen an Nervenzellen im Gehirn, die für die Anlage des Langzeit-Gedächtnisses verantwortlich sind, im wahrsten Sinne des Wortes 'ein Bild machen' können. Die Forscher konnten an Gehirngewebe von Ratten belegen, daß das Langzeit-Gedächtnis auf der Bildung von zusätzlichen Bindungsstellen (Synapsen) zwischen Neuronen (Nervenzellen) beruht. Diese Arbeiten liefen im Rahmen des internationalen Human Frontier Science Program, das 1989 von den G7-Staaten ins Leben gerufen wurde.
"Seit Mitte der achtziger Jahre weiß man, daß das Gehirn junger Ratten, die ständig in einer sie stimulierenden Umgebung gehalten werden, ein viel komplexeres Netzwerk an Nervenzellen im Gehirn haben als Ratten aus einer reizarmen Umgebung. Bisher konnte man aber die Effekte dieser Stimulation auf zwei Neuronen noch niemals sichtbar machen", wird in einer Aussendung des Teams um Dominique Muller vom Institut für Neuropharmakologie der Universität Genf mitgeteilt.

Die Neurobiologen sprechen bei der Entstehung des Langzeit-Gedächtnisses von der sogenannten Long Term Potentiation (Langzeitpotenzierung, LTP). Das bedeutet, daß es im Gehirn zu echten substanziellen Veränderungen kommt, die bei ähnlichen Reizen wie in der Vergangenheit zu einem intensiveren Erinnerungsvermögen führen. Das bedeutet beispielsweise beim Menschen, daß jeder der im Gehirn vorhandenen rund 100 Milliarden Neuronen rund 10 000 solcher Verbindungsstellen – Synapsen – mit anderen Nervenzellen herstellen kann. Aber nur einige Dutzend dieser Synapsen sind als Langzeit-Gedächtnis-Nervenleitungen ausgebildet.

Ein "Deja vu"-Erlebnis in Form des Langzeit-Gedächtnisses bildet sich dadurch, daß mit einander durch einen mehrfachen Reiz in Verbindung stehende Nervenzellen des Gehirns für dieses Signal plötzlich doppelt so sensibel werden. Das Langzeitgedächtnis führt somit zu einer Verdopplung des Reizleitungs-Kontakts zwischen den beteiligten Neuronen. Die dabei vor sich gehenden und bleibenden Veränderungen haben die Schweizer Wissenschaftler aufgeklärt und sichtbar gemacht. Nicolas Toni, Mitglied des Genfer Wissenschaftler-Teams: "Synapsen eines Neurons, das von seiner Nachbarzelle wiederholt stimuliert wird, verändern sich physisch. Die Membran verändert sich, ein weiterer Kontaktpunkt [zwischen den beiden Nervenzellen] wird gebildet. Diese Verdoppelung der Synapse entsteht etwa eine Stunde nach dem Reiz."

Die Wissenschaftler haben diese Abläufe an stimuliertem Rattenhirn-Gewebe unter dem Elektronenmikroskop beobachtet. Dann wurde per Computer ein 3D-Bild der Ausbildung einer zweiten Synapse im Rahmen der Ausbildung eines Langzeit-Gedächtnisses errechnet. Das Ergebnis stellten dann die ersten "Gedächtnis-Schnappschüsse" dar (Nature vom 25. November 1999).

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