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Mind reading: Mimik verrät, was Mäuse denken

Die Technik des Gedankenlesens schreitet dank KI voran: An den gefilmten Mikrobewegungen im Gesicht einer Maus konnten Forscher treffsicher ablesen, was diese vorhat. Das könnte im Prinzip auch beim Menschen funktionieren.
Ein kleines, braun-weiß-gescheckten Nagetier sitzt auf der Schulter eines Mädchen im roten Oberteil. Kind und Tier schauen in die Kamera.
Eine KI-gestützte Analyse der Mimik offenbart nicht nur Emotionen, sondern auch Gedanken – zumindest bei Mäusen.

Allzu leicht verrät unser Gesichtsausdruck, was wir gerade fühlen; dasselbe gilt für viele andere soziale Tiere. Eine in »Nature Neuroscience« veröffentlichte Studie zeigt nun, dass es mit technologischer Hilfe auch möglich ist, allein aus der Mimik auf kognitive Vorgänge zu schließen – zumindest bei Mäusen scheint damit das Gedankenlesen per KI-gestützter Gesichtsanalyse geglückt.

Das Team um Fanny Cazettes stellte die kleinen Nager vor die Aufgabe, selbst zu beurteilen, wie lange sie an einem Spender auf ihr Lieblingsgetränk warten möchten. Gemeinerweise versiegte die Quelle immer wieder einmal, und eine andere Zapfstelle wurde zeitweilig aktiv. Die Tiere mussten dann also entscheiden, ob sie weiterhin hoffnungsvoll an Ort und Stelle ausharrten oder ob sie schnell zum zweiten Spender eilten, um dort ihr Glück zu versuchen.

Bleiben oder gehen?

Laut vorangegangenen Studien nutzen Mäuse verschiedene Aspekte zur Entscheidung. Beispielsweise können sie diese davon abhängig machen, wie oft hintereinander sie vergeblich am ersten Spender geleckt haben. Sie können aber auch berücksichtigen, wie ergiebig die Quelle vor der Flaute war. Viele Mäuse, so ließ sich beobachten, bleiben ihrer Strategie treu. Ein Teil dagegen wechselt hin und wieder von der einen zu anderen. Und manchmal handeln die kleinen Nager einfach impulsiv.

Während der Versuche filmte das Team von der Champalimaud Foundation in Lissabon die Gesichter der Mäuse und zeichnete die Aktivität von Neuronengruppen in ihrem sekundären Motorkortex auf. Die frühere Forschungsarbeit hatte bereits gezeigt, dass sich die im Inneren ablaufenden Entscheidungsvorgänge der Maus hier am besten nachvollziehen lassen. Die Daten analysierte das Team mithilfe maschinellen Lernens. Das unerwartete Ergebnis: Was die Entscheidungsstrategie anging, waren kleine, absichtslose Muskelbewegungen im Mäusegesicht ebenso aufschlussreich wie die registrierte Hirnaktivität.

Noch überraschender war laut Mitautor Davide Reato die Beständigkeit der Ergebnisse von Maus zu Maus: Eine bestimmte Mimik repräsentierte bei verschiedenen Individuen dieselbe kognitive Strategie. Das deutet darauf hin, dass manche Denkmuster mit typischen Gesichtsausdrücken einhergehen – ähnlich wie es bei Emotionen der Fall ist.

Dem Autorenteam zufolge ist seine Studie wegweisend, weil die Technik nichtinvasiv – nur per Videoaufnahme der Mimik – tief verborgene kognitive Zustände aufdeckt. Spinnt man die Idee weiter, kommt man schnell zu der Frage, ob so etwas auch bei Menschen möglich ist. Schließlich müssen wir uns bereits damit abfinden, dass KIs Emotionen an unserem Gesicht ablesen. Am Ende ihres Artikels warnen die Forscher vor dem Missbrauch biometrischer Technologie und fordern effektive gesetzliche Vorgaben, um die »geistige Privatsphäre« des Menschen schützen.

  • Quellen
Cazettes, F. et al., Nature Neuroscience, 10.1038/s41593–025–02071–5, 2025

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