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Geflügelpest in Israel: Im Tal des Vogeltodes

Das israelische Hula-Tal ist ein Paradies für Vögel, nun verenden dort Kraniche zu Tausenden. Und das kurz vor der Zugsaison. Europa wird den Erreger wohl gar nicht mehr los.
Ranger beim Einsammeln der Vogelkadaver im Hula-Tal

Das Bild, das sich Besuchern des nordisraelischen Hula-Tals in diesen Tagen bietet, ist erschütternd. Zu Hunderten treiben verwesende Kadaver von Kranichen im seichten Wasser des Agamon. Der Flachwassersee liegt im Herzen des Dreiländerecks Israel – Libanon – Syrien. Rohrweihen und Schelladler fressen an den Kadavern. Vereinzelt sieht man Vögel anderer Arten, die es getroffen hat: Zwergtaucher, Seidenreiher, Stock- und Krickenten. Auch eine der seltenen Marmelenten.

Der Agamon ha-Hula ist das wichtigste verbliebene Feuchtgebiet im gesamten Nahen Osten. An seine ausgedehnten Flachwasserpartien, seine Inseln und großen Schilfflächen grenzen aus der Nutzung genommene Fischteiche und der Jordan, der hier entlang eines Abschnitts renaturiert worden ist. Um den See hat man auf den fruchtbaren Böden eines einstigen Sumpfes landwirtschaftliche Fläche angelegt. Es ist eine Zwischenstation wie geschaffen für Millionen Zugvögel aus Europa und Zentralasien, die in jedem Herbst und Frühling einfliegen.

Nun wurde das Naturparadies zum Epizentrum des schwersten Ausbruchs der Vogelgrippe in der Geschichte des Landes. Der Kampf gegen die hochansteckende Virusinfektion ist ein Rennen gegen die Zeit. Denn Israel ist eine der wichtigsten Drehscheiben des Vogelzugs zwischen Afrika und Europa. Und der Beginn der Zugsaison steht bevor.

Von den knapp 100 000 Kranichen, die vor Wochen aus Nordeuropa und Russland angekommen waren, ist nur ein Teil in das äthiopische Winterquartier weitergeflogen. Der Rest, etwa 30 000 Tiere, blieb im Hula-Tal. Um sie von den Erdnuss- oder Getreidekulturen fernzuhalten, die im warmen Klima Israels gerade sprießen, werden sie in sicherer Entfernung von den Feldern mit Mais versorgt. Ein Paradies für die Kraniche – das jetzt zur Hölle für sie geworden ist.

Mehr als 5000 tote Kraniche und weitere Vögel | Am Agamon zu überwintern und nicht wie ihre Artgenossen nach Äthiopien zu fliegen, hat zahlreiche Kraniche das Leben gekostet.

Mehr als 5000 tote Kraniche

Wurden in den Wochen vor Weihnachten nur vereinzelt tote Vögel gefunden, hat sich die Lage kurz vor dem Jahreswechsel dramatisch verändert. »Eine Zählung mit Hilfe von Drohnen vor einigen Tagen hat ergeben, dass allein im Hula-See etwa 5200 bis 5500 Kraniche gestorben sind«, sagt der Direktor des israelischen Vogelschutzverbandes, Yoav Perlman. Damit könnte jeder fünfte in Israel überwinternde Kranich betroffen sein.

In den vergangenen Tagen hat sich das Massensterben Perlman zufolge am ursprünglichen Ausbruchsort deutlich abgeschwächt. Grund für Entwarnung sieht er aber nicht. Sei der Ausbruch anfänglich auf ein kleines Gebiet begrenzt gewesen, gebe es nun verstärkt Funde in weiter entfernten Regionen. »In noch geringer Zahl werden Bussarde, Turmfalken, Pelikane, Reiher und auch Kraniche gefunden«, berichtet Perlman, dessen Organisation sich am Monitoring des Ausbruchs beteiligt. Vor einigen Tagen wurden erste Fälle aus dem nördlichen Teil der Negev-Wüste gemeldet, knapp 300 Kilometer südlich des Ausbruchzentrums am Hula-See.

Aktuell leiden vor allem die Kraniche. Doch zum ungleich größeren Problem könnte der Ausbruch für die seltenen Arten werden. Für die Kranichpopulation in Skandinavien etwa befürchtet Günter Nowald, Leiter von Kranichschutz Deutschland, keine negativen Auswirkungen, sofern es bei den gegenwärtigen Schätzungen bleibe. Israel sei aber auch eines der wichtigsten Überwinterungsgebiete für viele extrem seltene europäische Greifvogelarten, wie die Schelladler, die zu den seltensten Greifvögeln der Erde gehören. In Nordisrael überwintern nach Schätzungen von Perlman derzeit etwa 70 Schell- und 20 Kaiseradler. Was wenig klingen mag, ist eine gewaltige Zahl angesichts der geringen Fortpflanzungsrate dieser Vögel. Und eine ihrer wichtigsten Nahrungsquellen in Israel sind verendete Kraniche. Das bedeutet nun akute Ansteckungsgefahr für die Adler.

Nationaler Sicherheitsrat übernimmt Krisenmanagement

Nach schleppendem Beginn werde die Seuche von der Regierung nun sehr ernst genommen, sagen Naturschützer. Wie ernst, zeigt auch die Tatsache, dass Regierungschef Naftali Bennett den Nationalen Sicherheitsrat mit dem Management der Krise betraut hat. Weniger wegen der Wildvögel als mit dem Ziel, die wichtige Geflügelindustrie zu schützen. Bisher mussten mehr als eine Million Puten und Hühner geschlachtet werden, um eine Ausbreitung der Vogelgrippe zu verhindern. Und natürlich geht es der Regierung auch darum, die Gefahr eines Überspringens auf Menschen zu minimieren. Bislang gibt es zum Glück keine Hinweise darauf, dass sich das Virus schon auf Menschen übertragen hätte.

Alle in Israel nachgewiesenen Vogelgrippe-Viren sind vom Subtyp H5N1. Eine Gefahr für die menschliche Gesundheit sehen Forscherinnen und Forscher vor allem durch Viren des Subtyps H5N8. Dass dieses grundsätzlich in der Lage ist, auf Menschen überzuspringen, hatte sich im vergangenen Winter gezeigt. Damals hatten sich Arbeiter in Russland damit infiziert, die an Aufräumarbeiten in einer von der Geflügelpest befallenen Hühnerhaltung beteiligt waren. Sie zeigten aber keine Symptome. Auch kam es nicht zu einer weiteren Übertragung von Mensch zu Mensch – die entscheidende Voraussetzung für das Entstehen einer Pandemie. In der vergangenen Woche meldete die britische Gesundheitsbehörde aus England die Infizierung eines Geflügelhalters mit einem Vogelgrippevirus. Die Person sei wohlauf und es sei hier ebenfalls nicht zu einer Weitergabe an andere Menschen gekommen, erklärte die Behörde. Derzeit ist noch unklar, um welchen Virenstamm es sich handelt.

Behörden vermuten Geflügelzucht als Ausbruchsursache

Die israelischen Behörden gehen davon aus, dass die Infektion der Wildvögel im Hula-Tal über einen Geflügelzuchtbetrieb aus dem nahe gelegenen Dorf Margaliot stattgefunden hat. Mit einem Lastwagen, der die dortigen Hühnerfarmen mit Futter belieferte, sei anschließend Mais für die Ablenkungsfütterung zu den Kranichen an den Agamon-See gebracht worden, so die Erklärung von INPA und Landwirtschaftsministerium. Nach Angaben des Agrarministeriums haben die Geflügelzüchter in Margaliot den Ausbruch der Vogelgrippe in ihren Beständen nicht frühzeitig gemeldet.

Das Hula-Tal gilt als Paradies | Auch für Vogelfreunde aus aller Welt. In besseren Zeiten lassen sich im Feuchtgebiet zahllose Vögel beobachten, darunter ganz besonders die Kraniche.

Das Dörfchen an der libanesischen Grenze ist eine Hochburg der Eierproduktion in Israel. Aus der nur rund 400 Einwohner zählenden Siedlung stammen sechs Prozent aller Eier für den israelischen Verbrauch. Fast eine Viertelmillion Legehennen werden hier nach lokalen Medienberichten in 60 Hühnerhäusern auf engstem Raum eingepfercht – »tickende Zeitbomben« in den Worten des israelischen Landwirtschaftsminister Oded Forer.

Der fordert, Geflügelzuchten aus den Dörfern in isolierte Zuchtkomplexe mit strengen Sicherheitsvorkehrungen zu verlegen. Nach Angaben seines Ministeriums erfüllen 93 Prozent der Hühnerställe weder die Hygiene- noch die Tierschutzanforderungen der Veterinärbehörden.

Das Virus reist auch an Bord von Tiertransporten

Vogelschützer Perlman verweist auf einen früheren Fall, bei dem ebenfalls der Transport von Hühnern als Ursache für einen kleineren Vogelgrippeausbruch ermittelt wurde. Zur aktuellen Ausbruchsursache will er nicht spekulieren, solange es noch keine genaue epidemiologische Analyse des Geschehens gebe. »Aber angesichts der Tatsache, dass es seit Monaten Berichte über Vogelgrippe-Epidemien in Europa gibt, kann eine wie auch immer geartete Einschleppung und damit der Ausbruch als solcher hier nicht wirklich überraschen«, sagt er mit Blick auf vorangegangene Ausbrüche in vielen europäischen Ländern.

Eine Einschleppung über die Intensivgeflügelhaltung hält auch Peter Petermann für eine naheliegende Erklärung. Der Biogeograf und Ornithologe beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. Geflügeltransporte auf der Straße, mit Schiff oder Flugzeug seien gefährliche Übertragungswege. »Es müssen nicht einmal die Tiere selbst sein, die das Virus übertragen, schon die Wiederverwendung infizierter Transportboxen kann ausreichen.« Im Falle Israels hält Petermann eine Einschleppung über Großbritannien für plausibel. Beinahe alle Importe von Eintagsküken – die als Legehennen eingeführt werden – nach Israel kämen aus Großbritannien, argumentiert er.

Teile der Britischen Inseln wiederum zählen aktuell zu den weltweiten Vogelgrippe-Hotspots. So hatte die Vogelschutzorganisation RSPB kurz vor Weihnachten den laufenden Ausbruch zum bislang schwersten aller Zeiten im Vereinigten Königreich erklärt. Allein im Küstengebiet Solway an der englisch-schottischen Grenze seien innerhalb kurzer Zeit 3000 bis 4000 Weißwangengänse an der hochpathogenen aviären Influenza, wie der Erreger im Fachjargon heißt, gestorben, berichtet die RSPB.

»Stärkste Welle in Europa bisher«, warnt das Friedrich-Loeffler-Institut

In Deutschland und anderen Ländern Europas hatte es im Winter 2020/2021 einen massiven Vogelgrippe-Ausbruch gegeben. Im Laufe des Frühjahrs ebbte das Infektionsgeschehen ab, versiegte aber nie ganz. Nach Angaben des für die Überwachung zuständigen Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) gab es bei Wasser- und Greifvögeln über den Sommer hinweg vor allem in den nordeuropäischen Ländern kontinuierlich Nachweise des Virus. Die Experten des FLI vermuten deshalb, dass es dem Vogelgrippe-Virus des Typs H5N1 gelungen ist, in Nordeuropa zu »übersommern«. »Das heißt, wir befürchten, dass sich ein endemischer Zustand etablieren könnte: ein dauerhaftes Vorkommen dieses Virustyps in Wildvogelpopulationen«, sagt FLI-Virenexpertin Anja Globig.

Virenexpertin Anja Globig | Die Forscherin des Friedrich-Loeffler-Instituts sieht Anzeichen dafür, dass Vogelgrippeviren in Nordeuropa endemisch geworden sind.

Damit hätte das Vogelgrippe-Virus im Tierreich geschafft, was viele durch die Omikron-Variante des Coronavirus beim Menschen erwarten: dass es als endemisches, also in einer Region fest etabliertes Virus nicht mehr verschwindet – und zu einer dauerhaften Gefahr für Wildtiere und Geflügelhaltungen wird.

Seit dem Herbst werden auch hier zu Lande wieder mehr verendete Vögel aufgefunden und positiv auf einen Vogelgrippe-Virus getestet. »Es zeichnet sich ab, dass wir den größten jemals beobachteten Ausbruch in Europa erleben«, sagt FLI-Sprecherin Elke Reinking. Den Daten des Instituts zufolge gibt es praktisch in ganz Europa Vogelgrippe-Ausbrüche: Von den Färöer-Inseln und Finnland im Nordosten und Nordwesten über die Britischen Inseln, Zentral- und Südeuropa bis nach Portugal, Bulgarien und Griechenland im äußersten Südwesten und Südosten. Im Januar meldeten auch mehrere Regionen in Kanada Nachweise des Erregers. »Es ist schon eine Situation, die wir mit Sorge betrachten«, sagt Reinking.

Im vergangenen Jahr lag das Zentrum des Ausbruchs unter Wildvögeln an der schleswig-holsteinischen Westküste. Im Vergleich dazu sind die Zahlen der dort heute tot aufgefundenen Vögel noch moderat: In den drei Monaten seit Oktober wurden rund 1500 verendete Vögel im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und entlang der Landesschutzdeiche eingesammelt. »Niedriges Niveau« nennt das der Leiter der Nationalparkverwaltung, Michael Kruse. »Für eine Entwarnung in Sachen Vogelgrippe gibt es angesichts der regelmäßigen Nachweise, der aktuellen Meldungen des FLI und der Ausbrüche in Israel und Großbritannien aber keinen Anlass«, betont er.

Nachweise von gefährlichen Vogelgrippe-Viren bei Wildvögeln gibt es FLI-Expertin Globig zufolge mittlerweile aus nahezu allen Bundesländern. Zuchtbetriebe oder sonstige Tierhaltungen sind in neun Bundesländern betroffen. Zwischen dem Anfang Oktober 2021 und Anfang Januar 2022 habe es in 53 Geflügelhaltungen Ausbrüche gegeben – das sind doppelt so viele wie in der gleichen Zeit während des schweren Ausbruchs im Vorjahr.

Den Ursprung der Ausbrüche in Europa sehen Globig und ihre Kollegen vom FLI im Eintrag der Viren durch Zugvögel. »Es ist schon ziemlich klar, dass die Viren von Wildvögeln eingetragen wurden«, sagt die Expertin. »Das ganze zeitliche Muster und die betroffenen Arten passen mit dem Vogelzug sehr gut zusammen.« Genetisch sei das Virus sehr eng verwandt mit den Viren, die im Spätsommer in Nordkasachstan und Russland nachgewiesen worden seien. Allerdings könnten auch Geflügeltransporte eine ernst zu nehmende Verbreitungsgefahr darstellen. Mindestens ein Ausbruch in Thüringen im Herbst 2021 sei wahrscheinlich dadurch verursacht.

Sorgen um Vogelgrippe-Pandemie beim Menschen

Zwei hochkarätige chinesische Wissenschaftler haben bereits vor einer Pandemie beim Menschen durch die Vogel-Influenza gewarnt. Die Wissenschaftler Weifeng Shi und George F. Gao von der chinesischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie für Medizinwissenschaft mahnten vor einigen Monaten im Fachjournal »Science« eine bessere weltweite Überwachung und strenge Maßnahmen zur Eindämmung der hochpathogenen Vogelgrippe-Viren an, um ein Übergreifen auf den Menschen zu vermeiden, das zu einer neuen und verheerenden Pandemie führen könnte. Ihre Veröffentlichung sei auch der Versuch eines Weckrufs, um eine weitere Pandemie noch rechtzeitig zu verhindern, sagt Koautor Gao.

Vor allem der Subtyp H5N8 stelle eine erhebliche Gefahr für die weltweite öffentliche Gesundheit dar, glauben Gao und Shi. Dessen rasche und globale Ausbreitung zusammen mit der zuletzt in Russland nachgewiesenen Fähigkeit des Virus, die Artengrenze zu überwinden und sich auf den Menschen zu übertragen, mache ihn zu einem großen Problem auch für die menschliche Gesundheit. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Weltbiodiversitätsrat IPBES davor gewarnt, dass ein falscher Umgang mit der Natur den Weg für eine neue Pandemie bereiten könnte.

In Israel gehen unterdessen die Aufräumarbeiten weiter voran. Aus Kreisen der israelischen Natur- und Parkbehörde (INPA) heißt es inoffiziell, man schätze die Zahl der verendeten Tiere teils doppelt so hoch ein wie der landeseigene Vogelschutzverband. In dem großräumigen und teilweise kaum zugänglichen Gebiet ist es nur schwer, ein verlässliches Bild zu gewinnen. Insgesamt 25 bis 30 Tonnen Kranichkadaver werde man wohl entfernen müssen. Umweltministerin Tamar Zandberg spricht vom »härtesten Schlag gegen Wildtiere in der Geschichte des Landes«.

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